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Dr. Beatrice Spiegel, Jg. 38

Der  Rauschgoldengel

Wir bastelten ihn selbst, kauften Hände und einen oval geformten Frauenkopf aus hell rosa Wachs. Wir nähten changierende Taftgewänder, die wir mit Goldborten benähten oder beklebten. Mit ausgebreiteten Armen oder offen verschlungenen Händen hielten sie kleine, dünne Kerzchen, was ihren graziösen Ausdruck unterstrich.
Ihr Haupt umhüllte weißes oder mit Goldfäden durchwirktes Engelshaar. Am glücklichsten waren wir, wenn wir ihre Flügel aus echten Federn herstellen konnten.

Wußten wir, daß wir als kleine junge Frauen in diesen Engeln das Idol unserer eigenen Weiblichkeit, nur leicht als Drahtkörper zurechtzubiegen, darstellten?

Unerklärlich blieb uns der Name „Rauschgoldengel".

Wie paßte der Name „Rausch„, der bayrische Rausch, mit diesen Engeln zusammen? Oder „rauschte„ der Engel, wenn er, obwohl er gerade das nicht konnte, durch die Lüfte flog? Neidisch war ich, wenn man die Haare meiner blondgelockten Freundin mit denen eines „Rauschgldengels„ verglich.

Jedes Jahr erschienen die Rauschgoldengel zur Weihnachtszeit und wurden nach „Dreikönig„ wieder in Kisten verpackt bis zum nächsten Jahr. Sie gehörten zu Weihnachten in den 50-er Jahren wie der Christbaum.

Eindrücke in der Ausstellung „Historischer Christbaumschmuck„ in der Villa Rot b. Laupheim


Beatrice Spiegel, Januar 1999,   B.Spiegel@t-online.de