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Hans Scherb, Jg. 1934 |
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Wir waren damals aus der zerbombten Stadt Ulm in eine Ortschaft in der
späteren französischen Zone verlegt worden, wo ich auch zur Schule
ging. Auf dem Rückzug hinterließen die deutschen Verbände
lästiges Material am Straßenrand, das uns natürlich brennend
interessierte. Wir fanden allerlei Ausrüstungsgegenstände wie
Tornister, Ferngläser, Gasmasken u. a., leider auch scharfe Waffen,
die für einige von uns üble Folgen hatten.
Das Aufregendste aber waren die freigelassenen Pferde!
Es waren beileibe keine rassigen Reitpferde, sondem eher kleinwüchsige
solide Zugpferdchen, die die Trosswagen gezogen hatten. Es machte uns keine
Mühe, die zahmen, an Menschen gewöhnten Tiere einzufangen und
bald hatten die meisten von uns ein eigenes "Reitpferd". Die meist gutmütigen
Tiere ließen sich von uns füttern, pflegen und vor allem reiten.
Zaumzeug und Zügel ließen sich leicht beschaffen, Sättel
gab es keine. An deren Stelle trat eine alte Wolldecke, die mit einem Gurt
befestigt wurde, damit wir überhaupt auf den für uns immer noch
sehr hohen Pferderücken klettern konnten. Ich hatte einen etwas beleibten
Grauschimmel ergattert, mit dem ich einige Wochen sehr glücklich war.
Er war nicht der Schnellste, jedoch willig und zuverlässig, und
ich kam mir vor wie Old Shatterhand, wenn ich durch die Gegend ritt - die
Schule war kurzfristig geschlossen - oder im Trab bzw. sanftem Galopp mit
verhängten Zügeln durchs Dorf "sprengte".
Meine Freunde und ich fühlten uns in den wilden Westen oder in
die Ritterzeit versetzt und genossen das sehr. Futter gab es auf nicht
genutzten Grünflächen und Feldrainen mehr als genug für
unsere anspruchslosen Lieblinge.
Nach einigen Wochen war der Spuk vorbei und eine der schönsten
Episoden meiner Kindheit zu Ende. Nachdem die französischen Truppen
eingerückt waren, wurden die bisherigen französischen und belgischen
Kriegsgefangenen im Dorf befassen. Weil sie vorher ordentlich behandelt
worden waren, ließen sie die Zivilbevölkerung in Ruhe, was auch
uns Buben zugute kam. Neben der Besatzungsmacht - und von ihr mehr oder
weniger geduldet - trieben sich befreite ehemalige Zwangsarbeiter aus den
nahegelegenen Kleinstädten in der Gegend herum und machten sich durch
Diebstähle und auch bewaffnete kleinere Überfälle unbeliebt.
Eine Gruppe dieser meist aus dem Osten stammenden entwurzelten Menschen
fiel eines Tages über unsere friedlich weidende kleine Herde her und
bemächtigte sich der Tiere. Ich wollte meinen Schimmel nicht freiwillig
hergeben und krallte mich mit beiden Händen an den Arm des betreffenden
Mannes. Der schleuderte mich wie eine lästige Fliege auf die Wiese,
so daß mir Hören und Sehen verging. Nachdem er mich noch fluchend
- so klang es jedenfalls - bedroht hatte, sank mein Mut und machte Tränen
Platz. Durch diesen Tränenschleier mußte ich ohnmächtig
mitansehen, wie unsere Pferdchen weggeführt wurde und ein schöner
Traum zu Ende ging. Meine Mutter tröstete mich zwar, schien aber doch
über diese Lösung erleichtert, denn ich hatte schon Pläne
im Kopf, wie ich den Schimmel nach Ulm reiten und dort unterbringen wollte.
Die Landwirte des Dorfes und der Gegend hatten sich natürlich
auch mit Arbeitspferden aus Heeresbeständen eingedeckt, die nach einigen
Wochen gemustert und registriert wurden. Die französische Militärregierung
beließ diese Pferde bis nach der Ernte den deutschen Bauern, was
ich damals schon als faire Geste betrachtete; danach wurden die Tiere nach
Frankreich abtransportiert.