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Florian Frei, Jg. 1927 

Kurzbericht zum Thema "Hunger" (Kriegsgefangenenlager)

Der Bericht behandelt meine Erlebnisse in der Zeit von ca. 1 bis 2 Monaten ab Ende April 1945, ab den letzten Kriegstagen. Meine Einheit, die im Raum München zur Heimatverteidigung eingesetzt war, sollte nach Italien verlegt werden. Die Amerikaner rückten von Westen und Süden nach Oberbayern ein, wir wurden entlassen, bekamen einen Entlassungsschein (das war mein einziges, aber wichtiges Ausweispapier), mit der Empfehlung: Wir sollen nach Hause gehen. Das war gut gesagt in diesen chaoti-schen Verhältnissen, wenn mein Zuhause im früheren Kreis Illertissen war. Mit mei-nem Kameraden Max aus Oberstaufen bin ich ein paar Tage "herrenlos" herumgelau-fen, bei Bauern um Essen und Trinken gebettelt und in Scheunen übernachtet (mit vielen anderen). Dazu war noch ein "Sauwetter", der Regen war mit Schnee ver-mischt. Am 4. Mai haben wir uns dann in amerikanische Gefangenschaft begeben. In einer Ortschaft bei Bad Tölz sind wir auf Lastwagen gestiegen und am nächsten Mor-gen in einem Lager gelandet, das als Auffanglager galt. Dort waren wir eine Woche. In einem Erdloch haben wir (Max und ich) gehaust (das Lager war bis zum Kriegsende ein Truppen-Übungsplatz).

In diesen Tagen haben wir täglich Armee-Verpflegung u.a. bekommen. Das war eine kleine Dose mit einer Art Eintopf (eingedickt, gepresst) und eine zweite mit anderem Inhalt (Nescafe, Zucker, Kekse, Kaugummi, Zigaretten, Zündhölzer u.a.). Die Ameri-kaner haben Kistenstapel aufgerichtet, wir Gefangene sind in Reihen vorbeigegangen, ein Soldat hat die Kisten aufgerissen und die leeren weggeworfen, ein anderer hat von 2 Kisten jeweils eine Dose entnommen und dem gerade dastehenden zugewor-fen. Das ging vom späten Vormittag bis in den Nachmittag hinein. Es ist auch pas-siert, dass sich der Werfer vertan hat, da mussten wir Gefangenen halt untereinander tauschen. Das ging ganz gut (obwohl die Beschriftung keiner lesen konnte, Englisch war bis dahin "die Sprache und Schrift des Feindes"), denn man hatte ja viel Zeit und wenn es um das Überleben geht, ist der Mensch bekanntlich erfinderisch.

Das Problem war in diesen Tagen das Wasser. Die Amerikaner hatten LKW mit Was-sertanks aufgestellt, es dauerte Stunden, bis man da herankam oder man hatte kein Gefäß, um Wasser mitzunehmen. Waschen und rasieren waren ohnehin Nebensa-che. Am letzten dieser Tage wurden wir aufgefordert, uns zum Transport in ein ande-res Lager aufzustellen (der Essenempfang ist an diesem Tag ausgefallen). Jeweils 50 Mann bestiegen einen LKW und ab ging es (stehend, etwa 160 km) u.a. auf der heutigen A8 nach Neu-Ulm.

Am südlichen Rand der (zerbombten) Stadt ist planmäßig ein Lager entstanden, in dem zeitweise bis zu 70.000 Gefangene waren. Die auf LKW ankommenden Gefan-genen (Unteroffiziere und Mannschaften) sind in Lagerteile mit jeweils 5.000 Mann gesteckt worden. Die gefangenen Offiziere und Frauen sind in den nahegelegenen Kasernengebäuden untergebracht worden, wo auch die Wachmannschaften waren.

Etwa 1/3 unseres Lagerteiles war Wiese, die anderen 2/3 waren Acker. Jeder Lager-teil hatte ein Sanitäts-Zelt und eine Art Feldküche. Wasser gab es aus mehreren (Kalt)-Wasserhähnen an einer Holzrinne. Max und Ich haben uns ein etwa 1 qm gro-ßes Stück auf dem Acker ausgesucht, auf dem der Roggen etwa 40 cm hoch stand. Den haben wir ausgerupft, er diente als Unterlage, darauf eine von unseren 2 Wollde-cken. Das war unser Aufenthalts- und Schlafpatz, für mich gut 2 Monate, und wie lan-ge Max noch dort war, weiß ich nicht. In dieser Zeit wurde ich 18, da hatte ich schon 14 Monate "dem Vaterland gedient".

Die Frage Essen und Trinken war im Neu-Ulmer Lager so gelöst:

Die "Feldküche" bestand aus mehreren beheizbaren Kesseln und einem Zelt für die Vorräte. Die Feldköche waren Gefangene, die von bewaffneten Soldaten bewacht, bzw. beaufsichtigt wurden. Zum Essenempfang stellten sich die Gefangenen in Rei-hen vor den Kesseln an (auch hier unter Bewachung). In das mitgebrachte Ge-fäß(meist 800 g Dosen mit Draht als Henkel, einige hatten noch ihr Kochgeschirr) wurde die warme "Suppe" gefüllt, manchmal gab es ein Stück Brot dazu. Das war die Tagesration, die man vernünftigerweise auf 2 oder 3 Mal zu sich genommen hat. Max und Ich sind abwechselnd zum Essenempfang gegangen, denn es war ganz wichtig, dass immer einer auf den Liegeplatz und unsere paar Sachen aufgepaßt hat.

Die Suppe war warmes Wasser, wenig gesalzen, mit Trockengemüse als Einlage. Das Trockengemüse war aus Wehrmachtsbeständen, die in mehreren Magazinen in Neu-Ulm gelagert waren. Das waren abwechselnd Gelbe Rüben, Kraut, Erbsen oder Kartoffeln.

In den gut 2 Monaten gab es ein paar Mal ein richtiges Festessen. Das war eine mil-chige, süße Suppe mit Rosinen aus US-Armeebeständen. Anfang Juli ist ein Teil des Lagers zu einem Entlassungslager eingerichtet worden. Gefangene, die im Umkreis von 40 km zu Hause waren, wurden aufgefordert, sich in dieses Lager zu begeben, ich gehörte dazu. Mein Kamerad Max mußte zurückbleiben, Er war aus Oberstaufen und ist sicher auch bald entlassen worden.

Im Entlassungslager konnten wir in Zelten kampieren und haben besseres Essen be-kommen. Dort mußte sich jeder einem strengen Entlassungsverfahren unterziehen. Wir haben Fragebogen mit etwa 100 Fragen beantworten müssen, sind entlaust und allgemein untersucht worden. Bei den vielen Fragen kam es den Amerikanern sehr darauf an, die irgendwie "Belasteten" herauszufinden. Ich war da völlig unverdächtig bzw. unbelastet. Natürlich kam es auch darauf an, sich von den Gefangenen zu ent-lasten und die Kräfte zum Ernteeinsatz heimzuschicken.

vNach 3 Tagen im Entlassungslager hatte ich einen Entlassungsschein, einen Hand-zettel mit "Verhaltensregeln im amerikanischen Besatzungsgebiet" und ein Handgeld. Zu Fuß ging ich mit mehreren, ebenfalls Entlassenen, über Senden Richtung Heimat, knapp 40 km. In der Nacht kam ich heim. Meine Mutter hat mich kaum erkannt, denn sie hatte mich nie in Uniform gesehen und ich war abgemagert und verwildert. Um wieder zu Kräften zu kommen, habe ich bis Oktober als Knecht bei einem größeren Bauern gearbeitet und ging erst dann wieder meinem Beruf nach.

Zusammenfassend kann ich sagen:

Mit dem Entlassungsschein der Wehrmacht konnte ich mich ausweisen und schon wegen dem Alter als Unbelasteter heimgeschickt werden.

Es waren Glücksumstände, dass sich die Entscheidung, in Gefangenschaft zu gehen, als richtig erwies.

In den Lagern haben mir die Besatzer nichts zu Leide getan und doch so versorgt, dass es zum Überleben gereicht hat. Bei Gefangenen, die längere Zeit so gelebt ha-ben, ist es sicher schwieriger geworden. Über die weit schlimmeren Verhältnisse in anderen Lagern und Ländern gibt es zahlreiche Berichte.

Florian Frei im Oktober 2003