Zurück zur Zeitzeugen Homepage
Agathe Wende, Jg. 1930 |
Obwohl der jüngere Bruder der Mutter in Berlin lebte, sah ich
ihn doch in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg häufig in Karlsruhe.
Da die Eltern ein sehr enges Verhältnis zu diesem Onkel hatten, sprachen
sie oft von ihm.
Robert Treu hatte als Diplomat, der sich für die deutsch-französische
Verständigung einsetzte, unter Hitler, der in den Vorkriegsjahren
zunächst ein entspanntes Verhältnis zu Frankreich suchte, Karriere
gemacht.
Eine der Aufgaben von Robert Treu in der Dienststelle Ribbentrop war die Organisation des „Comite France-Allemagne" der Deutsch-Französischen Gesellschaft. Als deren Organ wurde eine zweisprachige Monatszeitschrift herausgegeben. Der Verlagsort der Zeitschrift war Karlsruhe, weshalb der Onkel uns oft besuchte.
Auf einer Tagung hatte Onkel Robert seine französische Frau kennengelernt. Tante Yvonne entsprach nur teilweise dem Bild der typischen Französin wie man es sich damals vorstellte, denn sie kam aus Nordfrankreich und war groß und blond. Tante Yvonne mit ihrer modischen Frisur, dem hochgesteckten Haar, war keine Schönheit, aber immer gut zurechtgemacht. Die Mutter sagte, dass die Tante mehr impulsiv als klug sei, eine ursprüngliche Natur. Mit der deutschen Sprache hatte Yvonne zeitlebens Schwierigkeiten. Dem Onkel, der mit ihr französisch sprach, gefiel die fehlerhafte deutsche Aussprache seiner Frau. Er korrigierte Yvonne nie. Sie konnte beispielsweise das H nicht aussprechen, was besonders auffiel, wenn sie den deutschen Gruß benutzte und „Eil Itler" sagte.
Onkel Robert war ein Familienmensch und gern bei seiner Schwester und ihrer Familie zu Besuch. Sobald die Tante bei einem solchen Besuch auf dem Sofa Platz genommen hatte, brachte ich das Strickzeug und bat sie, einige Runden zu stricken. Tante Yvonne nahm das Strickzeug in ihre gepflegten, großen Hände und begann auf französische Art zu stricken. Sie verknüpfte die Maschen auf ungewohnte Weise. Das Resultat war aber erstaunlicherweise das gleiche.
Nachdem ich der Tante eine weile beim Stricken zugesehen hatte, schlich ich mich in den Flur, wo sich Ursula, meine jüngere Schwester, bereits an der Handtasche der Tante, die sie auf der Kommode abgestellt hatte, zu schaffen machte. Unser liebster Zeitvertreib war nämlich, die Handtasche aus glänzendem Leder zu leeren. Wir wunderten uns immer wieder über die Fülle des Inhalts. Es war erstaunlich, was da alles herauskam: Puderdose und Lippenstift, Parfümflaschen, Feuerzeug und Zigaretten. Wir probierten alles aus, den Lippenstift, den Puder und das Parfüm, bevor wir die Handtasche wieder einräumten.
Der Besuch aus Berlin war jedesmal ein so interessantes Ereignis, dass
ich unbedingt daran teilhaben wollte. Ich kehrte leise ins Wohnzimmer zurück,
wo sich die Mutter mit ihrem Bruder und der Tante unterhielt. Der Onkel,
der mit seinem markanten Profil der Mutter auffallend ähnlich sah,
sprach gerade. Dabei saß er, seiner Gewohnheit gemäß,
mit zurückgeworfenem Kopf, vorgestrecktem Kinn und weit geöffneten
Augen da. Ich verstand, dass die Erwachsenen über Politik sprachen.
Aber was sie sagten verstand ich nur halb.
„Es tut gut", sagte der Onkel, „bei euch im friedlichen Karlsruhe zu
sein. In Berlin gibt es so viele Intrigen, von morgens bis abends. Ich
bin überarbeitet, rauche zuviel" Yvonne drückte den Arm der Mutter.
„Tu sais, Charlotte, Robert est tres nerveux. Dans la nuit, il grince
les dent."
„So, Robert knirscht nachts mit den Zähnen", sagte die Mutter,
„das hat er als Kind schon getan, wenn er sich aufregte." Die Mutter runzelte
die. Stirn. „Hätte es den Nationalsozialismus nur nie gegeben. Ich
habe nichts übrig für diese Massendemonstrationen, mit denen
sich Hitler in Szene setzt."
Der Onkel zündete sich eine neue Zigarette an.
„1936 wurde mit der Olympiade vor den Augen der Welt etwas verwirklicht,
was eine der größten deutschen Kulturleistungen ist."
„Hitler ist ein Hysteriker. Hör Dir nur seine Stimme an."
„Itler at Intuition", beteiligte sich die Tante jetzt an dem Gespräch.
„Angenommen Hitler besitzt wirklich Intuition. Was beweist das schon?"
sagte die Mutter.
„Itler ist für mich Jesus Christ." Bei diesen Worten lächelte
die Tante mit verzückter Miene.
„Du musst zugeben, dass der Führer mit seiner Politik Erfolg hat.
Das ist doch keine Suggestion", meinte Robert.
Auf dem kleinen, runden Tisch stand ein Aschenbecher mit einem goldenen
N. Der Onkel hatte ihn aus Paris mitgebracht. Das N bedeutete Napoleon,
das wußte ich schon. Der Onkel beugte sich vor und drückte die
Zigarette aus. Dann stand er auf und trat ans Klavier.
„Spiel doch etwas, Charlotte!"
Während die Mutter spielte, stand der Onkel neben dem Instrument
und verfolgte die Bewegungen der runden Arme und der weichen Hände
seiner Schwester, während .Yvonne mit den Stricknadeln klapperte.
Agathe Wende . Jahrgang 1930.
Geboren in Karlsruhe