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Stefan Schwob, Jg. 1930 |
Noch nicht ganz 14 Jahre alt, wurde ich am 29.10.1944 mit meinen Eltern und
Geschwistern und mit allen deutschen Dorfbewohnern aus meinem früheren
Heimatort Mrzovic in Kroatien, durch die Wehrmacht evakuiert. Mit Pferdegespann
ging die Reise in Richtung Essegg, wo wir ohne Reisepaß die Drau überquerten
und schon waren wir in Ungarn, der Evakuierungsschein hat genügt. Die Drau
bildete die GRENZE zwischen dem unabhängigen Staat Kroatien und Ungarn.
Zwischen Drau und Plattensee ging die Reise über Mohacs, Kaposvar wo wir bei
Heiligenkreuz die GRENZE zu Österreich passierten. Es gab keine Grenzkontrolle,
wir haben es nur dadurch gemerkt, weil hier deutsch gesprochen wurde. Mit den
Ungarn konnten wir uns nicht verständigen, wir verstanden kein Wort ungarisch.
Nach Fürstenfeld und Gleisdorf wurden bereits die ersten aus unserem Treck in
St. Ruprecht und Weiz in Quartiere eingeteilt, in Passail und Fladnitz fanden
alle restlichen eine Unterkunft. Es war bereits der 19.11.1944 und wir waren
also genau 20 Tage durch Ungarn unterwegs.
Den Winter hindurch ging es geruhsamer zu, obwohl die noch Arbeitsfähigen
Männer für vier Wochen an die ungarische GRENZE ins Burgenland zum
Stellungsbau beordert wurden, auch mein Vater war dabei.
Kurz vor Kriegsende haben unsere Kolonnenführer wieder ein GRENZE angepeilt und zwar die Deutsche; man wollte vor den Russen über Salzburg in Deutschland sein. Es hat aber nicht funktioniert, die russische Front hat uns in Rottenmann bei Liezen überrollt. Einer unserer Kolonnenführer sprach russisch und der hat sich mit Offizieren der roten Armee unterhalten, ihnen unsere Lage geschildert und sie um Rat gebeten. "Geht nur zurück nach Jugoslawien, da gibt es jetzt nach dem Krieg Arbeit genug". Das war Balsam für die Seelen unserer Erwachsenen, nichts wie zurück in die "Heimat" dann könnte man den Mais und Hafer säen, denn es ist ja erst der 08.Mai 1945.
Und wieder fuhr die Kolonne zielstrebig der österreich - jugoslawischen GRENZE zu, jetzt mit russischen Begleitpapieren. Wir konnten passieren, weil der Grenzübergang noch nicht richtig funktionierte und auch deshalb, weil die kommunistischen Machthaber Jugoslawiens glaubten, sie könnten die Steiermark an Jugoslawien angliedern. Sie sind auch in Graz einmarschiert. Später wurden sie von den Engländern zurückverlegt.
Der Drau entlang auf der jugoslawischen Seite sind wir am 26. Mai 1945 in
unseren "Heimatort" Mrzovic angekommen. Der Vater, der Bruder und ich
haben diese Reise in die Steiermark und zurück zu 90% zu Fuß zurückgelegt.
Der Vater sah sich schon am nächsten Tag auf seinem Acker beim säen.
Am nächsten Morgen brachte der Volksbefreiungs-Ausschuß (NOO) die etwa zwanzig
Familien ins Sammellager für Deutsche in die Kreisstadt. Es begann für uns die
Hungerzeit und die Unfreiheit. Danach kamen wir in das Arbeitslager Valpovo und
später in das Hungerlager Krndija. Es folgte die Arbeit auf dem
landwirtschaflichen Gut Nustar, später Vinkovci bis August 1954.
Zwischendurch war ich von Okt.1950- Okt.1952 Soldat bei der jugoslaw. Volksarmee, hier ging es um die jugoslawisch-bulgarische GRENZE. Bulgarien und Jugoslawien hatten zu dieser Zeit ein gespanntes Verhältnis, zweimal wurde ich mit einem Bataillon über Nacht zu Fuß von Kumanovo an die 80 km entfernte GRENZE verlegt und das in voller Kriegsausrüstung. Die kommunistische Diktatur Jugoslawiens hat mir nicht zugesagt. Das Vermögen meiner Eltern blieb konfisziert und kaufen konnten wir uns auch nichts, selbst wenn wir Geld gehabt hätten. Im Herbst 1952 fuhr ich mit der Bahn zur deutschen Botschaft nach Belgrad und stellte dort die Ausreiseanträge für die ganze Familie.
Wieder war die österreichische GRENZE bei Maribor in Sicht, die ich ja von früher her kannte. Die deutsche GRENZE ist aber für mich völlig neu. Am 23.August 1954 war es dann soweit, wir passierten die deutsche GRENZE und kamen im Grenzdurchgangslager Piding bei Bad Reichenhall an. Von dort kamen wir am 28.Sept.1954 in das Landesdurchgangslager II in der Sedankaserne in Ulm an. Erst jetzt ist für mich das Kapitel 2.Weltkrieg abgeschlossen.
Die letzten GRENZEN, die ich am 06.10.1999 überschritt, waren die zur
Republik Slovenien und Republik Kroatien, die jetzt unabhängige Staaten sind.
Es war eine Reise in die Vergangenheit und führte mich in das frühere
Hungerlager Krndija bei Djakovo. Auf den Massengräbern wurde ein Denkmal für
etwa 1500 Tote die dort 1945/1946 verhungerten eingeweiht. Unter den 17 Toten
aus meinem früheren Heimatort ist auch meine Großmutter. Initiator war der
Weltdachverband der Donauschwaben in Sindelfingen, deren Präsident Jakob Dinges
eine Ansprache gehalten hat. Ebenfall waren anwesend und hielten Ansprachen: Der
Bürgermeister der Gemeinde Punitovci Knesevic, vom Kroatischen Parlament Prof.
Dr. Miroslav Kis, von der Gespannschaft Osijek Goran Grlic-Radman und der
Deutsche Botschafter in Zagreb Dr. Volker Haak. Presse und TV waren auch da.
Diese Hungertoten haben es verdient nicht vergessen zu werden und dass man ihnen
nach 55 Jahren ein Denkmal gesetzt hat.
Bei dieser Gelegenheit habe ich auch meinen früheren Heimatort und entfernte
Verwandte besucht. Der erste Gang ging zum Friedhof wo mehrere Verwandte, mein
Bruder der mit vier Jahren starb, die Großeltern und die Urgroßeltern beerdigt
sind. Die Grabsteine stehen alle noch, die Inschriften kann man noch
einigermaßen lesen und der Friedhof ist gut gepflegt.
Stefan Schwob, Februar 2000