Auch heutzutage drückt der Fluss, der unsere Stadt durchquert, dem städtischen Leben seinen Stempel auf. Und das in sozialer, kultureller, landschaftlicher und umweltbedingter Hinsicht.
Wie er so träge unter antiken und modernen Brückenbogen, die seinen Lauf architektonisch markieren, dahin fließt, unterscheidet er sich nur scheinbar vom hektischen Tempo seiner Anwohner.
In Wirklichkeit ist der Tiber, unabdingbarer geographischer Bezugspunkt bei allen Ortsveränderungen seiner Bewohner, immer in der Vorstellungswelt der Römer präsent als vornehm und feierlich. Besonders aber als Fluss voller jahrhundertealter Geschichtsträchtigkeit, die ihn so wie er ist geprägt hat, mit seinen Dämmen und Brücken, der natürlichen Umwelt an seinen Ufern, seiner inneren Struktur. Der Tiber entstand vor Millionen von Jahren und hat in Jahrtausenden des Umgangs und Austauschs mit der menschlichen Kultur seine Bewährungsproben bestanden.
Der Fluss ist nicht mehr wie von Vergil beschrieben "blond vor lauter Sand" ("multa flavus arena"), wenn auch Himmel und umliegende Vegetation der Wasserfläche manchmal ins Grüne und Gelbe spielende Farbtöne verleihen.
Sicher ist, dass sein schon lange nicht mehr sauberes Wasser tiefgreifende Veränderungen des Ökosystems des Flusses mit seiner Fauna und Flora bewirkt hat. Auch wenn in den letzten Jahren, bedingt durch die Verbesserung der Kläranlagen, der Schadstoffanteil, der durch den Zufluss der Aniene verursacht wird, auf annehmbare Werte gesunken ist. Die Rückkehr einiger Fisch- und Vogelarten zeigt dies an.
Nur einige unter Naturschutz stehende Parks außerhalb der Stadt geben dem Fluss sein natürliches Gleichgewicht wieder, zum Nutzen und Vorteil von Landschaft, Umwelt und Besucher.
Dennoch sollte man heutzutage im Stadtbereich des Tibers aus Gesundheitsgründen nicht baden, weil noch bis vor wenigen Jahren die durch die Einleitung giftiger Substanzen gemessene Verschmutzung über dem erlaubten Niveau lag. Rudern ist allerdings möglich.
Schon lange haben die Römer die Lust am Fluss verloren, weil er durch die ihn umgebenden Infrastrukturen einen fortschreitenden Verfall erlitten hat.
Sie haben sich dafür für das Meer besonders um Ostia und Fregene entschieden. Es liegt gerade mal 20 km vom Stadtkern entfernt und bietet Zeitvertreib und sommerliche Erfrischung.
Die "barcaroli" und "fiumaroli" , die in einer anderen Welt lebten und deren Geschichte mit dem Fluss verbunden war, gibt es heute nicht mehr.
Gleichzeitig sind die Badeanstalten und Sportclubs, wie auch die Gaststätten entlang der Kaien verschwunden und so scheint es, dass eine tiefe und unumkehrbare Krise das Verhältnis der Römer zu ihrem Fluss belastet.
Auch sieht man abends –anders als früher- keine jungen Pärchen mehr unter den Platanen der Uferpromenade, so wie es ein berühmter, alter römischer Schlager eines sehr bekannten Sängers aus dem Trastevere-Viertel besingt.
Aber es ist eine vergebliche Illusion, zu glauben, dass das Aufgeben solch romantischer Gewohnheiten nur den Autoabgasen zugeschrieben werden kann, die an manchen Tagen die zulässigen Werte überschreiten.
In den letzten Jahren sehen wir allerdings eine Tendenzwende, was viele kulturelle Veranstaltungen und Märkte entlang des Flusses genauso beweisen wie zahlreiche Maßnahmen zur Aufwertung der so reichen Kulturschätze und der Umwelt.
Die untergegangenen archäologischen Reste, die im Zuge der Flussregulierung nach der zerstörerischen Überschwemmung des Jahres 1870 zum Teil ans Licht gebracht wurden, sind durch neuerliche Arbeiten am Flussbett wieder ins Bewusstsein gerückt und lassen den Vorschlag aufkommen, ein Tiber-Museum einzurichten.
Die Schaffung neuer Fahrradwege, nach denen des Jahres 1990, und das Projekt, den Fluss als städtische Verkehrsader zu nutzen, steigern hoffentlich die Attraktivität gegenüber Bürgern und Touristen.
So ist im Stadtgebiet sowohl die Linien- als auch Ausflugsschifffahrt mit umweltfreundlichen Booten auf der Strecke Duca d’Aosta-Brücke (foro italico) und Marconi-Brücke aufgenommen worden.
Die Undankbarkeit Roms seinem Fluss gegenüber ist in der Vergangenheit oft deutlich geworden. Auch zu Zeiten des antiken, kaiserlichen Roms, als der kapitolinische Fluss als Fremdkörper angesehen wurde, obwohl sein Nutzen nicht zu leugnen war.
So könnten die Römer Abbitte leisten, indem sie dem Wasserlauf die Wertschätzung, die er verdient, entgegenbrächten und ihm die alte Lebenskraft wiedergäben. Dann würde der Tiber auch wieder seine frühere natürliche Anziehungskraft zurückgewinnen.