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Liselotte Lieber, Jg. 1920 


 

Hochzeitsvorbereitungen 1945

Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1945 sollte die Hochzeit meiner Schwester stattfinden, aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Keine Kutsche mit weißen Pferden, keine Musik, die das Fest hätte verschönern können, nicht einmal der Polterabend kam zustande. Die Freunde fehlten, die sonst den übergang zum Ehestand begleiteten: sie waren versprengt an allen Fronten im großen Krieg.

Sinnlos, mit der Hochzeit zu warten, bis das Leben wieder in normalen Bahnen lief, also wurden die kleinen grauen Zellen mobilisiert, wie das Ziel zu erreichen und gegen alle Widerstände der jüngeren Schwester ein schöner Ehrentag auszurichten sei . - Die "Zigarettenwährung" machte es möglich, Zucker und Hefe verschwanden in den Rucksäcken, die Hauptsache steuerte die neue ländliche Verwandtschaft bei.

Brautkleid und Schuhe borgte eine Freundin, der Brautstrauß war "dauerhaft", er bestand aus Asparaguszweigen, geschmückt mit künstlichen Christrosen, und mußte zusammengerollt in einer Pappschachtel 20 x 20 Platz haben. Wir konnten starten.

Der Grenzübergang von der amerikanischen in die französische Zone, wo der Bräutigam lebte, hatte seine Tücken: es gab nur einen gültigen Paß und den besaß ich. Die Franzosen waren nicht besonders freundlich, die Paßkontrolle war streng. Wir warteten einen größeren Schub Grenzgänger ab und ich stellte dem "Besatzer" einige belanglose Fragen in französischer Sprache, trat meiner Schwester gegen das Schienbein und schob sie hinter mir weg. Das war geschafft. Schnell zum Bahnhof und in den Zug, in der französischen Zone bedeutete Zugfahren Güterwagen und einige Stunden in ziemlicher Dunkelheit, unsere kostbaren Rucksäcke nutzten wir zum Sitzen.

Den nächsten Abschnitt der Fahrt erlebten wir in einem Abteil für "Reisende mit Traglasten", die Fenster mit Pappe vernagelt oder ohne Scheiben, aber wenigstens mit etwas mehr Licht. Die Menschen um uns sahen müde und erschöpft aus, sie kamen von Hamstertouren mit mehr oder weniger Erfolg. Niemand hatte rechte Lust zum Sprechen. Zwei kleine Saarländer drückten sich in eine Ecke und hielten ihr armseliges Hamstersäckchen fest, dösten vor sich hin, bis der eine die Stille unterbrach "Ach, un jetzt e schee schwabbelich Kotlett!" (Übersetzung ins Hochdeutsche: " Ach und jetzt ein schönes schwabbeliges Kottlett!")

Alles lachte und es war, als ob ein bißchen Wärme durch das Abteil zog.

Plötzlich hielt der Zug, eine Brücke war zerstört. Das hieß, in der kalten Winternacht die Reise zu Fuß fortzusetzen.

Aber das ist ein anderes Kapitel.


Liselotte Lieber, Mai 1998