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Berufsweg: Ausbildung, Möglichkeiten, Ziel 1946

Vorgeschichte:

Familie: Vater, Staatsanwaltschaft Düsseldorf, Mutter, Prokuristin, 3 Kinder, Schwester der Mutter führte den Haushalt.

Die Kinder besuchten die Realschule. Kosten pro Monat ca.100.-RM, soviel wie die Wohnungsmiete.

 

Berufswahl: Nach Abschluss der Realschule mit der ‚Mittleren Reife‘ konnte ich bei der Reichsbahn, als bautechnischer Fachschulpraktikant, meine Ausbildung zum Reichsbahnbauingenieur beginnen.

Die Ausbildung wurde nach einem Jahr unterbrochen. Es war Krieg. Alle jungen Männer mussten zum Arbeitsdienst. Ich hatte die Möglichkeit, an Stelle des Dienstes im Arbeitsdienst, diese Zeit als Lagermannschaftsführer in der Kinderlandverschickung abzuleisten.

Dann kam die Einberufung zum Wehrdienst.

Kriegseinsatz. Die Ausbildungsunterlagen der Reichsbahn begleiteten mich bis zur anschliessenden Gefangenschaft, die im November 1946 endete.

40.- RM Entlassungsgeld. Persönlicher Besitz: Außer einer schwarz gefärbter amerikanischer Uniform, ein Kleidersack mit 2 Garnituren Unterwäsche! Fahrkarte von Heilbronn nach Stuttgart.

Eltern ausgebombt, verlagert, vertrieben, Aufenthaltsort unbekannt.

Daher: Erstes Unterkommen in Stuttgart bei einem Kameraden aus der Gefangenschaft.

Suche nach der Familie.

Während dieser Zeit als Hilfsarbeiter in einer Fensterschreinerei tätig. Es gab genug Arbeit, aber wenig Lohn.

 

Anfrage bei der Reichsbahn auf Fortsetzung meiner Ausbildung wurde ablehnend beschieden. "Die Laufbahn ist gestrichen. Ein Anspruch auf Weiterführung der Ausbildung besteht nicht."

Berufsaussichten: Keine!

Familie gefunden.

In Thüringen. Dort war meine Schwester während des Krieges in der Flugzeugindustrie dienstverpflichtet. Die Familie kam dort, nach langen Irrwegen wieder zusammen.

Daher siedelte ich im Januar 1947, offiziell, in die SBZ ( sowjetische Besatzungszone ) über. 14 Tage Quarantäne eingeschlossen.

Familie als Flüchtlinge: Wenig Geld.

Man lebte vom Schwarzmarkthandel. Vater ging, nach Rückkehr aus sowjetischer Gefangenschaft ‚schwarz über die Grenze nach Düsseldorf zurück, um zu versuchen, der Familie dort einen neuen Anfang zu ermöglichen.

Für mich erhob sich die Frage, welchen Beruf kann ich ergreifen, wie kann ich mein Ziel, Ingenieur zu werden, weiter verfolgen..

In Schleusingen war die staatliche Ingenieurschule Für Wasserwirtschaft, Kulturtechnik, Vermessungswesen und Strassenmeisterschule. Dort bewarb ich mich. Annahme unter der Bedingung: Praktikum in Bau- und Landwirtschaft. Also wurde ich Baupraktikant bei einer Hochbaufirma und landwirtschaftlicher Praktikant auf einem Staatsgut.

Student: Es folgten 3 Semester von 1947 bis 1949.

Ein Studium unter denkbar schlechten Bedingungen. Die Studierenden einschl. des Lehrkörpers waren alles Kriegsteilnehmer. Es gab wenige Lehrbücher. Teilweise sog. Soldatenbriefe! Papiermangel. Tabellenbücher wurden von den Studierenden auf Transparentpapier abgeschrieben und dann mit Lichtpausgeräten vervielfältigt.

Es gab keine Kantine. Ich nahm mir in einem Kochgeschirr meine Mittagsmahlzeit von zu Hause mit, konnte sie mir in einem Gasthaus aufwärmen lassen und dort auch, ohne zusätzliche Kosten, in der Mittagszeit und in einem gewärmten Raum, zu mir nehmen.

 

Familie geht, schwarz über die Grenze, nach Düsseldorf zurück. Wohnungsprobleme.

Unterbrechung des Studiums wegen Geldmangel. Fortsetzung zwar möglich. Die Ingenieurschule Siegen wollte die bisher abgeschlossenen Semester anerkennen. Aber: Kein Geld.

Nach längerem Suchen bekam ich die Möglichkeit beim Wasserwirtschaftsamt, im Rahmen der Kriegsschäden-beseitigung, als Zeichner zu arbeiten.

 

Die Nächsten 2 Jahre als technischer Zeichner tätig. Kein Vertrag! Monatliche Kündigung, ohne Garantie der Weiterbeschäftigung. Regelmäßige Nebenarbeit bis spät in die Nacht.

Nach 1 ½ Jahren teilte mir die Staatsbauschule Wuppertal, auf Anfrage, mit, dass ich mein Studium dort fortsetzen könne, vorausgesetzt, ich würde die Aufnahmeprüfung für den Einstieg ins dritte Semester bestehen. Dann würden auch die ersten Semester von der Ingenieurschule Schleusingen angerechnet.

Also belegte ich noch einen Vorbereitungskursus bei verschiedenen Dozenten. Natürlich gegen Bezahlung! Bestand die Prüfung und konnte weiter studieren.

An der Staatsbauschule Wuppertal konnte ich dann, nach 3 Semestern, mein Studium zum Bauingenieur beenden. Begleitet von ständiger Nebenarbeit zur Finanzierung des Studiums.

Erste Anstellung als Ingenieur bei der Fa. Holzmann. Statikbüro. Bezahlung: Hilfsarbeiter! Vertrag: Keiner.

Dann Anstellung als Tiefbauingenieur bei der Stadt Düsseldorf. Vertrag: Monatlich. Kündigung möglich, ohne besondere Benachrichtigung. Dieses Vertagsverhältnis ging über 2 Jahre bis es in eine unbefristete Anstellung umgewandelt wurde.

Die Wohnungsnot in Düsseldorf war in dieser Zeit noch sehr groß.

Ich bewohnte mit meiner Familie, 3 Personen, zuerst 1 ½ Jahre lang eine Wohnung mit 15m² !!!!! Wohnfläche. Später wechselte ich in eine Wohnung mit 32 m², ohne Aussicht, in absehbarer Zeit eine grössere Wohnung zugeteilt zu bekommen.

Also suchte ich im Umland nach einer Anstellung, die meiner Familie auch eine bessere Unterbringung garantieren würde.

Nach ungefähr 10 Bewerbungen bei unterschiedlichen Firmen und Behörden konnte ich eine Stelle als Tiefbauabteilungsleiter in einer Stadt im Umfeld von Düsseldorf bekommen. Natürlich mit einer grossen Wohnung in einem Neubau!

In diesen Jahren gab es noch die Möglichkeit, als Ingenieur die Baumeisterprüfung vor der Handelskammer zu machen. Voraussetzung: Mind. 5 Jahre Berufspraxis.

1959 bestanden: Baumeister

Inzwischen hatte sich auch mein Berufsziel etwas genauer herauskristallisiert. Leitender Ingenieur in einer Firma oder einer Verwaltung.

Also nahm ich das Angebot einer Firma an, ein Ingenieurbüro für Tiefbau als Leiter und Prokurist zu führen.

In der Zwischenzeit wurde mir, auf Antrag, von der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen Wuppertal der Titel

Ingenieur (grad.) verliehen.

Die Gemeinde- und Kreisreform brachte es mit sich, dass in den neu gebildeten, grösseren Städten und Gemeinden ein erhöhter Bedarf an Ingenieuren verschiedener Richtungen entstand.

Das Angebot, die Leitung des Tiefbau-, Garten- und Friedhofamtes einer Stadt von rd. 40.000 EW zu übernehmen, nahm ich gerne an und bekleidete diese Stelle bis ich, mit 65 Jahren, in den Ruhestand ging.

Auf Grund der gesetzlichen Richtlinien des Landes NRW verlieh mir die Universität-Gesamthochschule-Wuppertal den Titel: Diplom-Ingenieur .

 

Schlussbetrachtung:

Nach Kriegsende und Entlassung aus der Gefangenschaft ließen die äusseren Umstände eine Berufsplanung im heutigen Sinne nicht zu. Man konnte sich zwar ein Ziel setzen, war aber nie gewiss, es erreichen zu können.

Es dauerte auch rd. 8 Jahre, bis die Unsicherheiten im Berufsleben einer zielgerichteten Zukunft wichen.

 

Meine Erfahrung zeigt, dass die Wege zu einem Berufsziel, schwierig, lang und nicht immer geradlinig verlaufen. Viele Rückschläge muss man in Kauf nehmen. Nicht jede Bewerbung führt zu einer Anstellung. Wichtig ist, dass man beweglich bleibt und die gebotenen Chancen, wenn sie auch mit Risikos belastet sind, wahrnimmt.

 

Ulrich K. Schorsek - Grefrath - Frühjahr 2000