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Stefan Schwob

Stefan Schwob, Jg. 1930



ALTE HEIMAT - NEUE HEIMAT

Für mich war die alte Heimat wo ich 1930 geboren und aufgewachsen bin, das Königreich der Serben - Kroaten und Slovenen unter König Peter II. Karadjodjevic. Dann folgte am 06. April 1941 der Einmarsch der deutschen Truppen und der II. Weltkrieg begann für Jugoslawien.

Zurück zu den Wurzeln: nach der Ahnentafel über neun Generationen, die ich mit Hilfe von Ahnenforschern erstellt habe, kamen meine Schwob - Vorfahren aus dem Schuttertal bei Lahr im Schwarzwald, über Ulm 1763 die Donau hinunter nach Filipowa in der Batschka. Die Vorfahren meiner Schwob - Großmutter, geb. Oswald, stammen aus Lautlingen bei Albstadt. Nachdem mein Urgroßvater in der Batschka starb, verkaufte meine Urgroßmutter ihren Bauernhof und zog mit ihren sechs Kindern 1891 nach Mrzovic in Slawonien.

In meinem früheren Heimatort Mrzovic ging ich in die deutsche Abteilung, bis zu den Sommerferien 1944, zur Schule. Zu Hause wurde hauptsächlich deutsch gesprochen, ansonsten bin ich zweisprachig herangewachsen. Unser Dorf mit ca.1100 Einwohnern bestand damals aus etwa 600 Deutschen, etwa 500 Kroaten, zwei Familien waren Serben, eine Familie war jüdisch und drei Familien ungarisch. Uns verband im Dorf der gemeinsame römisch - katholische Glaube, sodass einem guten Nebeneinander nichts im Wege stand. Da wir auch kroatische Nachbarn hatten, habe ich auch kroatische Freunde gehabt.

Im Dorf ging alles seinen eingefahrenen Gang, die Erwachsenen arbeiteten hauptsächlich in der Landwirtschaft, dem Wald, den Weingärten und als einziger Arbeitgeber war eine Hanffabrik im Ort. Nur die Sonn- und Feiertage brachten Abwechslung bei gemeinsamen Kirchgängen und Kirchenfesten, obwohl alles in kroatischer Sprache war. Die deutschen Bauern gründeten im Ort eine Genossenschaftsbank und einen Maschinenring. Sie organisierten sich 1936 im Schwäbisch?Deutschen Kulturbund um ihre Identität zu sichen und die Bräuche ihrer Vorfahren zu pflegen. Sie waren immer zuerst staatstreu, dann erst volkstreu.

Ab 1942 nahm auch bei uns die Partisanentätigkeit zu, so wurde eines Tages unser Ortsgruppenleiter erschossen, der mit militärischem Geleit, Hakenkreuzfahne und Salutschüssen beerdigt wurde. In einer Nacht wurden zwei deutsche Bauern von kommunistischen Partisanen abgeholt und ermordet. Später auch eine Bäuerin auf ihrem Feld. Auf unser Gemarkung wurden, drei Partisanen aufgespürt und erschossen, sie wurden von der kroatischen Heimwehr auf einen Bauernwagen aufgeladen und zur Abschreckung durch das Dorf gefahren, was ich selbst gesehen habe. Im Sommer 1944 mußte die kroatische Heimwehr das Dreschen von Getreide schützen. Es kam eine Hundertschaft Partisanen und erschoß drei junge Kroaten. Jetzt hatten sie drei Gewehre und drei Uniformen mehr und zogen weiter. Das habe ich selbst hautnah miterlebt.

Im Herbst 1944, als die russische Front immer näher rückte, verbreitete sich die Nachricht von der Evakuierung der deutschen Bevölkerung. Am Morgen, den 29.Okt. 1944 kam ein Zug Wehrmachtsoldaten, verteilten die Evakuierungsscheine und sagten, dass sie nur noch heute für unsere Sicherheit garantieren könnten. Vor der Abfahrt mußte ich noch unseren Mops, einen scharfen Kettenhund, an der Leine halten. Er schaute den Soldaten mit traurigen Augen an, der ihn erschoss. Das war ein trauriger Abschied von unserem Hof. Der Bauernwagen war beladen mit Lebensmittel für sechs Personen, Kleidung, Federbetten für die Schwestern (2 und 4 Jahre alt) und vor allem mußte man viel Hafer für die Pferde mitnehmen.

Als wir unseren Hof 1944 verließen, war uns noch gar nicht klar, dass wir in diesem Augenblick zu Heimatlosen und Flüchtlingen wurden und in eine ungewisse Zukunft gehen. Unsere Reise führte uns bei Essegg über die Drau nach Ungarn. Zwischen Drau und Plattensee ging es in die Steiermark. Nach 20 Tagen am 19.Nov.1944 kamen wir in Passeil bei Weiz, unserem vorläufigen Ziel an. Den Winter über blieben wir hier, denn auch hier kam die russische Front immer näher und unsere Kolonnenführer wollten vor den Russen in Salzburg bei den Amerikanern sein, doch es hat leider nicht geklappt.

Die Russen schickten uns nach Jugoslawien zurück, dort gäbe es jetzt genug Arbeit nach dem Krieg! Über das Mur- und Drautal kamen wir am 25.Mai.1945 zu Hause an. Noch am gleichen Tag gab der Volks?BefreiungsAusschuß (NOO) bekannt, dass wir diese Nacht in unserem Haus verbringen dürfen und dass wir am nächsten Tag in die Kreisstadt Djakovo gebracht werden, in ein Sammellager für Deutsche. Als alle Deutschen eingefangen waren, brachte man uns nach Tenje, dann Josipovac, beide Internierungs Lager waren überfüllt und man brachte uns nach Valpovo. Es waren Baracken vom Reichsarbeitsdienst, sie waren mit Stacheldraht gesichert, damit niemand hinein kam, - jetzt war das Lager gesichert, dass niemand heraus kann. Bewacht wurden wir von bewaffneten Partisanen.

Die Verpflegung, die verdiente den Namen gar nicht, das war doch keine! Am Morgen Schlehendornentee ohne Zucker, der soll gegen Durchfall gewesen sein. Am Mittag Bohnensuppe, Erbsensuppe oder Kartoffelsuppe, alles ohne Salz und Fett und von den Zutaten war am wenigsten drin, dazu noch ein kleines Stückchen Maisschrotbrot für den ganzen Tag, auch ohne Salz und halb roh. Bei der Hitze gab es 2x am Tag, am Morgen und am Abend nur sehr wenig Wasser. Der Kessel wird euch umbringen, haben die Partisanen zu uns gesagt d.h. der Hunger.

Ich bekam die Ruhr und magerte stark ab, ohne Haare war ich ein wandelndes Skelett. Der Gang zur Latrine wurde zur Qual, die einzige sanitäre Einrichtung für über 3000 Menschen. Klopapier war ein Fremdwort und Wasser zum Händewaschen gab es nicht. Wie soll man ohne Hygiene gesund werden? Über 1000 Tote gab es in diesem Arbeitslager. Für etwa vier Wochen kam die ganze Familie zur Zwangsarbeit auf eine Ziegelei, auch ich mit 14 ½ Jahren mußte arbeiten. So hatten wir in der Familie drei Arbeiter und drei Kinder. Die Verpflegung war etwas besser. Es wurde mit Salz gekocht und das Brot war besser. Milch für die Kinder mußte erbettelt werden.

Danach kamen wir ins Internierungslager Krndija. Das war ein ehemaliges deutsches Dorf, das evakuiert war und vollständig mit Stacheldraht eingezäunt wurde. Hier hungerten über 4000 Menschen und es starben 1300-1500 Personen an Hunger und Typhus. Die ganze Familie wurde in unseren früheren Heimatort Mrzovic, zur Zwangsarbeit in die Hanffabrik geschickt und nach einem halben Jahr von hier aus auf das Landwirtschafts Gut Vinkovci, das aus den Ländereien eines Grafen und von enteigneten deutschen Bauern gegründet wurde.

Vom 20. Okt. 1950 - 20.Okt.1952 war ich Soldat in Kumanovo in Makedonien. Ich wurde zum Funker ausgebildet in Sprechfunk und Morsezeichen, obwohl ich nicht Staatsbürger von Jugoslawien war.

Die kommunistische TITO-Regierung sah nochmals die Möglichkeit an den Schwaben Geld zu verdienen, bevor man sie nach Deutschland ziehen läßt. Um den Staatenlosen Paß zu bekommen, mußten pro Person 12 000 Dinar für die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft bezahlt werden, das waren immerhin - etwa drei Monatslöhne. Als ich am 21.08.1954 den Zug in Richtung Deutschland bestieg, war ich froh, mein geliebtes Heimatland, in dem ich geboren bin und gelitten habe zu verlassen.

NEUE HEIMAT

Am 23. Aug. 1954 kam die ganze Familie im Grenzdurchgangslager in Piding bei Freilassing an. Bei der medizinischen Untersuchung wurde ich gesundheitlich nicht beanstandet, da ich frei von Ungeziefer war, nicht mit DDT-Pulver entlaust und keine Krätze hatte. Die Röntgenuntersuchung auf Tuberkulose war ohne Befund. Dann kam noch die kriminaltechnische Befragung und die Abnahme von Fingerabdrücken einzeln und alle zehn Finger auf einmal. Die vier Wochen in Piding verbrachte ich mit Wanderungen in die Berge und nach Bad Reichenhall, sowie an der Autobahn zuschauen wie die Autos, die Horex- und BMW-Motorräder dahinfahren.

Nach Ulm kam ich am 28.09.1954 in das Landesdurchgangslager II in die Sedankaserne. Es folgten die Anmeldungen bei der Lagerleitung, Arbeitsamt, AOK und beim Einwohnermeldeamt. Ein Übersetzungsbüro mußte ich suchen um die Arbeitspapiere und Zeugnisse aus dem serbo-kroatischen ins deutsche zu übersetzen.

Keine Zuzugsgenehmigung ohne Arbeit und keine Arbeit ohne Zuzugsgenehmigung, bald hatten wir beides. Ich bekam Arbeit bei der Pflugfabrik Gebr. Eberhardt und später bei den Wieland-Werken. Mein Vater bei der Firma Vogel, der Bruder bei den Amerikanern im Wiley-Club und meine Schwester bei Südtrikot im Donautal. (später Triumpf Intern.) Eine Wohnung bekamen wir in Regglisweiler und die Möbel haben wir in monatlichen Ratenzahlungen angeschafft. Im Dorf waren wir schnell integriert, die Sprache hat uns kein Mühe gemacht und in den Vereinen wurden wir gerne aufgenommen. Bereits 1956 haben wir ein Zweifamilienhaus gebaut um keine Miete bezahlen zu müssen. Wir alle vier Geschwister haben geheiratet und die Eltern hatten 16 Enkel und die Mutter , sie ist jetzt 86 Jahren hat bereits 23 Urenkel.

Stefan Schwob, April 2000