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Elfi Böller, Jg. 1925 |
Als junge Lehrerin betrat ich das Klassenzimmer und erblickte eine Menge von
Schulbänken.
Sie boten Platz für 70 Schüler.
Darüber erschrak ich und fragte mich: Werde ich das schaffen mit meinem, schon
morgens so hungrigen Magen?"
Die Schulglocke läutete und die 70 Schüler stürmten herein. Um alle sehen zu können,
mußte ich zu dem hochgestellten Pult steigen. Ihr werdet fragen, wieso waren damals so
viele Schüler in einer Klasse?
Es gab nach dem Krieg nur wenige Lehrer, denn viele waren im Krieg gefallen oder verwundet
worden, andere waren noch nicht entnazifiziert.Es kamen auch viele Kinder von
Flüchtlingen aus dem Osten zu uns und die Schulräume waren knapp.
Wir hatten fast keine Schulbücher, keine Schreibhefte und keine Farben.
Jetzt werdet ihr fragen: Konnte man da überhaupt Schule halten?
Ja man konnte. Aber nur mit großer Anstrengung der Lehrer und dem guten Willen der
Schüler.
Wie machte man das? Im Schichtunterricht d.h. an einem Tag von 8 Uhr bis 13 Uhr, am
nächstem Tag von 13 Uhr bis 17 Uhr und so fort, die ganze Woche auch am Samstag.
Da mußte ich alles, was die Schüler lernen und sich auch merken sollten, auf die große Wandtafel schreiben, Landkarten oder Pflanzen mit farbigen Kreiden ebenfalls auf die Tafel malen. Die Schüler mußten alles abschreiben. Das war ein schönes Stück Arbeit. Kopfrechnen, das haben wir jeden Tag geübt. Dazu brauchte man kein Papier und keine Bücher. Jeden Tag mußte die Hausaufgabe bei allen Schülern überprüft werden. Gute Schüler halfen mir dabei. Es fehlte eben an allen Annehmlichkeiten, wie Heizung, Essen, Schulmaterial und Kleidung. Auch die Sorgen waren in den Familien der Kinder häufig die gleichen: Vertreibung aus der Heimat, die Väter häufig noch in Gefangenschaft, oder gar gefallen, oder ausgebombt.
Doch trotz allen Belastungen lernte der größere Teil der Schüler sehr fleißig. Es
entstand auch eine starke Verbindung zwischen Lehrer und Schüler.
Wie war das möglich?
Dazu eine Geschichte: Der Winter 1946 war bitter kalt. An einem Morgen zeigte das
Thermometer 20 Grad Kälte und ich mußte schon um 7 Uhr mit dem Fahrrad zu meinem
Schulort kommen. Ungenügende Kleidung schütze mich nur wenig vor der beißenden Kälte.
Als ich im Schulhaus ankam, schmerzten mich meine Beine und Hände so sehr, daß mir
Tränen in den Augen standen. Meine Schüler sahen das und sprangen hilfsbereit zu mir.
Sie riefen: "Wir massieren ihre Beine und wärmen ihre Hände. Es tut uns so leid,
daß sie solche Schmerzen haben." ich war gerührt von dieser spontanen Zuneigung.
Das gemeinsame Leiden, Frieren, Hungern und Sorgen haben, dürfte die Erklärung sein,
warum, trotz der widrigen Umstände die Schüler lernbereit waren und eine so gute
Beziehung zueinander entstand.
Elfi Böller, Mai 1998 , Boeller@aol.com , zeitzeugen@lists.uni-ulm.de