Arnold van Gennep: Übergangsriten
                                   Von Erna Subklew
A. van Genneps Buch „Übergangsriten" gehört bis heute zu den Standardwerken der Ethnologie und beschäftigt sich vorwiegend mit den Ritualen in den unterschiedlichen Gesellschaften.

Zum Autor
Arnold van Gennep ist am 23.04.1873 in Ludwigsburg geboren und 1957 in Bourg-la Reine gestorben. In der ersten Hälfte seines Berufslebens als Ethnologe erforschte er vor allem die Rituale der indigenen Völker. So führte er Feldforschungen in der Kabylei und auf Madagaskar durch.
Sein Buch über die Übergangsriten erschien bereits 1909. Es war dann lange Zeit vergriffen, ehe es 2005 wieder aufgelegt wurde.
In der zweiten Hälfte seines Lebens erforschte er die Ethnographie Frankreichs. Von 1912 - 1915 war er in der Schweiz und hatte in Neuenburg den Lehrstuhl für Ethnologie inne.

Die Theorie van Genneps
Bei seinen Forschungen in den unterschiedlichen Kulturen fand van Gennep heraus, dass man Rituale nicht allein ihrer äußeren Ähnlichkeit entsprechend klassifizieren kann, sondern sie immer im Zusammenhang mit ihrer Funktion, ihrer Bedeutung und  der Logik sehen muss.
Van Gennep vergleicht die Gesellschaft mit einem Haus, das eine Vielzahl von Räumen hat, die durch Gänge miteinander verbunden sind. Jeweils ein Raum entspricht einer Gruppe, die aber diesen Raum auch wieder verlassen muss, sei es wegen des Alters, der Ausbildung oder aus anderen Gründen. In der nicht-industrialisierten Gesellschaft sind die Unterschiede zwischen den Individuen einer Gruppe sehr groß, seien es in den Geschlechter- oder Altersgruppen, den Stämmen oder den Familien. In der industrialisierten Gesellschaft dagegen sind die Unterschiede geringer.

Die drei Phasen
5-jährige Kinder, die bisher als Gruppe in einem Kindergarten waren, lösen sich wegen ihres Alters aus dieser Gruppe, denn sie werden ein Jahr später die Schule besuchen. Für sie gelten nicht mehr die Privilegien der „Kleinen", wie kuscheln mit der Erzieherin und ähnliches.
Sie sind jetzt Vorschulkinder. Sie verlassen daher den Kindergartenraum und befinden sich im Korridor. Sie haben nicht mehr die Privilegien der Kleinen aber auch noch nicht die eines Schülers.
Turner hat van Genneps Modell der Übergangsriten aufgenommen und veranschaulicht sie in seinem Drei-Phasenmodell:

  • Trennungsriten
  • Übergangs- oder Schwellenriten
  • Angliederungsriten.

Im Zuge eines Rituals gelangt der Initiant in seinen neuen Status. Bei dem angeführten Beispiel wird unser Vorschulkind durch die Schultüte und den feierlichen Empfang in die neue Gemeinschaft der Schulklasse aufgenommen.
Übergangsriten regeln den Status- oder Positionswechsel von Individuen innerhalb von Gesellschaften und sichern so den Fortbestand der Gemeinschaft.

Warum Rituale
Van Gennep sagt, dass Übergänge und Brüche, die das Leben fordert, immer eine Gefahr für die Gesellschaftsordnung darstellen. Durch die Rituale wird das gesellschaftliche Leben kontrolliert und die Struktur der Gesellschaft nach Möglichkeit aufrecht erhalten. Riten sind für van Gennep "soziale Notwendigkeiten", die jeder Veränderung und der daher entstehenden Störung des sozialen und individuellen Lebens mit Ritualen begegnen und sie so überwachen und kontrollieren. Die von van Gennep aufgestellte Theorie wurde Jahrzehnte später der Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Arbeit von Victor Turner.

Titelinformation
Arnold van Gennep
Übergangsriten (Les Rites de Passage)
Campus Verlag, Frankfurt 2005
ISBN 3-593-37836-1

 
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