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Nachkriegszeit und Wiederaufbau

Aus: Harald Kächler, Ortschronik Balzheim

Demjenigen, der die Stunde Null bewußt miterlebt hat, mußte der Wiederaufbau geradezu als Wunder erscheinen. In Balzheim rauchten wohl keine Ruinen, mußten keine Trümmer beseitigt werden; ein Neuanfang war es allemal. Zu sehr hatte der Krieg die Menschen demoralisiert, ihre Hoffnungen, die durch die NS-Propaganda in so reichem Maße geweckt worden waren, zerstört. Wer lebend aus dem Krieg heimgekommen war, war gezeichnet, körperlich oder/und seelisch. Nur das Bewußtsein der totalen Niederlage und diese Demoralisierung ließen manche die Besetzung durch fremde Truppen ertragen und, -wenn man ehrlich ist, auch die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen. So ist es doch erstaunlich, daß beide Gemeinden so kurz nach dem Zusammenbruch sich an große Projekte wagten: Die Unterbalzheimer an ihr neues Schulhaus, die Oberbalzheimer an die Wasserleitung (noch vor der Erbschaft).

Die französische Besatzung

Die Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen auf der Potsdamer Konferenz hatte für Balzheim zur Folge, daß die amerikanischen Truppen die beiden Orte verließen und französische Besatzungstruppen die Verwaltung übernahmen. Ober- und Unterbalzheim waren plötzlich Grenzgebiete, denn die amerikanische Zone ging bis Dietenheim. Die Iller war ebenfalls Grenze zur amerikanischen Besatzungszone. Altenstadt und Dietenheim waren für die Balzheimer plötzlich Ausland, das man nur mit schwer erhältlichen Passierscheinen betreten durfte. Der Gang zum Arzt, zur Apotheke oder zum Frisör war nicht mehr selbstverständlich. Einen Eindruck von der französischen Militärregierung gewinnt man am besten durch, die Bekanntmachungen, die der kommissarische Bürgermeister für Ober- und Unterbalzheim, Karl August Freiherr von Massenbach, auf Geheiß der Franzosen der Bevölkerung unterbreiten ließ. Sie sind nur für Oberbalzheim erhalten, galten bestimmt auch für Unterbalzheim.

Wie eine Hemderpressung mutet die Kleiderabgabe vom 17. Juli 1945 an. Jede deutsche Familie mußte einen vollständigen Männeranzug (Rock, Weste, Hose), einen Hut, einmal Leibwäsche (Hemd mit Kragen, 2 Taschentücher, eine Unterhose, 1 Paar Socken und eine Krawatte) sowie 1 Paar Schuhe ohne Bezahlung auf dem Rathaus abliefern. „Sämtliche Gegenstände müssen vollständig mit Knöpfen versehen sein und in einwandfreiem Zustande sein", heißt es weiter.

Parteifunktionäre und Ortsgruppenleiter wurden in Internierungslager abgeführt Ihr Vermögen wurde beschlagnahmt und treuhänderisch verwaltet. Es herrschte Versammlungsverbot, mehr als drei Personen durften nicht zusammenstehen. Ein weiterer Beitrag zur Entnazifizierung vom 17. 7.: Alle nationalsozialistischen Bücher, Schriften, Liederheftchen und Liederblätter mußten auf dem Rathaus abgegeben werden. Hausdurchsuchungen wurden angedroht.

Die Militärregierung untersagte den freien Verkauf von Vieh und anderen landwirtschaftlichen Produkten. Am 21. August verbot sie bis auf weiteres das Heizen der Wohnungen und Lokale.

27.8.45: Wimpel und Standarten der Vereinten Nationen sind zu grüßen. Für deutsche Kriegsgefangene, die in Biberach im Lager sind, hat die Gemeinde auf dem schnellsten Wege 20 Strohsäcke zu liefern.

05.09.45: Verkauf von Obst durch den Erzeuger ist verboten. Er hat sein Obst an die Sammelstelle anzuliefern, wo der Verbraucher seinen Bedarf anmelden kann.

08.09.45: Die Ausgangsbeschränkung wird auf Anordnung der Militärregierung auf 9 Uhr abends bis 5 Uhr früh festgesetzt.

Die Militärregierung hat für die Ablieferung von Feuerwaffen eine letzte Frist auf den 15. 9. 45 festgesetzt. Sie hat die Waffenablieferung auf Hieb- und Stichwaffen ausgedehnt.

17. 9. 45: Die Militärregierung hat den Forstverwaltungen riesige Auflagen an Brennholz zur Bereitstellung in kürzester Zeit gemacht. Zur Beischaffung sollen geeignete Dorfbewohner dienstverpflichtet werden.

26. 9. 45: Sämtliche Einwohner des Dorfes vom 12. Lebensjahr an müssen auf das Rathaus zur Abnahme der Fingerabdrücke für die Registrierscheine kommen.

6. 10. 45: Die französische Kommandantur in Schwendi verlangt von der Gemeinde eine Abgabe von Kraut, Salat, Kartoffeln, Tomaten, Bohnen oder Erbsen, Mohrrüben und Zwiebeln. (Am 22. 11. 45 noch einmal 200 kg Kartoffeln, 100 kg Äpfel, 100 Stück Salat, 30 Stück Lauch und 50 kg Erbsen)

07.12. 45: Viehmusterung im Weihergarten. Sämtliches Großvieh von 2 Jahren aufwärts muß einer französischen Kommission vorgeführt werden. (17. 12. 45: Ablieferung von 7 Schlachttieren)

7. 3. 46: Da die Versorgung der Städte mit Milch und Milchprodukten aufs Äußerste gefährdet ist, sieht sich die Militärregierung gezwungen, gegen sämtliche Milcherzeuger, die ihrer Ablieferungspflicht nicht voll nach kommen, mit äußerst scharfen Maßnahmen vorzugehen. Sämtliche Milcherzeuger stehen von heute ab unter scharfer Kontrolle.

18.3. 46: Wer noch im Besitz von Zentrifugen und Butterfässern ist, muß diese umgehend auf dem Rathaus abliefern. Bezeichnend für die wirtschaftliche Lage:

16. 4. 46: Die Versorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung mit Bürsten, Besen, Pinseln usw. hängt entscheidend von der Aufbringung einheimischer Rohstoffe ab, da mit größeren Einfuhren in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Bei Haus- und Notschlachtungen fallen Schweineborsten, Schweinehaare, Rinderhaare, Kuh- und Pferdeschweife, Rindsohrenränder u. ä. in reichlichem Maße an. Diese Rohstoffe müssen von den Fleischern gesammelt und abgeliefert werden.

Im Herbst 1946 erfolgten zum ersten Mal seit 1933 wieder freie Wahlen. Im Vorfeld zeigte sich eine passive Haltung der Bürger, die, nachdem man sich im Dritten Reich die ,,Finger verbrannt hatte", Politik als etwas Gefährliches, Nach-teiliges ansahen, von dem man lieber die Finger ließ. Daher ist interessant, was Karl Weis, inzwischen kommissarischer Bürgermeister, in seinem Aufruf zu den Gemeindewahlen der Bevölkerung sagen ließ: "Darüber hinaus betone ich die Wichtigkeit der Wahlen, und ich ersuche alle, sich mit dem Problem eingehend zu beschäftigen Die Besatzungsmacht wartet brennend auf den Abschluß derselben, denn für sie ist es ein Gradmesser, ob wir noch am Nazisystem hängen oder ob wir gewillt sind, den neuen Weg zu gehen Aus diesem Grund ist auch dringend notwendig, daß eine hohe Wahlbeteiligung erfolgt, denn auch dies ist der Spiegel unseres Denkens. Ein Verharren in der Zurückgezogenheit oder eine Gleichgültigkeit ist unter keinen Umständen angebracht, denn der Aufbau unseres Vaterlandes kann nur erfolgen, wenn wir beweisen, daß wir gewillt sind, den neuen und besseren Weg zu gehen." Die ersten gewählten Gemeinderäte nach dem Krieg: In Oberbalzheim Friedrich Huber, Hirschwirt; Georg Honold; August Kächler; Johannes Baur, Urisbaur; Jakob Rabus, Baumwart, und Johannes Ebenhoch. In Unterbalzheim Matthias Bauer, Kocher; Georg Walcher, Habdank; Georg Wegmann, Halbertshof; Jakob Kutter; Karl Reitze und Georg Spettenhuber. Bürgerrneister in Unterbalzheim Adolf Biesenberger, in Oberbalzheim Karl Weis.

Die Oberbalzheimer Wasserleitung

Am 26. 4. 1947 beschloß der Oberbalzheimer Gemeinderat in einer der ersten Sitzungen nach seiner Neubildung, die mangelhafte Wasserversorgung durch den Bau einer Wasserleitung zu verbessern. Zunächst war die Finanzierung auf freiwilliger Basis vorgesehen, sie sollte mit dem Gemeindehaushalt nichts zu tun haben. Dazu wurde ein Wasserleitungsausschuß gegründet (Kronenwirt Jakob Walcher, Müller Jakob Walcher, Straßbauer Jakob Stetter und Georg Baur, Maurermeister). In mehreren Ortsversammlungen im Sommer 1947 klärte man die Bevölkerung über das Projekt auf und versicherte sich ihrer Zustimmung und Mitarbeit. Kurz darauf begannen die Arbeiten. Im November ist zu lesen: „Nachdem am vergangenen Sonntag die Gelder für die Arbeits- und Fuhrlöhne am Wasserleitungsprojekt zur Auszahlung gelangten und ein Großteil diese noch nicht abgeholt haben, wird angenommen, daß die Bezugsberechtigten zugunsten des Unternehmens verzichten."

Die Währungsreform warf ihre Schatten voraus. Die Lieferanten bevorzugten Naturalzahlungen. Im November 1947 mußte eine Obstumlage von 40 Zentner Tafelobst gemacht werden, um der Lieferung der Rohre des Hauptstranges nachzuhelfen. Das Obst wurde in Kisten abgepackt, ins Saarland abge schickt und bereicherte dort den mageren Speisezettel. Des weiteren wurden Kompensationsgeschäfte über Holzlieferungen der Herrschaft Balzheim getätigt, um den Bau voranzutreiben. Bis zur Währungsreform im Juni 1948 standen das Reservoir auf der Burghalde, die Pumpstation. Die Rohre für das Ortsnetz lagen bereit. Die Währungsreform schuf veränderte Voraussetzungen für das Wasserleitungsprojekt. Die Finanzierung war zusammengebrochen. Um in den Genuß der nun möglichen Landesbeiträge zu kommen, war es notwendig, den Wasserleitungsbau auf die Gemeindeverwaltung zu übernehmen. Zur weiteren Finanzierung und Fertigstellung des Baus war ein Darlehen von 25000,- DM erforderlich. Die Tilgung sollte durch 10jährige Wasserzinseinnahmen erfolgen. Kreditaufnahme war damals kurz nach der Währungsreform nicht einfach: Die Gemeinde mußte den Kredit als täglich kündbaren akzeptieren.

Zudem mußte ein außerordentlicher Holzeinschlag von 60 Festmeter im Gemeindewald durchgeführt werden. Die einsetzende kalte Jahreszeit und das Fehlen der restlichen Formstücke und Rohre zögerten die Fertigstellung des Projekts bis ins Frühjahr1949 hinaus. Ein Wasserfest bildete im Juli 1949 den Abschluß des Projekts. Das Festbankett richtete Hirschwirt Huber, das Gartenfest Kronenwirt Walcher und Baumwirt Hermann aus.

Die Vertriebenen

Die Integration der Vertriebenen war vordergründig ein Problem des Wohnraums. Jede Gemeinde mußte in den Nachkriegsjahren eine gewisse Zahl von Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten entsprechend der Einwohnerzahl aufnehmen. In Unterbalzheim wurde im Januar das Haus Berggasse 23 umgebaut, um Flüchtlinge unterzubringen. Zwei Monate später trennte man die große Wohnung im Schulhaus durch einen Glasverschlag, um eine zweite Wohnung zu schaffen. Aus dieser Wohnungsnot heraus reifte 1949 der Plan, ein neues Schulhaus zu bauen, um das seitherige Schulhaus vollends zu Wohnungen ausbauen zu können. In Oberbalzheim waren die Flüchtlingsfamilien im „Gemeindehaus II", dem ehemaligen „Gemeindehaus I", dem ehemaligen Ökonomiegebäude und der Schmiedewerkstatt von Johannes Maier, die die Gemeinde 1942 erworben hatte, untergebracht Um für die Ausgewiesenen Kleingärten zur Verfügung stellen zu können, wurden auf Herbst 1949 sämtliche Gemeinde-Bürgerteile gekündigt. Der Appell auf freiwillige Bereitstellung hatte keinen Erfolg gehabt.