Das ist nicht der erste Fall, wo ein Fluss durch seine Beschaffenheit und Wechselfälle, die er durch Menschenhand und Natur erlitten hat, sowie durch seinen natürlichen und umweltbedingten Reichtum das Schicksal einer Stadt bestimmt.
Dies gilt auch und gerade für das unauflösbare Begriffspaar Rom und Tiber - der "flavus Tiber" der Römer- der in dem Mythos der Geschichte des Äneas wurzelt. Nach einer Erzählung Vergils gilt er als Begründer eines Volksstammes, und ist derselbe Gott des Tibers, der dem trojanischen Helden erscheint: "visus; eum tenuis glauco velabat amictu carbasus, et crinis umbrosa tegebat harundo" (Äeneis Buch VIII, vv 33-34).
Andererseits hebt das Studium der Vergangenheit die so wichtigen verschiedenen geographischen und umweltbedingten Faktoren hervor. Darunter die Furten des Flusses, die von den schicksalsträchtigen Hügeln, besonders vom Palatin kontrolliert werden konnten, die wiederum die Wahl des linken Ufers als strategischen Ort der Stadtgründung bestimmten.
Der Flusslauf war damals besonders reissend und unregelmäßig und verursachte im Laufe der Jahrhunderte häufige Zerstörungen, trotz der damaligen Eingriffe der römischen Könige und ihrer Nachfolger, die eine Regulierung des Flusslaufes zum Ziele hatten.
Die Gedenktafeln, die noch in einigen städtischen Gebäuden zu erkennen sind, erinnern uns an die Überschwemmungen der Vergangenheit. Den Hochwasserstand der zerstörerischen Fluten zeigt manchmal die Zeichnung einer Hand unter eingemeißelten Worten des Glaubens an die hilfreiche Jungfrau Maria.
Jahrhundertelang hat der Fluss das zivile und militärische Leben seiner Bewohner geteilt. Sie haben seine Becken und die seiner Nebenflüsse (z.B. Aniene) benutzt, um die Aquädukte -zu Zeiten des kaiserlichen Roms gab es 11 davon mit verschiedenen Verzweigungen- zu speisen und manchmal haben sie unmittelbar sein Wasser zu Bewässerungszwecken oder direkt als Trinkwasser benutzt.
Oft sind seine Brücken Zeugen erbitterter Schlachten gewesen, die das Schicksal eines Volkes oder seiner Regierung entschieden. Auf die Belagerung der Goten (537 n. Ch.), die die Aquädukte gesperrt hatten, geht der Bau der schwimmenden Wassermühlen zurück. Sie bestanden aus einem Paar im Ufer des Tibers verankerter Lastkähne, auf denen die Mühlräder untergebracht waren, mit einem Antriebsrad dazwischen.
Die natürlichen Umweltbedingungen des Tibers, an dessen Ufern eine reiche und abwechslungsreiche Vegetation aus Schilf, Binsen und Bäumen wie Erlen, Pappeln und Weiden bestand, und dessen Fischwelt die Fischerei förderte, führte an seinen Ufern zur Blüte verschiedener Handwerke, wie Seilverarbeitung, Bootsbau, die Herstellung von Terrakotta und von Fischkästen aus Weidenholz.
Durch die bis vor einigen Jahrzehnten noch geringe Wasserverschmutzung waren Sprünge in den Fluss und Schwimmen verbreitete Sportarten, zu denen der Rudersport mit dem Bau entsprechender Anlagen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hinzugekommen ist.
Zu jener Zeit hatte die unmittelbare Beziehung mit dem Gewässer ein folkloristisches und aus der Distanz vieler Jahre sogar legendäres Gepräge.
Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Römer an eine Episode, die in der Chronik Roms einige Jahre zurückliegt.
Die Hauptfigur war ein Belgier, genannt Mister OK, mit bürgerlichem Namen Rick De Sonay, der wohl nicht sehr athletisch gebaut war. Immer an Neujahr um Punkt zwölf sprang er – obschon in fortgeschrittenem Alter – von der Resorgimento-Brücke ins kalte Tiber-Wasser.
Vom anwesenden Publikum, das sich in Erwartung des Ereignisses rechtzeitig auf der Brücke versammelt hatte, und das den Helden und seine mutige Tat bewunderte, rauschte ein stürmischer Beifall auf. Nachdem er wieder am Ufer aufgetaucht war, formte er mit den Fingern in der Luft ein "O" und nachdem er sich gestärkt hatte nahm das Leben eines jeden wieder seinen gewohnten Lauf.
Die athletische Geste deutete die Absicht an, auf diese Weise „sui generis“ das neue Jahr zu feiern. Mir gefällt der Gedanke, dass der versöhnende Zweck, von dem sie sicher beeinflusst war und der jedem religiösen Opferritus zugrunde liegt, die Gottheit anrufen sollte, die zur Zeit des antiken Roms den mythischen Fluss regelte, und deren moderne Verkörperung Mr. OK in gewisser Hinsicht zu sein schien.
PONTE RISORGIMENTO
Zu diesen Zeiten lebten besondere Figuren, die eine sonderbare Menschengruppe darstellten. Unter ihnen die "capannari", das sind die Eigentümer von Hütten aus Schilfrohr, die am Anfang der sommerlichen Jahreszeit für die Badenden aufgestellt wurden. Oder die "barcaroli", die mit Kähnen oder Fähren Menschen und Waren transportierten, die auf dem Seeweg von Ostia und Fiumicino bis Rom und darüber hinaus gekommen waren, und die "fiumaroli", Menschen, die auf dem Fluss lebten, wo sie mit verschiedenen Arbeiten ihren Lebensunterhalt bestritten.Letztere gingen gewöhnlich fischen und rudern und sprangen bei jeder Gelegenheit in den Fluß, um damit das völlige Vertrauen zu seinem Wasser zu beweisen. Sie wohnten entweder auf dem eigenen Lastkahn oder in einem Hausboot irgendeines Sportklubs, als hätten sie vergessen oder wären überhaupt nicht interessiert an der Existenz eines anderen Lebens, das sich hektisch oben über den vielen Brücken abspielte.
Es fällt nicht schwer, sich diese Szene der Vergangenheit auf dem Tiber vorzustellen: eine der obengenannten Figuren singt zur Gitarre in der Dunkelheit der einsamen Abende einige der wohlklingenden römischen Lieder, unter denen das im Jahre 1926 von Romolo Balzani komponierte "Er barcarolo romano" nicht fehlen darf. Er ist der prominenteste Autor des "römischen Schlagers". Die schmelzenden Laute dieser Schlager kommen zwar bis ans Ufer, verhallen aber ungehört über den hohen Dämmen , den sogenannten "muraglioni piemontesi".
Es sind zwei Ufermauern, die die italienische Regierung zwischen 1877 und 1926 bauen ließ und die so konstruiert wurden, dass sie über den Hochwasserstand von 1870 (17,22 m am Hydrometer von Ripetta) –das größte der letzten zwei Jahrhunderte- reichten.
Die erwähnten massiven Bauten, die der Natur und der architektonischen Umgebung so große Opfer abverlangten, "fesselten" den Fluss, der uns schließlich gezähmt, faul und schläfrig erscheint.
Und dennoch hatten im vorigen Jahrhundert die Herbstregen noch Verwüstungen angerichtet, ohne dass allerdings die außergewöhnlichen Hochwasser die Stadt überschwemmten.
Auf dem Tiber – in der Nachkriegszeit Ort des Vergnügens und der Entspannung – schwammen bis in die 70er Jahre die typischen Lastkähne.
Sie waren echte Badeanstalten, aber auch für Freizeitbeschäftigungen wie Rudern geeignet. Auf dem Tiber schwammen aber auch so bahnbrechende Hausboote, wie dasjenige des sagenhaften "Er Ciriola", das unter der Elio- Brücke (Castel Sant’Angelo) festgemacht war und ursprünglich dazu diente, mit Sand beladene Lastkähne zu schleppen. Sein Eigentümer, mit Namen Luigi, trug diesen Beinamen wegen seiner hartnäckigen Jagd auf den Flussaal, der im römischen Dialekt "ciriole" heißt.