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Wie die Frauen nach 1945 improvisieren mussten


aufgeschrieben von
Helga Ludwig

nach Erzählungen von
Ruth Bochtler, Maria Reith (Jg. 1913), Lieselotte Peisert und Renate Lörcher (Jg. 1923)

Frauenring Ulm/Neu-Ulm, 1997


WIE UND WARUM ES ZU DIESER KLEINEN DOKUMENTATION KAM


Auf einer Fahrt im Frühjahr 1996 machte unser Verein einen kleinen Abstecher nach Stuttgart-Fellbach, wo eine Ausstellung über Haushaltsgegenstände und Spielzeug aufgebaut war. Das Besondere an diesen Exponaten war, dass sie allesamt nach dem Krieg aus Militärrückständen und irgendwelchen übriggebliebenen Sachen hergestellt worden waren. Schon während der Ausstellung wurde heftig diskutiert und erzählt und dabei das Küchensieb aus einem Stahlhelm oder die Fleischgabel aus einem Gewehrstück genau inspiziert. Auch die mit Kupferdraht geflickte Sicherung fand ihre Begutachterinnen.

Noch viel lebhafter wurde die Unterhaltung auf der Heimfahrt im Bus, und das hat mich auf die Idee gebracht, doch einmal nachzufragen, mit welchen Mühen und mit welcher Erfindergabe unsere Mütter und Großmütter (ich bin Jahrgang 1941) den Alltag nach 1945 meistern mussten. Ich habe einige Themen aus dem Haushalt herausgegriffen, damit diese kleinen täglichen Heldentaten an Einfallsreichtum nicht einfach vergessen werden.

Wir haben uns während eines Jahres an mehreren Nachmittagen zusammengesetzt und zu dem vorgegebenen Thema wurde ebenso lebhaft erzählt, wie seinerzeit im Bus. Sehr beeindruckt hat mich schon am ersten Nachmittag, dass zwar alle bestätigten, ihnen sei als junge Frauen nicht die Decke auf den Kopf gefallen vor lauter Arbeit, aber es wurde überhaupt nicht geklagt oder ein Vergleich gezogen, wie bequem es doch heute sei usw. Im Gegenteil, manch eine Dame unseres Vereins bedauerte es, dass es diese gemeinsamen Abende der Spiele, des Bastelns, der gegenseitigen Beratung und vor allem des Flickens mit den begleitenden Gesprächen nicht mehr gibt. Das Wort Langeweile war ein Fremdwort, ebenso aber auch das der Isolation. Da jeder in der gleichen Situation war, gab es statt Neid Freigebigkeit und Hilfsbereitschaft. Die Familie rückte als ganz starkes Bollwerk im Kampf gegen den Alltag zusammen.

Es ging allen schlecht, aber zwei Gruppen waren besonders benachteiligt: Die Ausgebombten und die Heimatvertriebenen. Sie konnten nicht auf Ressourcen vorheriger Generationen zurückgreifen und waren auf Wohlwollen, Hilfe und Einfallsreichtum angewiesen.

Manches mag vielleicht nur hier für unseren schwäbischen Raum gelten, aber doch soll dabei an alle Frauen gedacht werden, die sich mit Improvisation und Wiedererinnern an alte Hausmittel dem Alltagskampf gestellt haben. Ich danke an dieser Stelle allen Damen vom Verein, die mir Material geliefert haben, vor allem jedoch Frau Ruth Bochtler und Frau Maria Reith.


GEWINNUNG UND KONSERVIERUNG VON LEBENSMITTELN

Erst in unserer heutigen Zeit ist nahezu das gleiche Nahrungsangebot das ganze Jahr in einer Übermenge da. Nach dem Kriege waren die Familien darauf angewiesen, viele Nahrungsmittel selbst zu erzeugen und auch zu konservieren und das ohne viele chemische Hilfsmittel oder der Tiefkühlmethode. Frühzeitig wurde der Bevölkerung ein Garten oder Bäume zugeteilt, was eine wichtige Nahrungsquelle bedeutete. Aber auch hier musste man auf althergebrachte Rezepte der Konservierung vertrauen oder improvisieren.

Was der Garten lieferte, wurde in erster Linie eingeweckt und da es oft an den Gläsern mangelte, mussten Bier- oder Sprudelflaschen dazu verwendet werden. Bei guter Gurkenernte waren oft die Gefäße knapp, und so musste herhalten, was gerade frei war, z.B. auch die Kaffeekanne. So wurden auch Kürbisse und grüne Tomaten behandelt, die eine süßsaure Geschmacksrichtung erhielten. Auch das Sauerkraut wurde selber in Salz eingelegt, wobei eine Krauthoblerin von Haus zu Haus ging. Dieses Gemüse wurde mit einem Tuch abgedeckt und musste wöchentlich gewaschen werden. Da das Hauptessen im Winter Kohl, Rüben und Kartoffel waren, mussten sie besonders sorgfältig gelagert werden. Wirsing wurde aufgehängt, Futterrüben und Karotten kamen in Sandkisten. Die Kartoffeln, als Grundnahrungsmittel meist beim Bauern eingetauscht, wurden sorgfältig das Jahr hindurch auf Keimlinge untersucht. Endiviensalat konnte lange ansehnlich gehalten werden, wenn er im Keller, in Zeitungspapier gewickelt, gelagert wurde. Geschossener Salat wurde übrigens nicht einfach aussortiert, kleingeschnitten entstand daraus eine Art Spinat. Kleine Blätter von Futterrüben dienten dabei zur Verlängerung der Speise.

Obst wurde eingeweckt oder gedörrt, Pilze getrocknet, aber eben nicht als Hobby! Da der Zucker knapp war, musste die Marmelade (mit Kürbis verlängert) fast endlos kochen, oder das Pflaumenmus köchelte ohne Zucker eine ganze Nacht lang im Backofen.
Eine langwierige Angelegenheit war auch die Gewinnung von Sirup aus Zuckerrübenschnitzeln. Überhaupt war das Kochen keine schnelle Sache, denn getrocknete Linsen, Bohnen oder Erbsen mussten tagelang eingeweicht werden, ehe daraus eine Mahlzeit entstand.

Fleisch wurde eingedünstet, eingelegt in Lake oder selbst geräuchert. Eier kamen mit "Wasserglas" in jene großen Gefäße, die heute für Trockensträuße benutzt werden. Die Flüssigkeit wurde dann im Laufe der Wochen immer sulziger und unangenehmer zum Hineinlangen.
Was wurde nicht alles selber hergestellt! Essig machte man daheim aus Essigmutter, mit der eine Frau von Haus zu Haus ging. Mit "Käselabans" aus der Apotheke und Milch gewann man den Quark, der Abwechslung zur häufig servierten Sauermilch bot. Mit wenig Eiern stellte man Nudeln selbst her und Gerste, wenn geröstet, verwandelte sich in Malzkaffee. Echte Kaffeebohnen, abgezählt, erfuhren eine Verlängerung durch Zichorie. Kam man an den Kaffeesatz von amerikanischem Kaffee, so wurde dieser nochmals aufgebrüht. Als Luxus galt es, aus Zuckerrübensirup Schnaps herzustellen. Aus Milch und Zucker kochte man Bonbons selber, und sollten sie als Hustenheilmittel dienen, gab man Zwiebel und Gänseschmalz hinzu. Sogar Pralinen gab es für besondere Anlässe, aus viel Kokosfett hergestellt.

Als Getränk diente zunächst Tee, der selber gesucht war oder selber gewonnener Obstsaft. Dann wurde damals auch ein Sprudelgetränk zuhause hergestellt aus dem "Chabeseaupilz" ("Chabesadei"). Der wichtigste Durstlöscher und Vitaminlieferant war jedoch der Most. Fast jeder hatte bei uns in Süddeutschland ein Mostfaß im Keller, und die vielen Mostpressen hatten Hochkonjunktur. Die Reinigung der Fässer war jedoch schwierig und wiederum eine Herausforderung an den Einfallsreichtum der Menschen.

Dieser Gesprächsnachmittag so stellte ich fest, war fast unter das moderne Thema der gesunden Ernährung gestellt, denn man sprach eigentlich viel von Vollwertkost, ohne den Begriff jedoch in der damaligen Zeit gekannt zu haben: Kartoffeln bildeten den Hauptnahrungsanteil, nur dunkles Mehl wurde (notgedrungen) verwendet, ebenso der braune Zucker, viel Milchprodukte kamen auf den Tisch, dafür wenig Fett und Fleisch und dabei war der Abfall auch noch minimal!


KLEIDUNG

In einer äußerst angeregten Gesprächsrunde war man sich einig, dass es sich um eine ganz modebewusste Zeitspanne handelte. Die Schneiderinnen und Weißnäherinnen waren hochbeschäftigt. Die USA-Filmdiven wurden zunächst bewundert. Dann versuchte man ihnen nachzueifern, auch wenn es die ersten Nylons erst ab 1948 gab und die BHs aus den Paketen so ungewohnt spitz waren, dass sie eingenäht wurden. Gepflegte und modische Kleidung waren nach den Kriegsjahren etwas Erstrebenswertes, und das Ziel wurde oft mit kleinen Mitteln erreicht, wie z.B. dem "Umfaconieren" eines Hutes. Sehr benachteiligt waren hier, wie eingangs erwähnt, die Ausgebombten und Heimatvertriebenen, denn für sie gab es keine Dachböden und Truhen als Fundgruben für modisch abwandelbare Garderobe.

Welche Materialien standen zur Verfügung? Da gab es zunächst die weiße Fallschirmseide, aus der Blusen, Festkleider, Kommunionkleider und Brautkleider gefertigt wurden. Ferner wurde auf Bettwäsche und Inletts zurückgegriffen, aus denen Kinderkleider, Röcke, Dirndlröcke (wenn die Bezüge kariert waren), mit Stickerei versehene Sommerkleider und Unterwäsche genäht wurden. Vorhänge eigneten sich gut für Röcke, Kostüme und Mäntel, ebenso die Armeekleidung. Aus den Militärwolldecken und Pferdedecken gab es Blousons, Jacken und Mäntel, wobei oft die Borte eine besondere Verwendung fand. Auch ließ sich der graue Stoff gut einfärben, wie überhaupt das Einfärben eine besondere Rolle bei der Weiterverwendung von Textilien spielte. Besondere Erwähnung fanden hier die Bubenhosen, für die braunes und rotes Fahnentuch entsprechend farblich verändert wurde. Alte Kleidung war auch ein ganz wichtiger Faktor: Sie wurde aufgetrennt, gewendet und gefärbt, vor allem die Bleyle-Sachen. Strümpfe und weiße Strickwaren, wenn aufgetrennt, waren der Lieferant für Strampelhosen. Ansonsten galt für die alte Sachen: Aus eins mach zwei.

Aber es gab da auch noch alte Jute- und Zuckersäcke, die der Garngewinnung dienten. Besonders begehrt waren die glänzenden Fäden, mit denen die Zuckersäcke durchwirkt waren, denn die langen Stücke, herausgezogen und verknotet, ergaben verstrickt weiße Festtagsstrümpfe.

Dann waren da noch die beigen, nicht wattierten Schlafsäcke, die man, farblich unverändert, zu Anoraks und langen Jacken verarbeitete. Ähnliches fertigten die Schneiderinnen auch aus Materialien aus besiegten Ländern. An diese war jedoch nur durch Beziehungen, Tausch oder Kauf zu kommen. Für die meisten ein schwieriges Unternehmen.

Wer Beziehungen zum Krankenhaus hatte, besorgte sich Baumwollwatte. Versponnen und verstrickt konnte daraus Unterwäsche entstehen, ebenso wie aus Verbandsmull "Bändchenpullover" gestrickt werden konnte. Auch hierbei war das Aufziehen und Neuverstricken ein gewichtiger Vorgang.

Da zu jener Zeit bei uns noch die Schafhaltung von Bedeutung war, gab es an den Zäunen der Pferche und Weiden dicke Wollflocken zu "ernten". Dieses gesammelte, hochwertige Material fand seine Verwendung in wärmenden Füllungen für Kleiderfutter oder wurde ganz einfach mitgestrickt, um z.B. wärmere Handschuhe zu erhalten.

Dann gab es da noch die eingelagerten Stoffe, vornehmlich in Eisenbahnwaggons. Je nachdem ob es sich um Windelstoffe oder festere Webwaren handelte, wurden daraus mit Stickerei versehene Kleidungsstücke hergestellt, Bettwäsche oder sogar Bikinis im damaligen Stil. In einem Ulmer Vorort landete so ein Waggon mit blau/weiß kariertem Baumwollstoff Es gab kaum etwas, was nicht daraus hergestellt wurde, und das Dorf lief mehr oder weniger im gleichen Dekor herum.

Zu erwähnen wäre noch, dass aus 10 Hasenfellen 1 Hut wurde, Turbane aus Schals entstanden und Röcke oft aus bestickten Putzlappen oder Handtücher kreiert wurden. Der modische Einfallsreichtum bei begrenztem Materialangebot war ungeheuer.

Abfälle gab es nicht, nur Reste. Was geschah mit diesen?

Weiße Stoffreste wie Leinen und Baumwolle wurden zerfasert und für Verbände ans Rote Kreuz geschickt. Aus farbigen Resten entstanden Puppenkleider oder Patchworkarbeiten oder sie wurden für Füllungen verwendet. Fleckerlteppiche wurden gewoben oder der Lumpensammler bekam die Reste. Abfälle von Jutesäcken präsentierten sich als Putz- und Spüllappen. Reste von Militärstoff und Krimmer (eine Art Bouclé) verbrämten abgeschabte Pelzmäntel oder Männerkleidung oder verlängerten Röcke. Es wurde einfach alles verwendet, und was selbst nicht verwendet werden konnte, wurde weitergegeben.


WEIHNACHTEN UND WEIHNACHTSGESCHENKE

Ich fragte nach dem ersten Weihnachtsfest nach Kriegsende und erhielt unisono die Antwort, dass sie sich sofort wieder auf die Tradition besonnen hätten, um ihre Kindheitserinnerungen als Kulturgut wieder den eigenen Kindern weitergeben zu können. So wie auch gleich wieder gut besuchte Weihnachtsgottesdienste stattfanden. Noch im Jahre 1945 war in unserem Ulmer Münster die Christmette in deutsch-amerikanischer Gemeinschaft, wobei die US-Soldaten per Lastwagen vorgefahren kamen und Päckchen dabei hatten und hofften, anschließend mit in die Familien mit Heim genommen zu werden. Diese Sitte hat sich über all die Jahrzehnte bis zum Abzug der US-Streitmächte erhalten:

Wie war es mit dem Christbaum? Natürlich gab es einen Christbaum, notfalls eine improvisierten aus Pappdeckel mit Moos, einen Besenstiel an dem Zweige befestigt waren, oder es wurde eine Adventspyramide gebastelt aus Stecken, Zapfen und anderen Naturalien. Der Schmuck dieser Bäume bestand - sofern man nicht auf die Reserven vorheriger Generationen zurückgreifen konnte - aus Äpfeln, aus mit Ofenrohrbronze versilberten Nüssen, Strohsternen. Dekorativem aus dem Wald oder (Nachkriegs) Springerle. Kerzen erhielt man auf Bezugsschein, oder sie wurden aus Wachsresten selber hergestellt. Durch Halbieren wurde die Stückzahl vergrößert. Diese Kerzen wurden dann mit Draht am improvisierten Christbaum befestigt.

Gefeiert wurde meist im Kreis von 2-3 Familien, wobei die festliche Kleidung einen hohen Stellenwert hatte. Für die Kinder war bis Dreikönig die Puppenstube und die Puppenküche mit Esbitkocher aufgebaut. Die Weihnachtspost wurde verlesen, wobei es sie damals nur in Briefform gab und in ganz geringem Umfang. Gering war auch der Umfang an Postpaketen, da damals viele Adressen noch unbekannt waren. Ganz wichtig war das gemeinsame Singen der Weihnachtslieder und das Vorlesen vertrauter Texte.

Das Essen war am Hl. Abend bescheiden. Meist gab es Brühsuppe mit Brot. Gerstensuppe, Suppe aus Gänsehirn und Füßen, oder das Gänseklein. Später wurde ein mehr oder weniger starker Teepunsch serviert mit Weihnachtsgebäck, hergestellt aus schwarzem Mehl, gerösteten Haferflocken, rationiertem Zucker, Kunsthonig, Zuckerrübensirup, Kürbiskernen, Bucheckern und Karotten.

Für das weihnachtliche Festessen war die Gans sehr wichtig; beschafft wurde sie auf Tauschbasis. Die Beilagen waren fast klassischer Natur: Kartoffelsalat, Blaukraut, rote Rüben, eingelagerter Endiviensalat, auf dem Acker selbstgesuchter Feldsalat. Grünen Salat gab es so gut wie gar nicht im Winter.

Natürlich gab es auch damals einen Gabentisch, der mit viel Improvisation und liebevollen Einfällen zusammengestellt war. Alle betonten, dass man sich damals über jede Kleinigkeit gefreut habe, besonders auch über Geschenke zum Aufessen. Wochenlang vorher wurde mit der Herstellung begonnen, wobei oberstes Gebot war: Es muss praktisch sein. Geldgeschenke gab es überhaupt nicht.

Was wurde im einzelnen geschenkt: Die Kinder erhielten selbstgebasteltes Holzspielzeug, die Puppen wurden neu eingekleidet, eine Puppenküche entstand aus einer Persilkiste, eine Tankstelle aus alten Blechbeständen, Quartett war ein beliebtes Kartenspiel, aber auch schon ein kleines Peitschchen erfreute. Originelle Bilderbücher stellte man selbst her durch Collagen aus Zeitungen und Prospekten.

Fast endlos war die Aufzählung der selbst hergestellten Weihnachtsgeschenke für Verwandte und Freunde: Laubsägenarbeiten (wie sie heute wieder modern sind), bemalte Holzbrettchen als Schlüsselbrett, Ketten aus getrockneten Kernen, Untersetzer mit gepressten Blumen dekoriert, Schmuck aus altem Stacheldraht gebogen, Scherenschnitte, Bastdeckchen, Gläser mit Lackfarbe bemalt als Blumenvasen, Matten aus Binsen geflochten. Im textilen Bereich entstanden Kleinigkeiten aus Handweberei, wie Täschchen und Hausschuhe, Norwegerhandschuhe und Pulswärmer aus Wollresten, Kniestrümpfe mit kompliziertem Muster aus aufgeribbelten alten Baumwollstrümpfen, Filetdeckchen und Filethandschuhe aus US-Nähseide, aus Wehrmachtsdecken wurden Bettüberwürfe oder Teppiche hergestellt, Stickereien und Fransen entstanden aus aufgezwirbelten Kordeln, aus 3 zusammengenähten Militärarmbinden entstand ein Sofakissen, ein neuer gehäkelter Lampenschirm aus aufgezogenem US-Garn, eine Briefmappe aus Pappe und Dirndlstoff, und nicht zuletzt ein Kaffeewärmer aus sämtlichen Textilresten. Da nichts weggeworfen wurde, war in dieser Hinsicht der Vorrat groß. Beliebt als Weihnachtsgeschenk war auch ein selbstgemaltes Bild oder Bücher, die weitervererbt wurden, auch fermentierte Kirschblätter als Tabakersatz waren willkommen. Die Liste der einfallsreichen Geschenke wäre noch lang.

Was es nicht gab und worüber die Gesprächsrunde sich einig war: Keine vorgezogene Weihnacht und kein "verkitschtes" Weihnachtsfest.


HOCHZEITSFEIER

Wurde die Hochzeit nicht auf die Zeit nach der Währungsreform von 1948 gelegt, so war auch hier wieder oberstes Gebot: Improvisation und gegenseitige Hilfe. Fangen wir beim Brautkleid an: Wenn es nicht ausgeliehen wurde oder von einer Tauschzentrale stammte, wurde es angefertigt aus Fallschirmseide, Bettendamast oder sogar Windelstoff. Bei der Brautkrone, wenn nicht ausgeliehen von Verwandten, musste improvisiert werden mit grünen Zweigen, Stoff- oder Krepppapierblüten. Der Schleier, wenn nicht aus einem alten Vorhang gefertigt, wurde meist eingetauscht, z.B. gegen einen Märklinbaukasten oder auch das Verlobungskleid. Brauthandschuhe und Täschchen waren selbstgemacht, meist gehäkelt aus Nähseide. Aus altem Leinen fertigte der Schuhmacher die Brautschuhe. Auf jeden Fall war das Kleid der Braut und der Brautjungfern lang, auch wenn man aus zwei Kleidern eines machen musste, denn man hielt auf Etikette. Das galt auch für den Bräutigam. Dunkler Anzug und Zylinder waren meist geliehen; nur Fliege und Einstecktuch eigen. Für die Kinder waren weiße (selbstgestrickte) Strümpfe fast obligatorisch. Der Friseur für alle kam ins Haus.

Der Kirchenschmuck entsprach der Jahreszeit: Im Sommer Geranien oder ausgeliehene Vasen mit Gartenblumen, im Winter Tannenzweige aus dem Wald. Ähnlich auch die Dekoration für den Festsaal: im Sommer Feldblumen, wobei auch der Brautstrauß stets gepflückt war, und im Winter Tannengrün mit Krepp-Papierbinden vom Apotheker oder Blumen aus jenem Material, dazu Asparagus. Die Anstecker waren aus Buchsbaum und mit einem künstlichen oder natürlichen Blümchen versehen. Gefeiert wurde meist in einem ländlichen Lokal, da es hier durch Heimschlachtung und Essensmarkenbeitrag leichter finanzierbar war. Auch gab es hier den Tauschhandel in größerem Maße. Als Tischtücher dienten hier aufgeschnittene Damastbezüge oder Leintücher.

Dann kam das große Hochzeitsessen, das stets vorzüglich war, denn man war ja noch nicht übersättigt, wie sich die Teilnehmerinnen ausdrückten.

Das Menü sah folgendermaßen aus: Hochzeitssuppe, Siedfleisch mit Gemüse, Braten mit Kartoffeln oder Nudeln, Pudding. Getrunken wurde dazu eigener Most oder Bier. Am Nachmittag gab es selbstgebackenen Kuchen wie Kranz, Gugelhupf, Käsekuchen oder Schwarzbrot mit Sahne. Herstellung der Sahne: Quark mit Sprudel aufschlagen, Milchpulver schlagen, Magermilch sehr, sehr lange schlagen, Rahm längere Zeit sammeln.

Auf meine Frage nach den Geschenken, standen bei den Antworten an vorderster Stelle die Dinge aus dem eigenen Bestand, dann gab es viel Selbstgemachtes wie Brotkorb oder Holzgedrechseltes, gehämmerte Platten aus Leichtmetallteilen der Flugzeugindustrie, veränderte Dinge aus Wehrmachtsbeständen. Lebensmittel wurden geschenkt wie: Eier oder Schmalz, Geldgeschenke gab es an die Braut und manchmal sogar einen Eichbaum zum Anfertigen von Möbeln. Kleinere Geschenke erhielt auch der Pfarrer. Die Hochzeitsreise fand nur in die nähere Umgebung statt, denn man war damals nicht anspruchsvoll, aber man hielt auf Stil!


WÄSCHEPFLEGE

Die Wäschepflege war eine äußerst anstrengende und zeitraubende Angelegenheit. Nicht zuletzt deshalb, weil keine vollwirksamen Waschmittel zur Verfügung standen und die Materialien alles andere als pflegeleicht waren. Es gab Textilien aus Leinen, Baumwolle, Kunstseide bzw. Charmeuse und Wolle. Eine chemische Reinigung für empfindliche Sachen war weitgehend unbekannt. Zur Verfügung standen Kernseife, Seifenflocken, Waschpulver (Soda) und was die Frauen eben improvisierten: Da wurde beispielsweise Panamarinde als Sud zur Reinigung von empfindlichen Wollsachen verwendet, dunkle Wollsachen wuschen die Frauen in Pulver aus Holzkohle. Bei Buntwäsche erhöhte hinzugegebene Pottasche die Reinigungswirkung und Buttermilch half angeblich auch bei hartnäckigen Flecken. Gegen das Vergilben wurde Wäscheblau als Pulver eingesetzt.

Überhaupt war der Waschtag, wie schon zu Großmutters Zeiten, für die Frauen eine Katastrophe und für die Wäsche eine äußerst strapazierende Prozedur. Die Vorläufer unserer heutigen Waschmaschinen waren wegen der geringen Stromzuteilung nicht im Einsatz, so dass der gute alte, voluminöse Waschkessel geheizt wurde, und zwar vielerorts mit Knödel, die aus eingeweichtem Zeitungspapier geformt worden waren. Als Wäscheschleuder dienten zwei gegenläufige Rollen, natürlich von Hand betrieben. Die kochende Waschbrühe wurde voll ausgenutzt, und zwar in folgender Reihenfolge: Damastwäsche, Küchenwäsche, Leibwäsche, Buntwäsche und zuletzt die Arbeitsmäntel. Am Wichtigsten war das Einweichen, Bürsten und Reiben auf dem Waschbrett mit viel Soda. Dies galt vor allem für die riesigen Schnupfentaschentücher, Windeln und Damenbinden alle selbstgenäht. Im Sommer hoffte man auf die bleichende Kraft der Sonne, im Winter blieb nur der Dachboden, wohin die nasse Wäsche in schweren Weidenkörben geschafft werden musste. Wohnte man in einem Mietshaus, musste diese Wäschereiaktion schon einige Zeit vorher an der Dachbodentüre angeschlagen werden.

Gewaschen wurde alle 6 Wochen. Auch wenn die Wäsche nicht viel gewechselt wurde, so kam in dieser Zeit doch eine beträchtliche Menge zusammen. Da die Wäschestücke so lange wie möglich sauber und frisch gehalten werden sollten, spielte das Stärken eine große Rolle. Es machte die Wäsche nicht nur ansehnlicher, sondern auch schmutzabweisender. Zum Appretieren standen Magermilch, Mondamin oder Kartoffelstärke, die heiß angerührt werden musste, zur Verfügung. Wenn Stoffe aufgedämpft und appretiert wurden, sprach man von "Dekatieren". Essig diente als Weichspüler und Salz oder Magermilch als Desinfektionsmittel bei eingeweichten Windeln.

Wen wundert es, wenn angesichts solchen Aufwandes bei der Wäschepflege die Ermahnung zum Sauberhalten allgegenwärtig war?