von Horst Glameyer
Vielleicht entsinnen sich noch manche Leser/innen an die
Sonntagsspaziergänge mit ihren Eltern in ihrer Kindheit. Damals gehörte es zum
guten Ton, dass Knaben die Erwachsenen mit einer Verbeugung und Mädchen sie mit
einem Knicks begrüßten.
Begrüßung unter Vertrauten
Auch wenn an den heute gebräuchlichen Begrüßungsritualen durchaus zu erkennen
ist, wie unterschiedlich nah sich die Grüßenden stehen, drücken sie in der
Regel gegenseitigen Respekt aus. Sie reichen vom freundschaftlichen Handschlag,
der liebevollen Umarmung bis zum Begrüßungskuss.
Begrüßung unter weniger Vertrauten
Hier kommt zuweilen die Etikette ins Spiel. Es geht um Rang und Ansehen der
Beteiligten. Schon immer neigten die Bürger dazu, die Benimmregeln des Adels
nachzuahmen. Wer hat wen und in welcher Form zuerst zu grüßen, und wie hat die
Anrede zu lauten? Wer sich ungeschickt verhält, macht sich lächerlich oder muss
sogar Nachteile in Kauf nehmen. Seit altersher sind Rangordnungen zu beachten.
Verbeugung und Knicks der Kinder sind im bürgerlichen Leben kaum noch
gebräuchlich, während sie bei Hofe nach wie vor üblich sind.
Ganz anders auf dem Lande. Begegnen sich zwei Menschen auf einem Wald- oder
Wiesenweg, einerlei ob Kind oder Erwachsener, ob fremd oder vertraut, sie
grüßen einander.
Begrüßung an der Wohnungstür
Häufig ist es uns gar nicht mehr bewusst, dass wir die Schwelle zum Wohnbereich
selbst unserer Freunde erst überschreiten, nachdem wir dazu aufgefordert
wurden. Nur bei Gefahr im Verzuge, wie es in Kriminalfilmen oft heißt, dringen
Polizeibeamte ungebeten in eine Wohnung ein. Steht die Wohnungstür offen, und
niemand meldet sich auf unser Klingeln und Klopfen, wagen wir uns nur zögernd
in den Flur und machen uns durch Rufen bemerkbar. Die Aufforderung zum
Eintreten, selbst wenn unser Besuch angekündigt wurde oder wir eingeladen
worden sind, fast unverständlich dahin gemurmelt, scheint ein uraltes Ritual
(vielleicht aus der Zeit der Höhlenbewohner) zu sein, das uns ermutigt, den
Privatbereich eines anderen zu betreten.