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Prof. Dr. Reinhardt Rüdel 
Jg. 1937

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                                    Prof. Dr. Rüdel als Bub                                                                                              als junger Mann
 
 
 

Fränkisch-bayerische Lederhosensaga

Ich erinnere mich von meiner Schulzeit her, daß es in irgendeiner europäischen Kultur ein wichtiges literarisches Werk mit dem Namen Lederhosensaga gibt. Der Name hat mir so gut gefallen, daß ich ihn bis heute behalten habe, ohne auch nur das Geringste vom Inhalt und der Bedeutung dieses Werkes zu wissen. Jetzt, nachdem ich mit meinen alten Klassenkameraden schon vor einigen Jahren das 40-jährige Abiturjubiläum gefeiert habe, will ich dieses vereinzelt in meinem Gedächtnis hausende Wort hernehmen, es mit einem neuen Adjektiv versehen und es für die Überschrift dieser kleinen Beschreibung benützen, die sich meine Do von mir erbeten hat.

Es geht zunächst um die Lederhose meiner Kindheit. Nicht eigentlich um meine eigene Lederhose, sondern um die Lederhose der damaligen Zeit schlechthin, wie sie für mich und meine Brüder, aber auch für die meisten meiner Klassenkameraden als Allround-Kleidungsstück diente. Wir alle trugen damals im fränkischen Erlangen den ganzen Sommer über Lederhosen, und ich bin sicher, auch die Buben in Ansbach, in Bayreuth und auch die in Würzburg trugen Lederhosen. Was die echten bayrischen Buben damals trugen, weiß ich nicht, ich nehme an, genau dieselben Lederhosen, wie wir.

Auf den sommerlichen Fotos aus dieser Zeit während des 2. Weltkriegs und auch die längste Zeit nach dem 2. Weltkrieg habe ich meine Lederhosen an, mein engster Freund Jocky, mit dem ich wohl am meisten zusammen abgelichtet wurde, hatte auch immer seine Lederhosen an, ebenso wie mein älterer Bruder Peter. Von dem habe ich ja die meisten meiner Lederhosen geerbt, wenn sie dem zu klein geworden waren!

Dem Kenner altbayrischer Lederhosen, wie sie jetzt und schon seit geraumer Zeit von allen möglichen Bayern und Nicht-Bayern modisch getragen werden, muß ich sagen, daß unsere Lederhosen ganz anders waren. Wir Buben trugen damals keine Kniebundhosen, sondern kurze Krachlederne. Auch waren unsere Hosen nicht aus feinem Hirschleder und nicht sämisch gegerbt, sie waren auch nicht mit schönen Stickmustern verziert, sondern sie waren aus ziemlich hartem Rindsleder, derb und unbestickt. Was die Festigkeit des Leders anlangt, waren diese Hosen einfach unverwüstlich, das Leder war so fest, daß unter den Strapazen, denen wir sie aussetzten, ein Riß oder eine Triangel einfach nicht zu bewerkstelligen war.

Anders war es dagegen mit den Nähten. Die mußten schon im Laufe eines Lederhosenlebens mehrfach nachgenäht werden, und das machte man selbst, am besten im Frühling, wenn die Buchsen wieder hervorgeholt wurden (die Winter waren immer zu kalt, als daß man die Hosen das ganze Jahr hätte tragen können). Einen festen Spagat nahm man dazu, den man sich erst einmal mit einem Spezialwachs ordentlich einwachste, und zwei Dreikantnadeln für die Zwienaht. Vor allem im Schritt mußte man oft nachnähen, dort, wo vier Lederstücke zusammenkamen.

Auch die Taschen aus festem Stoff hielten meist nicht mehr als einen Sommer. Und wenn diese zerrissen waren, mußte man seine Hosen zum Lederhosenschneider bringen. Das war für uns Erlanger Buben der Sattler Dassler in Frauenaurach, ein echter Bruder der Firmengründer von Adidas und Puma, der es halt nicht so weit gebracht hatte, wie seine berühmten Brüder. Dafür war er ein echter Lederhosenspezialist, der auch neue Hosen anfertigte (für meinen älteren Bruder, nicht für mich!).

Was die Art der Lederhosen anging, so gab es schon bald nach dem Krieg manchmal Abweichungen von der Orthodoxie an ledernen Hosen zu sehen, selbstverständlich nur an Preußen oder sonstigen Flüchtlingskindern. Wir hätten aber solche untraditionellen Abweichungen bei unseren eigenen Hosen nie und nimmer zugelassen. So mußte die Lederhose vorne unbedingt einen Latz haben und der mußte mit Knöpfen verschlossen werden. Lederhosen mit einem Reißverschluß oder gar solche, die zwei Reißverschlüsse für einen Latz verwendeten, galten als absoluter Stilbruch. Auch mußten die Hosen von ledernen Hosenträgern gehalten werden; Gürtel, die womöglich unter dem Latz verschlossen wurden, sah man nur bei den Zugereisten. Die Knöpfe für Latz und Hosenträger waren beinern und mit zwei Schlitzen versehen, damit sie mit einem Lederriemchen an der Hose angenäht werden konnten; Hirschhornknöpfe, wie wir sie an den Jankern hatten, wären nicht passend gewesen.

Die Hosenträger hatten vorne eine breiten Steg, auf dem das Bild eines röhrenden Hirsches entweder eingestanzt oder – bei den teureren Ausführungen – aus Hirschhorn geschnitzt und aufgenietet war. Hinten waren die Hosenträger selbstverständlich überkreuzt zu tragen. Die Länge der Träger waren vorne über dem Steg mittels zweier Riemenschnallen einzustellen.

Zwischen den beiden hinteren Knöpfen befand sich in der Hose ein kleiner Zwickel aus nachgiebigem Leder, der in mehrfacher Schnürung von einem geknoteten Lederbändchen zusammengehalten wurde. Mit dessen Hilfe hätte man die Bundweite verstellen können. Da damals die Lebensmittel knapp waren, war jedoch die Gefahr klein, daß einem die Lederhose zu eng wurde: vorher wurde sie bereits zu kurz. Übrigens gab es auch unten an jedem der beiden Hosenbeine eine derartige geschnürte Verstellvorrichtung, die, einmal zugeknotet, nie mehr verstellt wurde.

Die Hosenbeine waren bei diesen traditionellen Lederhosen ziemlich lang, und bei Männern, die auch im vorgerückten Lebensalter dem Brauch des Lederhosentragens nicht entsagen wollten, konnte man feststellen, daß die eigentlich vorgesehene Beinlänge gut geeignet war, knorrige Knie einigermaßen schamvoll zu verbergen. In diesem Punkte mochten wir jedoch nicht der Tradition folgen. Wir schlugen die unteren Enden der Beine nach oben, gerade so viel, daß das besagte verstellbare Zwickelstück ganz umgeklappt war. Mein alter Großvater, den ich zwar nie selbst in Lederhosen gesehen habe – es sei denn auf alten Urlaubsfotos – nahm an unserer modischen Unsitte stets Anstoß. Ja, er fand die bloßen Schenkel, die da zum Vorschein kamen unanständig und versäumte nie, uns deswegen zu rügen. Und selbst, wenn wir, um ihn zu provozieren, unsere Hosenträger so weit verlängerten, daß uns die heraufgeklappten Hosenenden bis an die Knie reichten, sagte er: „Geh, Du, das gehört sich nicht, klapp die mal runter da!„ Gehorsam wurden dann die Aufschläge abgeklappt, so daß die Hosenbeine die halben Waden noch überdeckten. Das gab dann den erwünschten Lacherfolg bei den anderen Enkelkindern, der den Großvater zwar leicht irritierte, ihn aber nie davon abhielt, weiter unerschüttert für nicht-umgeklappte Hosen zu kämpfen.

Das Lederhosentragen war für uns so selbstverständlich, daß wir sie auch in der Schule trugen. In der Oberprima erhielten wir eine neuen Rektor, der über fränkische Hosengebräuche offensichtlich nicht informiert war. Ohne, daß irgendeiner von uns an Provokation dachte, war mindestens ein Drittel meiner Klassenkameraden zum schriftlichen Abitur in Lederhosen erschienen. Klar, damals schrieb man das Abitur noch im Hochsommer und es war heiß! Der Rektor wollte nach der beleidigenden Erfahrung des ersten Tages für den Rest der Woche eine andere Kleiderordnung durchsetzen. „Nicht mit uns!„ haben wir ihm damals erklärt und ein beflissener Mitschüler hat ihm am nächsten Tag ein Bild des bayerischen Prinzregenten in Lederhosen vor die Nase gehalten. Das hat ihn überzeugt. Und mir hat es gezeigt, daß mein Großvater an sich recht hatte. Die Hosenbeine des Prinzregenten waren nicht aufgeschlagen und gingen tatsächlich halb über die Knie!

Als Physikstudent in Erlangen und Wien habe ich weiterhin meine Buchsen getragen, niemand nahm Anstoß. Erst als ich 1959 in Heidelberg – damals schon im 7. Semester – auch wieder die Lederhosen anzog, wurde ich belächelt und meine erste dortige Freundin genierte sich mit mir. Das war das Ende der kurzen Lederhosen.

Als ich 1974, jetzt schon Professor der Physiologie in München, eine Ferienwohnung im alten Berchtesgadner Lehen „Wintermoos„ bekam, kam auch das Lederhosenproblem von neuem auf. Berchtesgaden ohne Tracht, Wintermoos ohne Lederhose – das ging doch nicht! Jetzt wollte ich meine fränkischen Buchsen wieder hervorholen, sie waren selbstverständlich noch vorhanden, wurden mir jedoch erneut von höherer Stelle ganz ausdrücklich nicht genehmigt.

Also mußte eine Kniebundhose her, und das führte dazu, daß ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Lederhose nicht erbte, sondern geschneidert bekommen sollte. Ich ging zur besten Adresse in Berchtesgaden, nämlich zum Lederhosenschneider Stanggassinger am Markt. Natürlich war eine braune vom Springbock gut und teuer genug; eine schwarze hirschlederne wäre unbezahlbar gewesen. Aber weißgestickte Verzierung sollte die neue haben, ein kleines Messertäschchen an der Seite auch und eine „Tellernaht„ am Hintern. Der Stanggassinger hatte die lustige Angewohnheit, beim Anmessen das Gespräch in einen Singsang übergehen zu lassen: „Sooo, dann wolln mer mal sehng, den Bund, ochtasiebzich, und den Schritt„...usw., alles gesungen! Nach meinem Vorbild hat sich kurz danach auch mein Kollege K. eine Lederhose fertigen lassen. Da war es ganz genau so. Vor allem die Meßwerte wurden gesungen; nach der Maßnahme kehrte der emsige Schneider wieder zum gesprochenen Wort zurück.

Bei der Lieferung fielen dann die Hosen ein wenig kurz bemessen aus, sie spannten überm Knie, beim Kollegen noch mehr als bei mir. Aber das war nun nicht mehr korrigierbar, das mußte so hingenommen werden, die gesungenen Werte waren irreversibel. Es wurden halt die Strümpfe durch den Hosenbund nicht so richtig oben gehalten. Aber was macht das schon beim Bergsteigen!

Also, fesch sah ich damals schon aus mit der bayrischen Kniebundhose, die strammen Beine in grob gestrickten grauen Strümpfen mit Zopfmuster, und diese wiederum in schwarzen Haferlschuhen. Oben trug ich unter den Hosenträgern (ohne bayerisches Staatswappen!) das traditionelle leinerne Biesenhemd (mit kleinen Hirschhornknöpfen) und darüber die echte Berchtesgadner Trachtenjacke. Selbstverständlich fehlte auf dem Kopf nicht der braune Hut mit Reiherfeder. Sogar ein grün-rotes Gilet habe ich mir gekauft, Silberknöpfe dran gemacht und an eine dicke Kette die vom Vater ererbte goldene Taschenuhr drangehängt.

Das war also meine Periode in echten bayerischen Lederhosen, meine fränkischen mußten derweilen unbenutzt im Wintermooser Schrank hängen. Heute schimmeln beide dort – selbst nach Do´s Wohnungsneugestaltung – unbenutzt nebeneinander leise vor sich hin.


Prof. Dr. Reinhardt Rüdel, Mai 1999, reinhard.ruedel@uniklinik-ulm.de