Minderheiten in der Türkei
                                      Erna Subklew
Die Schwierigkeiten, die die Türkei mit ihrer größten Minderheit, den Kurden hat, dürften allgemein bekannt sein. Immer wieder hört man, dass ins Kurdengebiet Truppen geschickt wurden. Wer aber weiß, dass die Kurden nur eine von vielen türkischen Minderheiten sind?

Kleinasien wird türkisch
Von Türken und der Türkei kann man erst sprechen, nachdem aus dem Osmanischen Reich die Republik Türkei geworden war. Die aus Innerasien nach Westen ziehenden Stämme waren zwar Turkstämme, aber keine Türken. Auf den Weg nach Westen zogen die Oghusen, dann die Ghasnawiden, später setzten die Seldschuken oder Rumseldschuken den Weg fort, bis es einem Stammesfürsten mit Namen Osman gelang, die Beylerbeg (kleine Fürstentümer) zu einigen und damit den Bewohnern zu dem Namen Osmanen zu verhelfen.
Schon im siebten Jahrhundert hatten die Seldschuken den islamischen Glauben angenommen.
Im Jahre 1071 stießen die Seldschuken auf ihrer Westwanderung auf die christlichen Byzantiner, die sie in der Schlacht bei Malazgirt (Manzigert) schlugen. Wenn sie als Osmanen auch erst im Jahre 1453 Istanbul eroberten, so hatten sie doch schon vorher Bursa (Brussa) zu ihrer ersten Hauptstadt gemacht und waren bis nach Thrakien vorgedrungen, wo Edirne (Adrianopel) die nächste Hauptstadt wurde.

Die Besiedlung
Die Seldschuken kamen nicht in ein menschenleeres Land. Seit Jahrhunderten bewohnten Armenier, Aramäer, Griechen, Juden und Araber Kleinasien. Im vierten Jahrhundert nach Christi hatte das Armenische Königsreich bereits das Christentum als Staatsreligion eingeführt.
Die aufeinander stoßenden Kulturen befruchteten sich gegenseitig, und das Osmanische Reich erlebte verschiedene Phasen kultureller Blüte.
Wenn auch im Osmanischen Reich nicht offiziell eine Missionierung der ansässigen Bevölkerung durchgeführt wurde, so trat im Laufe der Zeit doch eine türkische Islamisierung ein.

Gründe der Türkisierung
Zwei Faktoren gelten dafür als besonders wichtig:
Wie schon erwähnt, versuchte man die dort angetroffene Bevölkerung, die man als Millets bezeichnet, nicht zu islamisieren. Die Millets mussten aber eine höhere Kopfsteuer bezahlen, unterlagen der Knabenlese und konnten keinen höheren Posten in der Verwaltung einnehmen. Dafür hatten sie eine eigene Gerichtsbarkeit und durften ihre Sprache und Kultur weiter behalten. Die Steuer und das Auftreten der islamischen Derwische, die eine große Nähe zu der Bevölkerung hatten, können für die Türkisierung mitverantwortlich sein.
Dabei trat die eigenartige Konstellation auf, dass der Westen der Türkei, entlang einer Linie von Erzurum bis Antakya weit stärker türkisiert wurde, als der Osten.
Die stärkste Türkisierung aber setzte unter Mustafa Kemal Atatürk ein, der den Rest des Osmanischen Reiches mit seinen Minderheiten zur Türkei mit einem türkischen Staatsvollk machen wollte.


Die Republik Türkei

Atatürk wollte in seinem Land die Gleichheit aller Bürger, ungeachtet ihrer Religion, Sprache und Herkunft, sofern sie die türkische Staatsangehörigkeit annahmen und sich zum Türkentum bekannten.
Gleichzeitig wurden den in der Türkei lebenden Minderheiten große Einschränkungen auferlegt. Armenier, Araber, Griechen und teilweise auch islamische Ethnien wurden nur in bestimmten Gegenden geduldet. Dorf- und Flurnamen wurden, wenn sie nicht Türkisch waren, geändert, um damit alles Nicht-Türkische zu löschen. In 12 Jahren bekam ein Viertel aller Dörfer der Türkei neue Namen.
Die bis dahin geduldeten Grundschulen der Minderheiten wurden geschlossen, alle türkischen Staatsbürger mussten ihre Kinder in die türkische Schule schicken, und jedes Kind musste und muss vielleicht heute noch, jeden Morgen den Spruch aufsagen: „Wie gut, wenn einer sagen kann: Ich bin ein Türke“. Eine Zeitung hat bis heute unter ihrem Namen den Spruch: „Die Türkei den Türken“ stehen.

Minderheiten heute
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Kurden im Osmanischen Reich

Viele der Minderheiten, vor allem die im Westen, die einer anderen Ethnie angehören, wenn sie auch Moslems sind, bezeichnen sich deswegen heute als Türken und haben zum Teil ihre Sprachen verloren, wie die Tscherkessen. Zwar wissen sie noch zu welchem Clan sie im Kaukasus gehörten, aber ihre Sprache ist Türkisch. Ebenso ist es bei den Krimtataren und den Lasen, von denen nur noch wenige Tausend ihre Muttersprache sprechen.
Die größte islamische Minderheit sind heute die Kurden. Man nimmt an, dass sie bis zu sieben Millionen Menschen zählen. (In den siebziger Jahren betrug die  Durchschnitts-Kinderzahl dieser Ethnie in der Gegend um Diyarbakir acht Kinder pro Familie). Sie haben es erreicht, dass man sie als Volk wahrnimmt. Inzwischen haben sie gewisse Rechte zuerkannt bekommen und es gibt Radiosendungen und Publikationen in ihrer Sprache.

Andere ethnische Minderheiten
Eine andere große Minderheit sind die Araber. Ihre Zahl wird heute mit ungefähr einer halben Million angegeben. Sie leben vorwiegend im Osten und Südosten der Türkei entlang der syrischen Grenze. Zwar sind die meisten von ihnen auch sunnitische Moslems, doch gehören sie einer anderen Rechtsschule an. Ein kleiner Teil ist christlich, wobei dieser Teil auch noch unterschiedlichen christlichen Gemeinschaften angehört.
Die anderen islamischen Minderheiten, die in der Türkei leben, sind nicht so groß oder aber leben, wie die Tscherkessen, nicht in geschlossenen Siedlungen. Sie sind mehr oder weniger türkisiert und werden nicht von Staats wegen als Minderheit anerkannt. Das sind neben den Tscherkessen die Lasen, die Tataren, die Angehörigen der verschiedenen Türkvölker und die Roma.

Religiöse Minderheiten
Neben den ethnischen gibt es Minderheiten, die zwar Türken sind, aber einer anderen islamischen Richtung angehören, wie die Aleviten.
Die Aleviten wurden lange Zeit in der Türkei verfolgt. Daher galten oder gelten sie unter den sunnitischen Türken als Anhänger einer Geheimreligion oder Sekte. Der Alevismus entstand im Mittelalter als Volksreligion und hat neben gnostischen auch christliche Züge. Aleviten lehnen die Scharia ab, fasten kürzer, haben keine Moscheen und der Koran ist für sie interpretierbar. Sie machen ungefähr 25 Prozent der Bevölkerung aus.
Daneben gibt es noch die verhältnismäßig kleinen Gruppen der Jeziden, Angehörige einer uralten Religion, die auf den Lehren Zarathustras basieren soll, die Tahtacis, die Hemşenlis und die jüdischen und christlichen Minderheiten.

Die christlichen Minderheiten

Wie schon erwähnt, stießen die Seldschuken bei ihrer Westwanderung auf christliche Länder. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch 25 Prozent der osmanischen Bevölkerung Christen waren, sind es heute nicht einmal mehr fünf Prozent.
Zu den indogenen Christen zählen die vorchalzedonischen und syrisch-orthodoxen Christen und einige wenige Konvertiten, die meist einer christlichen Freikirche angehören.
Von den ehemaligen Griechen gibt es nur noch wenige Tausend, man spricht von knapp über 5 Tausend, wobei diese Zahl aufgrund des Besuchs von Schülern der weiterführenden griechischen Schulen ermittelt wurde, es sich also auch um Angehörige einer anderen Ethnie handeln kann. Die letzte große Aussiedlung der Griechen geschah 1955 nach den Anschlägen auf griechische Einrichtungen in Istanbul.
Bei den Armeniern, die türkische Staatsbürger sind wie alle Minderheiten, schwankt die Zahl zwischen 40 bis 80 Tausend. Viele Armenier sprechen heute Türkisch als Muttersprache.

Andere Christen und die jüdische Minderheit
Daneben gibt es jetzt eine Anzahl ausländischer Christen. Diese Zahl ist im Steigen, einmal durch die Rentner, die sich in der Türkei ansiedeln, aber auch durch die „Gastarbeiter“, die aus Georgien und Armenien kommen und in der Türkei arbeiten.
Die jüdische Minderheit war im Jahre 1492 in die Türkei gekommen, als sie zusammen mit den Mauren, die die Schlacht gegen die Spanier verloren hatten, Spanien verlassen mussten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in der Türkei ungefähr 80 Tausend meist sephardische Juden. Heute sind es noch 20 Tausend, die in der Türkei leben. Sie lebten im Allgemeinen ohne große Anfechtungen. Zeitweise mussten sie allerdings eine besondere Kleidung tragen. Im Laufe der Zeit gab es vier Ausreisewellen, meist in die USA und nach Israel.
Im 17. Jahrhundert nahm eine Anzahl von vorwiegend in Thrakien wohnenden Juden den Islam an. Noch heute weiß man, wer zu diesen „Dönme“ genannten ehemaligen Juden gehört.

Links

Willkommen in der Türkei

Christliche Minderheiten

Kurze Geschichte der Türkei


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