Cajun-Country die etwas anderen USA
                                     von Lore Wagener
Im Delta des Mississippi lebt die größte frankophone Minderheit der USA. Die Cajuns, die dort wohnen, sind Nachfahren bretonischer Bauern, die ursprünglich nach Kanada auswanderten und später hierher verschlagen wurden.

Akadien in Kanada
L’Acadie hatten französische Forscher ein Gebiet an der Südostküste Kanadas genannt, das sie um 1598 für die französische Krone entdeckten. Dort siedelten sich  etwa ab 1604 Bauern aus der Bretagne an, die aus ihrer Ansiedlung eine blühende Kolonie machten. Sie kamen mit ihrer ertragreichen Land- und Viehwirtschaft zu einem gewissen Wohlstand, legten aber auch großen Wert auf die Pflege ihrer eigenständigen Kultur. Sie hatten sogar ein eigenes Theater auf Booten, das „Théâtre de Neptune“ - in den rauen Kolonialzeiten durchaus ungewöhnlich! Diese erfreuliche Entwicklung fand jedoch im Jahre 1713 ein jähes Ende, als die Franzosen nach dem englisch-französischen Kolonialkrieg ihre amerikanischen Kolonien an die Engländer verloren. Diese nannten das Gebiet fortan New Scotia und versuchten, daraus eine ordentliche englische Kolonie zu machen. Das gelang ihnen aber mit den romtreuen katholischen Akadiern nicht.

Le grand dérangement
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Evangeline, St. Martinsville; Foto gemeinfrei

Als die Akadier den Treueid auf die britische Krone und damit den Übertritt zur anglikanischen Kirche verweigerten, veranstalteten die Engländer im August 1755 das, was die Frankokanadier „le grand dérangement“ nennen. Die Akadier wurden vertrieben, ihr Besitz beschlagnahmt, Siedlungen und Ernte verbrannt und das Vieh getötet. Alle Spuren der akadischen Kultur wurden vernichtet. Soweit die Menschen nicht fliehen konnten, wurden sie auf englische Schiffe verladen und einfach an den südlicheren Küsten Nordamerikas ausgesetzt, wo sie keine Hilfe von den dortigen puritanischen Siedlern erwarten konnten. Einen anderen Teil dieser Menschen verbrachte man in die Londoner Gefängnisse oder die dortigen Hafenschuppen und später weiter auf die französischen Kanalinseln. 6.000 von den etwa 14.000 Akadiern sollen damals das „Dérangement“ überlebt haben.
Der Vorgang wurde allgemein bekannt, als der amerikanische Dichter Longfellow ihn 1847 in seinem Epos „Evangeline“ thematisierte.

Acadiana in Louisiana
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Louisiana in den USA; Urheber Huebi CC

Einem kleinen Teil der Vertriebenen gelang es unter vielen Strapazen, sich von Nordamerika oder Europa aus bis zur ehemals französischen Kolonie Louisiana durchzuschlagen. Die gehörte zwar um 1765 den Spaniern, doch hatten diese den französischen Gouverneur im Amt belassen. Dieser bot den Vertriebenen Land im Delta des Mississippi an. Etwa 1.600 Akadier wagten in dem schwierigen Siedlungsgebiet den Neuanfang. Nach ihnen wurde der amerikanische Distrikt später  „Acadiana“ genannt, und der Name der Bewohner wurde in „Cajuns“ verballhornt. Diese Cajuns verstanden es tatsächlich, sich in den Sümpfen eine neue Existenz zu schaffen, sprachen aber weiter ihr antiquiertes Französisch und scherten sich kaum um ihre wechselnden Obrigkeiten. Nach den Spaniern kamen zunächst die Franzosen wieder, bis Napoleon I. im Jahre 1803 Louisiana an die inzwischen gegründeten USA verkaufte.

Land am Golf von Mexiko
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Atchafalaya Basin; Foto gemeinfrei

Der Distrikt Acadiana liegt westlich von New Orleans und verläuft entlang der Golfküste bis zur texanischen Grenze. Zum Golf hin besteht er aus einem etwa 50 Kilometer breiten Streifen mit Marschland und Sümpfen. Der größte Süßwassersumpf ist dort das Atchafalaya Basin mit den Bayous Teche und Lafourche. Die Bayous, die sumpfigen Flüsse, und die Basins sind ein Paradies für Fische und viele andere Tierarten. Hinter dem Sumpfland erstreckt sich von Mamou aus die Prärie, heute dominiert von Reisfeldern, Sojabohnen und Viehzucht.
Der Distrikt Acadiana, das Cajun Country, umfasst knapp die Hälfte des US-Bundesstaates Louisiana. Sein Hauptort ist Lafayette mit 85.000 Einwohnern. Das tief gelegene Sumpfland ist teilweise so nass, dass dort Häuser und Straßen auf Stelzen stehen und selbst die Gräber höher gelegt sind. Ebenso ungemütlich sind dort die häufigen verheerenden Stürme, die auf der durch den Distrikt verlaufenden „Hurricane Alley“ wüten.

Im Mississippi-Delta

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Bayou Teche;Foto gemeinfrei

Das Leben der ersten Cajuns in den Sümpfen war hart. Sie begannen als Fischer, Trapper, Schiffsarbeiter oder Kleinfarmer. Am Bayou Teche landeten sie 1765 zuerst. Die Kirche von St. Martinsville wurde ihre Mutterkirche. Im Laufe der Zeit entstanden viele kleine Orte in der Region, und um 1860 gab es dort bereits 18.000 Acadians.
Es kamen aber auch andere französische Zuwanderer, zum Beispiel wohlhabende adlige Revolutionsflüchtlinge oder Kolonisten aus Haiti mit ihren Sklaven. Die ehemaligen Großplantagen und Herrenhäuser im Grasland, deren Reste man heute den Touristen zeigt, dürften von diesem Personenkreis stammen. Eine weitere Besonderheit ist hier die Tabasco-Saucen-Produktion der Familie McIlhenny, die aus Maryland zuwanderte.

Die Cajun-Küche
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Buch-Cover

Die alten Cajun-Familien pflegten bewusst ihre Traditionen. Dazu gehörte ihre Küche, die inzwischen weltberühmt ist. Sie ist vielfältig und ganz anders als die amerikanische Fast-Food-Tradition. Die Rezepte sind meist aufwändig, nicht unbedingt billig und brauchen viel Vorbereitungs- und Kochzeit. Cajun-Gerichte, wie „Jambalaya" oder „Gumbo“ oder „Crawfish Étouffée“ sind meist scharf gewürzt und deftig. Jambalaya ist eine Art Gemüse-Eintopf, Gumbo ein Eintopfgericht, bei dem man Hühnchen aufwändig würzt und in einer speziellen Mehlschwitze, der "Roux", mehrere Stunden kochen lässt, das Étouffée ist ein Gericht mit Flusskrebsen. Man verarbeitet viel Gemüse, aber auch Fleisch, vom Hackfleisch über kräftige Schnittwurst (Andouille) bis hin zu Hühnchen und Rindfleisch. Diese Küche ist im nahen New Orleans zu einer beliebten Touristen-Attraktion geworden.

Die Zeit der Schande
Als um 1900 im Golf von Mexiko Öl gefunden wurde, kam das nordamerikanische Business über die Sümpfe. Es gab dort einen Ölboom - und Amerika nahm nun Notiz von den Cajuns. Man fand sie erschreckend hinterwäldlerisch, denn sie konnten oft nicht lesen und schreiben und sprachen ein unverständliches Französisch. Plötzlich wurde "Cajun" ein Schimpfwort für ungehobelte Bauernlümmel. 1916 hat man den Cajuns sogar verboten, in ihren Schulen Französisch zu sprechen. Die Cajuns empfanden dies alles als „l'heure de la honte", als Zeit der Schande. Im Zweiten Weltkrieg leisteten ihre Soldaten aber sehr wertvolle Dolmetscherdienste in Europa, und viele von ihnen kehrten mit neuem Stolz auf ihre Kultur und ihre Herkunft zurück. Das führte zu einem Meinungswandel. Die Organisation „Council for the Development of French in Louisiana“ (Codofil) begann mit der Förderung der alten Cajun-Traditionen. Seit 1974 darf in den Schulen des Distrikts wieder Französisch gesprochen werden.

Cajun-Musik

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Cajun-Musikinstrumente; Foto gemeinfrei

Das Ansehen der Cajuns hat sich heute zum Positiven verändert. Ihre Kultur gewinnt  in Amerika zunehmend Anerkennung, besonders ihre Musik, eine seit Jahrhunderten überlieferte Volksmusik, für die es keine geschriebenen Noten gab. Ursprünglich spielte man nur auf „Fiddles“. Den Rhythmus schlugen Löffel und Triangel. Als deutsche Einwanderer um 1880 die Handharmonika mitbrachten, wurde diese als „Cajun-Accordion“ vereinnahmt. Erst später kamen Gitarre, Kontrabass oder Schlagzeug hinzu. Musiziert wird traditionell abends mit Freunden. An Wochenenden wird in großen Hallen zum Tanz aufgespielt. Die sehr laute Musik besteht meist aus schnellen Two-Steps und Stomps oder langsamen Walzern. Die Texte erzählen traurige und lustige Geschichten oder von Liebe, Herz und Schmerz. Nach dem Zweiten Weltkrieg interpretierten jüngere Bands die Cajun-Music neu. Auch Rockmusiker, wie der amerikanische Gitarrist Sonny Landreth, spielen oft mit deutlichem Cajun-Einfluss.

Ölpest in Louisiana
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Bohrinsel im Golf; Foto gemeinfrei

Der Lebensstandard der Cajuns hat sich durch die Ölindustrie allgemein verbessert. Die Ölquellen der dreißiger Jahre sind aber versiegt. Die Ölindustrie bohrt inzwischen mitten im Golf von Mexiko. Hunderte von Ölplattformen stehen in den Küstengewässern. Und weiter draußen - off shore - bohrt man in großen Tiefen, trotz der noch nicht beherrschbaren Risiken. Die Folgen der letzten gewaltigen Ölpest, die nach der Explosion der Plattform Deepwater Horizon entstand, sind noch nicht abzusehen. Die Fischer, deren Fischgründe und Austernbänke vom Öl zerstört wurden, bangen um ihre Existenz. Die gut verdienenden Ölbohrer dagegen, von denen es auch viele unter den Cajuns gibt, befürchteten, dass die Regierungen nun alle Tiefseeaktionen verbieten würden. Aber die Cajuns lassen sich nicht unterkriegen. Sie trotzten gerade erst dem Jahrhundert-Sturm Katrina und nun kämpfen sie gegen die Ölpest. „Ich muss zuversichtlich sein“, sagte ein Fischer tapfer im Interview
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Links


“Ich muss zuversichtlich sein“
, Ölkatastrophe im Golf

Im Land der Cajuns

Zwischen Gumbo und Burger

Cajun-Music auf Video

Musik-Video und schöne Bilder

Musik-Video
von Sonny Landreth

Bilder
Soweit die Bilder nicht gemeinfrei sind, haben sie diese CC-Lizenz
 
 
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