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Thilde Battran, Jg. 1925 |
Eigentlich hätte ich mir zum Geburtstag ein Paar neue Schuhe gewünscht. Mutter erklärte mir, daß mein Vater zuerst an der Reihe sei. Bezugsscheine sind rar, ich müßte noch eine Weile warten, bis ich an die Reihe käme. So muß ich halt noch ein paar Wochen in den durchlöcherten Latschen herumlaufen. Der Schuster hat kein Leder, er kann die Sohlen nicht mehr flicken. Wenn wir das Leder auftreiben könnten, dann könnte er die Schuhe reparieren.
Der Unterricht in der Einklassenschule beginnt. Das Datum des heutigen Tages ist der 15. April 1947. Nach zwei Stunden Unterricht mit den Großen (5. bis 8. Schuljahr) wird der Unterrichtsstoff für die Unterstufler (1. Bis 4. Schuljahr) behandelt. Nach der Pause sind alle wieder versammelt. Unsere Lehrerin erzählt, sie habe Besuch von einem Vertreter einer Gerbfabrik bekommen. Er brauche dringend Rindenstücke zum Gerben des rohen Leders. Wenn die Schüler an einem freien Nachmittag Rindenstücke im Wald sammeln würden, bekäme jeder Schüler ein Paar Ledersohlen. Wir sollten die Eltern fragen, ob wir mitmachen dürften.
Am nächsten Morgen steht die Umfrage fest: Alle dürfen sammeln, alle machen mit, denn die Ledersohlen sind kostbarer als Geld. Einer der Buben organisiert mit seinem Vater einen Traktor mit Anhänger. Um 1 Uhr versammelt sich die ganze Schülerschar mit der Lehrerin. Auf geht es in den Wald. Nach zwei Stunden ist der Anhänger voll mit Rindenstücken beladen!
Die Gerbfabrik holt die Rindenstücke ab. Ob der Vertreter wohl Wort hält? Tatsächlich, eine Woche später klopft es an der Schultüre. Der Vertreter bringt einen ganzen Sack mit lauter Ledersohlen.
Thilde Battran, Januar 1999