London im technischen Wandel |
von Lore Wagener Im 19.Jahrhundert war Großbritannien die bedeutendste Weltmacht und ebenso bedeutend wurde ihre Hauptstadt London. Sie war die erste wirkliche Metropole der Neuzeit und Vorbild für andere Hauptstädte. Dazu trugen die Leistungen ihrer Ingenieure entscheidend bei. Die erste Metropole der Neuzeit Großbritannien war während des 19.Jahrhunderts im Finanz-, Handels- und Ingenieurwesen dominierend. Dies wurde erst um die Jahrhundertwende von Paris oder New York in Frage gestellt. Mit der weltweiten Ausdehnung des britischen Empire war zudem der Wohlstand der Londoner Ober- und Mittelschichten gewachsen. Hier entwickelte sich die erste moderne Konsumgesellschaft. Sie wuchs rasant. 1860 lebten in London 2,2 Millionen Menschen, 1880 waren es 4,7 Millionen. Damit war London damals größer als die vier wichtigsten Hauptstädte des Kontinents zusammen. Einen Masterplan zur Stadtentwicklung gab es damals nicht. Ein noch aus dem Mittelalter stammendes System von etwa 300 kleinen lokalen Gremien kümmerte sich um die einzelnen Londoner Distrikte. Erst 1829 gründete Premierminister Robert (Bob) Peel mit der „Metropolitan Police" den ersten kommunalen Zweckverband in diesem Raum. Nach dem Premier nannte dann der Volksmund dessen Polizisten „Bobbies". Abwassersystem 1855 gründete man das „Metropolitan Board of Works", einen weiteren kommunalen Zweckverband, der im Bauwesen eine gewisse Zentralisierung bewirkte. Er nahm 1858 sein erstes Großprojekt - ein umfassendes unterirdisches Kanalisationssystem - in Angriff. Das war nach dem „großen Gestank" bitter notwendig geworden. Die Themse war damals umgeschlagen, weil das Abwasser der Millionenstadt ohne Klärung direkt in das Gewässer floss, während andererseits die Londoner ihr Trinkwasser auch aus dieser Brühe schöpften. Es stank unerträglich und Choleraepidemien blieben nicht aus. Allein im Jahr 1854 waren über 10 000 Menschen an Cholera gestorben. Der Oberingenieur Joseph Bazalgette baute den Londonern ein geniales Kanalsystem, das heute noch in Betrieb ist. Nach der Fertigstellung hatten alle Bewohner Londons sauberes Trinkwasser. Die Sterberate sank deutlich. Für viele europäische Kommunen wurde diese Ingenieurleistung zum Vorbild. Der erste Themsetunnel Auf den Londoner Brücken und Straßen herrschte damals das Chaos. Neben den unterschiedlichsten Pferdefuhrwerken durchquerten täglich etwa 35 000 Fußgänger die City. Diese blieben oft im Stau stecken - wie heute die Autos. 1798 begann man, über einen Tunnel zwischen den Londoner Ufern der Themse nachzudenken, der den Schiffsverkehr nicht störte. Das scheiterte zunächst an den technischen Möglichkeiten. Schließlich konnte man 1825 mit einer Erfindung, die dem Schiffsbohrwurm abgeschaut war, erfolgreich starten. Man baute erstmals im Schildvortrieb. Den Bau des ersten großen Unterwasser-Tunnels überhaupt finanzierte eine Aktiengesellschaft. Bauleiter war anfangs der junge Ingenieur Isambard Kingdom Brunel, der Sohn des Schildvortrieb-Erfinders. Die Bauarbeiten waren gefährlich und es gab manches Unglück. Der etwa 400 m lange Fußgänger-Tunnel wurde 1843 fertig und befreite nach seiner Einweihung durch Queen Victoria zunächst die Londoner Brücken von den täglichen Staus. Die Tower-Bridge Gegen Ende des 19.Jahrhunderts machte der stetig anwachsende Verkehr im Londoner East End den Bau eines weiteren Flussübergangs notwendig. Eine feste Brücke konnte es nicht sein, weil sonst der Zugang zu den Hafenanlagen zwischen der London Bridge und dem Tower of London abgeschnitten worden wäre. So entschied man sich für eine hydraulisch betriebene Klappbrücke, die Tower Bridge. Auch sie ist eine bewundernswerte Ingenieurleistung. Die beiden Brückenhälften (Baskülen = Wippen) können innerhalb einer Minute hochgeklappt werden, um größere Schiffe durchzulassen. Gewaltige dampfbetriebene Pumpen ermöglichten dies damals. Die Tower Bridge of London war zur Zeit ihrer Fertigstellung im Jahr 1894 die größte Basküle-Brücke der Welt. Die Fußgängerbrücke, die in 43 Metern Höhe über dem Fluss schwebt, wurde durch die Aufklappung nicht unterbrochen. Konstrukteur der Brücke war Horace Jones, der damalige Stadtbaumeister der City of London. Die Docklands Am East-End lagen die Docklands mit dem damals größten Hafen der Welt. Im Zeitalter der Dampfschifffahrt wurde hier auch experimentiert, denn es gab zwar schon kleine Dampfschiffe auf Flüssen und kurzen Seestrecken, aber auf hoher See konnte man noch nicht mit Dampf fahren, weil das Fassungsvermögen der Schiffe für die großen Kohlenmengen nicht reichte. Isambard Kingdom Brunel revolutionierte auch hier die Technik. Er baute erfolgreich die ersten großen Transatlantikdampfer mit stählernen Rümpfen. 1852 begann er mit dem Bau seines größten Projekts, der Great Eastern, einem Schiff von 211 Metern Länge. Er ließ es auf einer Werft auf der Isle of Dogs bauen. Das Schiff bekam einen kombinierten Schaufelrad-, Schrauben- und Segelantrieb und sollte die Welt umrunden können, ohne Kohle nachzuladen. Der Stapellauf des Segeldampfers gelang 1858, nachdem der erste Versuch, bei dem halb London zuschaute, dramatisch missglückt war. Das Schiff wurde später als Kabelleger eingesetzt. Der Eisenbahnbau England wurde ebenso zur Geburtsstätte der Eisenbahn, denn hier gab es die günstigsten Voraussetzungen, wie die große Stahl- und Eisenindustrie oder Erfahrungen mit Schienenwegen für die Loren im Bergbau. Und Engländer erfanden die Dampfmaschine. So konnten Ingenieure wie Stephenson mit den neuen Möglichkeiten experimentieren, und als 1830 die Strecke zwischen Liverpool und Manchester mit der 48 km/h-schnellen Dampflok Rocket Erfolg hatte, entstanden überall in England Eisenbahnen. Der schon genannte Ingenieur Isambard Kingdom Brunel wechselte zeitweise zur aufstrebenden Great-Western-Railway. Unter seiner Regie wurden die ersten Eisenbahnstrecken in England gebaut. Bewundert wurden die eleganten Bahnhöfe und vor allem die kühnen Viadukte und Untertunnelungen auf diesen Strecken. Sie galten als eines der Wunder des viktorianischen England. Die Abkürzung GWR der Great Western Railway übersetzte der Volksmund scherzhaft mit „God's wonderful railway". Das Schienennetz in London Die erste Eisenbahnlinie Londons wurde 1836 eröffnet. Die Eisenbahn, die Abteile in vier Klassen führte, wurde zum Verkehrsmittel für jedermann. Das Londoner System hatte jedoch neun Kopfbahnhöfe. Umsteiger mussten zwischen den Bahnhöfen mit Kutschen reisen. Daher wurde ab 1851 eine unterirdisch verlaufende Eisenbahn geplant. Oberirdische Straßenbahnschienen gab es seit 1861, allerdings nur für die Pferdebahn. Die „Elektrische" kam 1901. Die erste mit Dampfloks betriebene U-Bahnlinie der Welt wurde 1863 in London eröffnet. Sie wurde ein großer Erfolg. Am ersten Betriebstag fuhren 40 000 Personen damit, selbst Arbeiter, obwohl der Preis von drei Pence für sie ein ganzer Tageslohn war. 1880 beförderte die Metropolitan Railway bereits 40 Millionen Fahrgäste pro Jahr. Sie machte auch schon Werbung. Ein Werbespot behauptete zum Beispiel, dass der schwefelige Dampf der unterirdischen Loks für Asthmatiker besonders gut sei. 1890 wurde die erste elektrische U-Bahn eröffnet. Big Ben Die Engländer verstanden es, ihre technische Überlegenheit wirkungsvoll zu präsentieren. Als 1834 ein Großbrand das Parlamentsgebäude, den Palace of Westminster, völlig zerstörte, beschloss man, einen neuen prächtigeren Komplex zu bauen, der das Capitol in Washington übertreffen würde. Dies gelang auch, und der Glockenturm mit seinem gewaltigen Uhrwerk wurde zum Wahrzeichen der Metropole. Schon die Maße beeindruckten: Durchmesser der Ziffernblätter sieben Meter, Länge des Minutenzeigers 4,3, des Stundenzeigers 2,74 und des Pendels 3,9 Meter. Trotz seiner Größe ist das Uhrwerk so präzise, dass die Feinabstimmung mit Penny-Münzen gelingt. Mit der tonnenschweren Glocke hatte man weniger Glück. Die erste bekam sofort einen Riss, der Neuguss mit dem weltbekannten Klang hat ebenfalls einen Riss, hält aber trotzdem. Man drehte die Glocke einfach etwas und lenkte so den Schlägel auf eine andere Stelle. Die BBC sendet täglich den Liveton des Big Ben um die ganze Welt. Die erste Weltausstellung 1851 Eine bedeutende Gelegenheit zur Präsentation ihrer technischen und kulturellen Leistungen fanden die Engländer - mit dem Prinzen Albert an der Spitze - in der Weltausstellung, die sie 1851 erstmals ausrichteten. Sie setzten Maßstäbe, die nur schwer zu übertreffen waren. Schon der Kristallpalast des Architekten Joseph Paxton im Londoner Hyde Park war eine Meisterleistung. Paxton, der Gartenarchitekt, baute ihn wie ein großes Gewächshaus in Stahl und Glas mit lichtdurchfluteten hohen Hallen, in denen selbst die alten Bäume des Parks belassen wurden und auch große Maschinen in vollem Betrieb gezeigt werden konnten. Es kamen 14 000 Aussteller, davon 6 900 aus England. 25 Länder und 15 britische Kolonien waren beteiligt. Über 6 Millionen Besucher sahen die Exponate. Eine so große internationale Schau hatte es noch nie gegeben. Die Botschaft war klar: „In der Industrie und in der Wirtschaft war Großbritannien führend und konnte sich als Vorbild für die anderen Nationen etablieren." Links London - Geschichte Meilensteine: London Underground Isambard Kingdom Brunel Big Ben Die Weltausstellung 1851 in London Alle Bilder von Wikipedia, gemeinfrei.
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