Sinti und Roma
                                      von Andreas Hoffmann-Richter, Gast
Die Alltagssprache ist voller abwertender und deshalb ausgrenzender und diskriminierender Redewendungen. Redewendungen wie herumzigeunern, Zigeunerleben, ja selbst der Ausdruck Zigeuner sind Zeichen eines Antiziganismus.

Sinti und Roma gelten als Ausländer
Damit verbunden ist die Bezeichnung dieser Minderheit als Ausländer, obwohl sie seit mehr als 600 Jahren in Deutschland leben und hier sesshaft geworden sind. Allerdings sollte man wissen, dass ihre Vorfahren 300 Jahre lang offiziell keine Erlaubnis zur Ansiedlung in Deutschland bekamen, sondern nur eine Genehmigung zu ambulantem Gewerbe. Solche Vorurteile zerstören die Möglichkeiten, Menschen in ihrer Individualität persönlich kennen zu lernen und tragen zur Ausgrenzung bei. Die Blickrichtung soll auf diesem Wege auf die Vorurteilsgeschichte und auf die Reflexion des eigenen Umgangs mit Ängsten und romantischen Wunschvorstellungen gerichtet werden.

Umfrage
Eine 1992 durchgeführte Umfrage des Allensbacher Instituts für Meinungsforschung zeigte, dass 64 Prozent der Deutschen eine negative Meinung über Roma hatten – ein höherer Prozentsatz als über jede andere ethnische und religiöse Gruppe. Eine Untersuchung des Emnid Instituts von 1994 zeigte, dass etwa 68 Prozent der Deutschen keine Sinti und Roma als Nachbarn haben wollen. Eine 1995 durchgeführte Umfrage wies Anti-Roma-Einstellungen auch unter der jüngeren Generation nach: 38 Prozent der Studenten im Westen und 60,4 Prozent in Ostdeutschland hatten negative Einstellungen gegenüber Sinti und Roma. Eine Studie des Europäischen Migrationszentrums (EMZ) in Berlin aus 2001 zeigte ein Muster fortdauernder Vorurteile gegenüber sowie Ausgrenzungen von Sinti und Roma auf.

Selbstbezeichnung
Sinti und Roma ist die Selbstbezeichnung einer überwiegend in Europa beheimateten Minderheitsgruppe von ungefähr 12 Millionen Menschen. Das Wort Roma meint „Menschen“ (männlich Singular Rom, weiblich Singular Romni): Das Wort Sinti (Einzahl Sinto, weiblich Sintezza) stammt möglicherweise von dem indischen „Sindh“ ab und weist auf die indischen Vorfahren dieser Minderheit. Die Sinti und Roma sind wohl besonders um 800 und 1000 n. Chr. aus ihrer ursprünglichen Heimat in Nordwestindien ausgewandert oder durch zuströmende Araber beziehungsweise Perser zur Auswanderung gezwungen worden. Das Wort Roma im weiteren Sinne kann als eine allgemeine Selbstbezeichnung angesehen werden, Sinti als spezielle Selbstbezeichnung der in den deutschen Sprachraum eingewanderten Teilgruppe.

Nach 1840
Eine zweite und engere Verwendung des Wortes „Roma“ hat sich im speziellen Sprachgebrauch der deutschen Sinti für die überwiegend erst nach 1840 nach Deutschland Eingewanderten eingebürgert. In Deutschland leben derzeit etwa 50.000 Sinti und 20.000 Roma in diesem engeren Sinne. Sinti und Roma haben eine eigene Sprache, das „Romanes“, das sich aus dem Sanskrit entwickelt hat.

Diskriminierung
Sinti und Roma verstehen die Bezeichnung „Zigeuner“ als diskriminierend. Hier klingen für sie die Vorurteile der Mehrheitsbevölkerung an. Diese Bezeichnung dient nach ihrer Erfahrung zur Diskriminierung. Das Wort Zigeuner stammt nicht aus dem Romanes und wird heute von der Antiziganismusforschung überwiegend als geschichtlich je verschieden gefülltes persisches, griechisches und türkisches Sammelwort der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung für Projektionen auf und Vorurteile gegen Minderheiten verstanden.
Sinti und Roma sind um 1400 nach Mitteleuropa eingewandert und wurden auch hierzulande diskriminiert und im Dritten Reich wie die Juden verfolgt, in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Zu konstatieren ist, dass dieser – letztlich trotz allen Erklärungsversuchen nicht begreifbare – Völkermord immer noch nicht ausreichend beachtet wird und die alten Klischees noch immer wirken.

Kulturelle Identität
Die kulturelle Identität der Sinti und Roma gründet in der eigenen Sprache, in den je eigenständigen Verbindungen und Abgrenzungen und Aufnahme von Kulturelementen der Mehrheitsbevölkerung und in der Erfahrung Jahrhunderte langer Verfolgung. Sie ist unter anderem gekennzeichnet durch einen reichen Schatz an Erzählungen, Märchen und Liedern, durch künstlerische, besonders musikalische und handwerkliche Traditionen (wie Kupfer- und Goldschmiedekunst, Korbflechterei, Holz- und Lederverarbeitung). Entgegen allen Vorurteilen sind Sinti und Roma in Deutschland ebenso sesshaft wie die Mehrheitsbevölkerung.
 
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