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Eva Braun, Jg. 1925 

Kriegsende 1944/45 in Ulm und die ersten Begegnungen mit dem "Feind"

Zu dieser Zeit befand ich mich auf der Mädchenoberschule in Ulm in der Abschlussklasse. Unser Abitur 1944 war um zwei Monate vorverlegt worden, damit wir dem Staat umso schneller zur Verfügung stehen sollten. Unmittelbar nach Aushändigung des "Reifezeugnisses" wurde ich sofort zum Kriegshilfsdienst verpflichtet, nämlich im Hochfrequenzforschungsinstitut der Luftwaffe in Dornstadt.

Hautnah setzte mir der Krieg - wie für die Mehrzahl der Ulmer - eigentlich erst mit dem verheerenden Luftangriff am 17. Dezember 1944 zu. Entsetzlich empfand ich das Ausgeliefertsein an die Gewalt von oben. Unser Wohnhaus wurde weniger beschädigt als zunächst befürchtet, aber Vaters Geschäftshaus in der Keltergasse war völlig verschwunden. Als ich am folgenden Tag wieder im Labor des Hochfrequenzforschungsinstituts eintraf, fehlte meine Kollegin, die Tag für Tag neben mir gestanden hatte und meine langjährige Klassenkameradin war: Verbrannt! - "... als wär's ein Stück von mir ..." Dieses in jener Zeit häufig gesungene Lied verstand ich jetzt!

Den Tagesangriff am 3. März 1945, der nun auch unser Wohnhaus in Asche legte, erlebte ich von Dornstadt aus. Ganz Ulm schien vom Feuer überwalzt worden zu sein. Als ich daheim eintraf, war es zu spät für jede Hilfe. Solche Tagesangriffe waren das Werk der Amerikaner, das wusste man damals. Als sieben Wochen danach das amerikanische Militär in unserer Stadt einmarschierte - hätte ich sie da als "Befreier" begrüßen können? Nie wäre ich damals auf diese Idee gekommen.

Meine erste Begegnung mit dem "Feind"

Weil tagelang vom Kuhberg her, wo die amerikanischen Truppen standen, zum Fort Albeck Geschosse flach über die Stadt fegten, verbrachten wir auch den hellen Tag im Keller. Neuigkeiten wurden unter den Nachbarn von Keller zu Keller ausgetauscht. Da wurde einmal gemeldet: "Bäcker Gerlach hat wieder Brot gebacken!" Sofort machte ich mich auf. Als ich an der Bahnüberführung war und vorsichtig die Strasse nach Süden sondierte, sah ich einen Soldaten in gebückter Haltung, das Gewehr im Anschlag, auf mich zukommen. Auf einmal wurde mir klar: der "andere" Stahlhelm das ist ja ein Feind! In Panik machte ich kehrt und stürmte den Berg hinauf, das erhoffte Brot vergessend, nur heim, heim und stand am Ende der Frauensteige einem ganzen Lastwagen voll von Schwarzen gegenüber! Die ersten Schwarzen meines Lebens - und alle Schreckenserzählungen der Erwachsenen aus dem Ersten Weltkrieg über die Marokkaner wurden wach. Ich erstarrte: Rückwärts traute ich mich nicht, glaubte mich von dem Schützen verfolgt, und vorwärts konnte ich nicht. Da waren die Neger - jenseits des Lastwagens aber war unsere Wohnung! Die Schwarzen hatten ein Feuerchen mitten auf der Eythstraße gemacht und beachteten mich gar nicht! So nahm ich mein Herz in beide Hände und schlich an dem Trupp vorbei.

Später merkte ich, wenn ich Schwarze "Wache sitzen" sah, umgeben von einer Schar Kinder, in breitem Lachen Bonbons verteilend, dass diese Kerle so gefährlich doch wohl nicht sein konnten.

Aber diese Wochen waren für mich angsterfüllt und unsicher. Selbst an die verschärfte Ordnung der Nationalsozialisten in Kriegszeiten hatte man sich doch fast schon gewöhnt, aber jetzt war alles unberechenbar geworden, und allem Fremden gegenüber war ich misstrauisch, waren wir doch unser Leben lang abgeschottet und mit Propaganda gefüttert gewesen. Wie hätte ich Zutrauen haben können zu einem Feind, gegen den unsere Väter und Brüder erbittert gekämpft hatten?

In den ersten Tagen waren wir wirklich ohne Rechte und Gesetze... Tag und Nacht sollte die Haustür offen bleiben. Ich schlief angekleidet im Bett, immer auf Stimmen horchend. Einmal kamen zwei französische Offiziere. Sie machten einen sehr zivilisierten Eindruck. Aber als sie gingen, waren die Eheringe meines Onkels und meiner Tante weg, die diese "sicherheitshalber" in einer Schublade versteckt hatten. Die amerikanischen Burschen erschienen mir nur durchweg erstaunlich groß und dick, gingen in alle Räume und forderten "Fätt" und "Snäps" oder "Radio", machten irgendwas kaputt und gingen wieder.

Da wir von Bekannten hörten, dass unversehrte Villen besetzt worden seien, rafften wir alle "Schätze", die uns erhalten geblieben waren, zusammen, Bettzeug, Wolldecken etc., und brachten sie in den Keller unserer Ruine. Als wir dort wieder einmal nachschauten, stand da mit fröhlichem Grinsen ein Schwarzer in der Tür und begrüßte uns, bot mir Bonbons an, die ich stolz ausschlug, und lud uns in "seine Wohnung" ein. Er hatte für sich und seinen Kameraden die Räume behaglich eingerichtet, die Wolldecke war als Läufer die Treppe hinunter gelegt, eine andere lag als Bodenteppich, an der Wand hatte er ein Bild von seiner Freundin hängen... (Typisch: die weißen Amerikaner hatten sich in den Villen einquartiert, die Farbigen mussten mit Ruinenkellern vorlieb nehmen. Die Rassenunterschiede waren in den U.S.A doch noch sehr krass bei Kriegsende.) Wir fanden im Keller noch kleine Reste unserer eingemachten Marmelade vor und durften sie mitnehmen. Unsere Nachbarn berichteten uns dann, die Kerle hätten eines Abends "unter großem Hallo" alle restlichen Einmachgläser an unseren Bäumen zerschellen lassen. Der Garten war voll Glassplitter.

Noch mehr erstaunten mich die vielen kleinen Gläschen mit Aufschrift "For purifying water" (zur Trinkwasser- Reinigung), die ich auf dem Grundstück fand. Törichterweise sah ich darin eine Beleidigung. Hielten die uns für ein unterentwickeltes Land?

Ich war damals noch sehr patriotisch eingestellt. Empört und voll Verachtung reagierte ich, als ich von Klassenkameradinnen hörte, die Kontakt zu den Amerikanern aufgenommen hatten. Von Leuten, deren Häuser requiriert worden waren, hörte ich nur indirekt Unangenehmes, das ich hier nicht wiederholen will. Direkt weiß ich von einem kleinen "Husarenstück" meiner Freundin Roswitha, die heimlich in das besetzte Eltern-Haus eingedrungen war, um sich ihr damastbezogenes Lieblingssesselchen, ein Erbstück, durchs Fenster zu holen, d.h. zu "stehlen".

Ganz allmählich erkannte ich, dass wir in der amerikanisch besetzten Zone eigentlich ganz gut weggekommen waren, dass die "Gräuelmeldungen", die sie über deutsche Kriegsverbrechen verbreiteten, offenbar wahr waren - als ich den Film über die Befreiung der KZ-Insassen vorgeführt bekam, packte mich kaltes Entsetzen! - und dass wir eigentlich keinen Grund gehabt hatten, auf dem hohen Ross zu sitzen ("Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!"). Aber den Amerikanern gönnte ich dieses Recht auch nicht und fühlte mich verletzt, als sie uns in großen Mengen mit ihren grellbunten Buschhemden überschwemmten, einer Ware, die in den USA längst Ladenhüter war, - und die dummen Deutschen rissen sich auch noch darum!

Meinen verletzten Patriotismus besänftigte ich damals schon durch die Idee eines vereinten Europas, ich wurde glühende "Europäerin".

Obwohl das Leben in der französischen Zone viel karger und beschwerlicher war, - ich lernte es während meines Studiums in Freiburg und Tübingen kennen und erinnere mich speziell an ein Jahr, in dem wir in der französischen Zone keine Kartoffeln, dafür einen halben Zentner Kuhrüben zugeteilt bekamen - standen mir die Amerikaner ferner. Der "American way of life" liegt mir einfach nicht.

Ich habe hier versucht, meine damalige Einstellung zu beschreiben. Inzwischen bin ich natürlich - besonders durch meine vielen Reisen -, toleranter geworden und weiß, dass man nie ein ganzes Volk verurteilen darf, sondern immer den einzelnen Menschen sehen und zu verstehen suchen muss. Dazu war ich damals als junger Mensch nicht in der Lage.