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Elfi Böller, Jg. 1925 

Jugendverführung endete mit Angst und Schrecken

Ich hatte nicht die "Gnade der späten Geburt", sondern meine Jugend wurde geprägt von 12 Jahren Hitlerdiktatur.

"Laßt uns doch in Ruhe mit euren Gruftigeschichten. Wir denken und leben heute anders als ihr. Wir sind nicht so leicht zu beeinflussen."

So werden vielleicht manche junge Leute sagen, wenn sie Zeitzeugenberichte lesen oder hören.

Mein Bericht soll beileibe keine Belehrung sein, sondern auf die damalige Beeinflussung und Verführung durch das nationalsozialistische System hinweisen.

Wie erlebte ich diese Jahre?
Meine Schulzeit bis zur mittleren Reife verbrachte ich in der Keplerschule Ulm. Während dieser Zeit habe ich mich weder bei den Jungmädeln noch im BDM besonders engagiert. An den Brand der Synagoge in Ulm kann ich mich allerdings noch gut erinnern. Ich fragte damals die Erwachsenen, wer denn diesen Brand gelegt hätte und warum das geschehen wäre. Niemand gab mir eine richtige Antwort. Man schwieg oder wich meiner Frage aus.

Am 20. April 1939 wurde der 50. Geburtstag des Führers in Ulm und Neu-Ulm sehr festlich begangen (Ansprachen, Festbeleuchtung, Vaterlandslieder).
Das beeindruckte mich sehr und ich spürte in mir ein Gefühl der Freude in einem so schönen Land zu leben und einen vom Volk so geliebten Führer zu haben.

Als ich nach der mittleren Reife in die neueröffnete LBA (Lehrerbildungsanstalt) aufgenommen wurde und alle dazu notwendigen Auflagen erfüllen konnte, war ich stolz und glücklich.

Die Beeinflussung und Prägung im Sinne der Partei geschah ganz unbemerkt. Der sonst so strenge Unterrichtsablauf wurde aufgelockert und attraktiv gemacht durch musische Fächer wie gemeinsame Chorgesänge von deutschen Volks- und Vaterlandsliedern, die Mitwirkung an öffentlichen Veranstaltungen, durch Spiel und Sport nach dem Motto: In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist.
Ein Beispiel für diese unbewußte Einflußnahme:
Die Sonnwendfeier 1943 hat mich sehr beeindruckt.
Die "Maiden" der LBA, so nannte man uns, marschierten mit der Hitlerjugend der Gemeinde zum Festplatz, alle waren in Uniform.
Eine beeindruckende Kulisse empfing uns:
Auf dem Hügel der brennende Holzstoß, darüber ein sternklarer Himmel. Wir bildeten einen großen Kreis, faßten uns an den Händen uns sangen gemeinsam das Lied:

Flamme empor,
steige in loderndem Scheine
auf den Gebirgen am Rheine
glühend empor.

Siehe wir stehen
treu im geweihten Kreise
dich zu des Vaterlands Preise
brennen zu sehen.

Heilige Glut, rufe die Jugend
zusammen, daß bei den
lodernden Flammen
wachse der Mut.

Dieses Gemeinschaftserlebnis erzeugte das Hochgefühl und den Glauben, daß wir eine auserwählte, glückliche Jugend wären.

Daß an den Fronten des Krieges unsere Soldaten tausendfach ihr Leben ließen in diesem verbrecherischen Krieg, das wußten wir nicht.
Fernsehen gab es nicht, Kriegsfilme für die Wochenschau, Radionachrichten, Zeitungsberichte waren zensiert.
Auf das Abhören von Feindsendern wurden hohe Strafen angedroht.
So lebten wir in einer völlig unwirklichen Welt und erkannten die Lügen des Systems und die Gefahren für uns erst als der Kanonendonner der Front immer näher kam.

Die Anstalt wurde jetzt aufgelöst und wir, als das älteste Semester mit abgeschlossenen Prüfungen erhielten den Befehl als Schulpraktikantinnen in Landschulen anzutreten.


Elfi Böller, Mai 1998 , Zeitzeugen@lists.uni-ulm.de ,      Boeller@aol.com