Rituale und Gewalt
                                       Ellen Salverius-Krökel
In den 80er Jahren galten die Rituale eher als im Aussterben begriffen, auch wenn sie uns damals wie heute tagtäglich begleiteten. Sie hatten eben einen schlechten Ruf. Mittlerweile haben sie wieder Konjunktur, z.B. auch bei der Erklärung von Gewalt.

Um was es geht
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Der Klappentext gibt – mehr oder weniger – Aufschluss über den Inhalt des Buches von Thomas Hauschild, Ritual und Gewalt: „Noch in den 1980er Jahren galten religiös motivierte Rituale hierzulande als vom Aussterben bedrohte Spezies, als archaische Reste von bestenfalls folkloristischem oder unterhaltungsindustriellem Interesse, die in einer globalisierten, hoch technisierten und zunehmend säkularisierten Welt keine Bedeutung mehr haben würden. Zwanzig Jahre später hat sich diese Situation gründlich geändert. […] Gewaltexzesse, die scheinbar von außen in die westlichen Gesellschaften einbrechen, erweisen sich häufig als rituell grundiert und haben ihre europäischen Resonanzen und Gegenstücke.“ Der Autor versucht eine neue Sicht auf Rituale und deren Zusammenhang mit Ressentiments und Gewalt.

Kampf der Kulturen?
Es geht um Al Qaida, um den sizilianischen „Ehrenmord“, den „bösen Blick“ sowie andere magische und religiöse Riten und Fetischismen. Es geht dem Autor darum aufzuzeigen, warum das Mittelmeer etwas über die Mafia verrät und was daraus der Ethnologe bei seiner Feldarbeit erkennen kann. Er untersucht z.B. die Auswüchse und Ursachen männerbündischer Gewalt im Mittelmeerraum und versucht ein besseres Verständnis von Mafia, Protestkultur der 68er bis hin zu Al Qaida beim Leser zu erreichen. Er versucht auch zu erreichen, dass die Analyse von Bildern oder theoretischen Texten nicht für das Verständnis dieser Phänomene ausreicht

Ethnologische Feldforschung
Trotz der nur 250 Seiten für ein hochkomplexes Sachgebiet, entwickelt der Autor eine große Genauigkeit bei der Analyse des Gegenstandes. Aber er gibt den Lesern auch einen mitreißenden Einblick in sein Fach, die Ethnologie, und hier insbesondere die Feldforschung, der er nicht nur mit diesem Buch zu neuem Ansehen verhilft. Für den Autor bedeutet dies aufzuzeigen, was Geographie und Topographie über eine Gesellschaft und ihre Entwicklung aussagen können, wie daraus regionale Kulte, magische Praktiken oder eben Rituale sich bilden konnten. Werden diese Traditionen aufgebrochen, wie hier durch die Moderne, dann kann eine Gesellschaft in die Krise kommen. Versucht man, so Hauschild, Phänomene wie den globalen Terrorismus ohne diese Forschung vor Ort zu erklären, so hängen die Ergebnisse eher in der Luft, als dass sie wirkliche Erklärungen liefern. Hauschild spielt damit an auf das Buch von Huntington, „Kampf der Kulturen“.

Ritualisierter Alltag
Feldforschung über fremde Kulturen und Traditionen wird aber nicht nur am Ort ihres Entstehens ausgeübt. Um beim Beispiel Al Qaida zu bleiben: man müsse schon deutlich hinschauen, was die Attentäter des 11. September z.B. hinterlassen haben und dies in Beziehung setzen zu ihrer Herkunft und Entwicklung. Heimat war vielleicht das Nildelta, das Leben war durch die westliche Welt und das Ausbildungscamp in Afghanistan geprägt. Thomas Hauschild findet daher die sorgfältig verschnürten Schuhe des Attentäters sehr viel interessanter als „Bekennerschreiben“. Sagen diese „Kleinigkeiten“ nicht mehr aus über terroristische Gotteskrieger als der „Kampf der Kulturen“? Wenn man es denn nur zu lesen versteht? Rituale nennt der Autor diese eher kleinen Zeichen, ob nun Schuhe oder Körpererfahrungen bei der Ausbildung. Letztere heißen hier kalkulierte Grenzerfahrungen, die die Ethnologie auch im Mittelmeerraum und in der Arabischen Welt seit langer Zeit erforscht.

Rituale oder Ethnologie?
Am Ende bleibt zumindest die Frage, um was es dem Autor nun wirklich ging – um die Zukunft der Ethnologie oder um das Verständnis oder die Erklärung der mediterranen Rituale und der daraus entstehenden Gewalt . Hier bleiben Fragen ohne Antworten. Was die Ethnologie betrifft, ist ihm hier sicherlich der Beweis der Bedeutung der etwas in den Hintergrund getretenen Feldforschung gelungen.
So bleibt am Ende auch ein leiser Zweifel, was denn das Ziel des Buches war. Aber schlecht fand ich sein Buch dennoch nicht, es hat so manche Erhellung gebracht, hilft wieder Kulturgeschichte gegen den Strich zu lesen, hier und da auch in Frage zu stellen.

Titelinformation
Thomas Hauschild
Ritual und Gewalt. Ethnologische Studien an europäischen und mediterranen Gesellschaften
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2008, 258 S., 24,80 €

 

 
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