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Brigitte Nguyen-Duong, Jg. 1940

 

Passierscheingeschichte 1

In einem Bauernhof bei Mindelheim hatte mein Vater während des Krieges gute Erfahrungen gemacht. Bei freundlichen Bauersleuten war er für kurze Zeit untergekommen und hatte sich vom Kriegsgeschehen dort etwas erholen können. Daran erinnerte er sich, als wir in Oberschwaben unsere neue Heimat gefunden hatten.

Mein Vater hatte sich 1947 ein altes Auto gekauft und wollte damit in dem Dorf bei Mindelheim zusammen mit meiner Mutter und mir einen überraschenden Besuch machen. Unser Weg führte durch das wunderschöne Allgäu bis wir an einem kleinen Fluss bei Memmingen von weitem einen Schlagbaum der Zonengrenze sahen. Für meinen Vater stellte das Hindernis damals kein Problem dar, aber für meine Mutter wohl. Sie hatte keinen Passierschein. Warum weiß ich bis heute nicht. Heimliche Flucht und illegale Grenzüberschreitungen lagen damals gar nicht weit zurück. Deshalb kam ihr schnell die Idee, vielleicht unbemerkt unter der Brücke den Fluss zu durchschreiten und am anderen Ufer hinter den Büschen ins Auto wieder einzusteigen.

Es ging aber nicht glatt. Als wir jenseits der Grenze ängstlich nach meiner Mutter Ausschau hielten, kam sie nach einer Weile in Begleitung von zwei sehr streng anmutenden Beamten, barfuß und mit nassem Rock. Sie wurde zurück auf die andere Seite des Flusses abgeführt. Mein Vater fuhr natürlich sofort hinterher und wir dachten, unser Ausflug hätte nun ein böses Ende genommen. Wenig später konnten wir unsere Fahrt zu zweit jedoch fortsetzen, nachdem es an der Grenze zu dem Einvernehmen kam, daß meine Mutter in einem Gasthaus auf der französischen Seite auf uns warten sollte. Wir wurden bei den Bauersleuten mit großer Freude empfangen, Geschenke und viele Erinnerungen wurden ausgetauscht.

Als wir am Abend meine Mutter an der Zonengrenze wieder abholten, war sie inzwischen Besitzerin eines kleinen süßen Dackels geworden. Die Zonengrenzhündin Bella und später ihre Nachkommen waren viele Jahre unsere treuen Begleiter.

 

Passierscheingeschichte 2

Es muss im Sommer 1947 gewesen sein, als wir zum ersten Mal nach dem Krieg meine Großeltern in Nördlingen besuchen fuhren. Ich hatte gerade das erste Schuljahr hinter mir und war stolz auf mein erstes Schulzeugnis.

In Ravensburg, damals französische Zone, bestiegen meine Mutter, mein Bruder und ich den Zug nach Ulm, um dann in der amerikanischen Zone in einen Zug nach Nördlingen umzusteigen. Alles verlief reibungslos, bis, etwa in der Nähe von Günzburg, ein Kontrolleur die Wagons durchging und die Passierscheine sehen wollte. Alle Fahrgäste nahmen ihr amtliches Papier in die Hand, und konnten sich nach den prüfenden Blicken der Dienstperson sicher in der Zone der Amerikaner fühlen. Meine Mutter wurde allerdings nervös. Offenbar hatte sie damit nicht gerechnet. Bis heute weiß ich nicht, warum sie bei Grenzüberschreitungen damals nie einen Passierschein bei sich hatte.

Geistesgegenwärtig fiel ihr aber mein Zeugnis ein, denn die Scheine der anderen Fahrgäste hatten ein ähnliches Format, einen städtischen Briefkopf und einen amtlichen Stempel unter wenigen mit Schreibmaschine geschriebenen Zeilen. Das hatte tatsächlich funktioniert. Der Beamte durchschritt den Gang zwischen den Sitzen, übersah keinen Passagier und starrte unablässig auf die vorgehaltenen Papiere. Ohne die geringste Behelligung überstand mein Zeugnis die Prüfung zur offiziellen Überschreitung der Zonengrenze. Fahrgäste ohne Papiere mussten bei der nächsten Bahnstation den Zug verlassen. Meine Großeltern wären arg enttäuscht gewesen.


Brigitte Nguyen-Duong, Mai 2001