Wie Minderheiten entstehen |
von Anne Pöttgen Immer schon Wirklich sesshaft waren wir Menschen eigentlich nie, das zeigt ein Blick in die Geschichte. Familien, Sippen und ganze Stämme suchten ihr Glück in anderen Regionen - neue Minderheiten in fremden Siedlungsgebieten. Oft wurden die eingesessenen Menschen besiegt und unterdrückt – Minderheiten im eigenen Land. Minderheiten unserer Zeit Der Balkan, der Kaukasus, der Süden der ehemaligen Sowjet-Union, der Nahe Osten oder Afrika sind Gebiete, in denen erbittert gekämpft wurde und wird. Die willkürlichen Grenzen wurden von den Herrschern früherer Großreiche, wie dem Osmanischen Reich, Russland oder der Folgemacht Sowjetunion und von den Kolonialmächten gezogen. Ein großer Teil der Balkanstaaten wanderte sozusagen von Hand zu Hand. Eine Reihe kleiner Staaten im Kaukasus, die eigentlich gesonderte Siedlungsgebiete darstellten, wurde zu Zeiten der Sowjetunion durch willkürlich neu gezogene Grenzen Teile einer anderen Sowjetrepublik. Der im Sommer 2010 wieder entflammte Streit zwischen Kirgisen und Usbeken entstand daraus, dass die Usbeken sich früher als Bürger der Sowjetunion ohne Schwierigkeiten in der Nachbarrepublik Kirgistan niederlassen konnten. Der Balkan Im Jahre 1991 brach der Vielvölkerstaat Jugoslawien auseinander. Nachdem die dazu gehörenden Staaten unter vielerlei Herrschaften zusammen gelebt hatten, versuchten sie nun, selbstständig zu werden. Slowenien, Kroatien und Makedonien gelang das ohne größere Bürgerkriege. Andere Landesteile waren nicht so glücklich. Seit dem 14. Jahrhundert stand ein Großteil des Balkans unter Osmanischer Herrschaft, der Norden gehörte zum Habsburgischen Reich. Teile von Kroatien, Slawonien und Serbien wurden zum Zankapfel zwischen diesen beiden großen Reichen. Diesseits und jenseits der jeweiligen Grenzen lebten Minderheiten der einzelnen Völker. Seit 1918 gab es das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, aus dem 1945 die Volksrepublik Jugoslawien wurde. Nun lebten die Minderheiten innerhalb eines weiteren Großreichs. Dessen Ende schuf weitere Minderheitenprobleme, die die Internationale Friedenstruppe Ifor erforderlich machten. Bosnien und Herzegowina Wie kompliziert das Leben in diesem seit 1992 bestehenden Land ist, ergibt sich aus den folgenden Angaben: 3,8 Mio. Einwohner, davon 68 Prozent in Bosnien und Herzegowina und etwa 32 Prozent in der Republik Srpska; Landessprachen sind Bosnisch, Serbisch, Kroatisch mit lateinischem (bosnisch/kroatisch) und kyrillischem (serbisch) Alphabet. Entstanden ist dieses Völkergemisch durch die Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich. 1485 kam die Herzegowina als Teil des Bosnischen Reiches unter die Osmanische Herrschaft. Von da an holten die Türken moslemische Siedler ins Land. Am stärksten blieb allerdings die Volksgruppe der Serben. Durch einen Aufstand der bosnischen Serben endete die türkische Herrschaft. 1878 kam das Gebiet unter österreichisch-ungarische Verwaltung. Seitdem besteht der Name Bosnien Herzegowina. Ab 1918/1945 gehörte es zu Jugoslawien. Es konnte nicht zwischen den Volksgruppen aufgeteilt werden, da Serben, Kroaten und Bosniaken gemischt durcheinander lebten. Der Kaukasus Im Gebiet des Kaukasus leben etwa 50 verschiedene Völker, die sehr verschiedene Sprachen sprechen. Auch sie haben mehrere Großreiche überlebt, das türkische, das russische und die Sowjetunion. Ihre heutigen Probleme haben sie dieser Vergangenheit zu verdanken, ihre Siedlungsgebiete sind nicht mehr scharf voneinander getrennt. Ein Beispiel dafür ist Georgien, das vom Georgienkrieg 2008 her im Gespräch ist. Abchasien, eine autonome Region im Norden Georgiens, hatte sich für selbstständig erklärt, was von Russland anerkannt wurde. In der Vergangenheit hatten die Russen einen Großteil der moslemischen abchasischen Bewohner vertrieben und Russen und Armenier angesiedelt. Nordossetien gehört seit 1991 zu Russland, Südossetien ist eine autonome Region in Georgien. In beiden Teilen wird ossetisch, eine iranisch-indogermanische Sprache, und russisch gesprochen. In Südossetien sind 65 Prozent der Bevölkerung Osseten, 29 Prozent Georgier. Sprengstoff für die Zukunft. Zentralasien Die Geschichte der Staaten in dem Bereich östlich des Kaspischen Meeres ist höchst unterschiedlich verlaufen. Der Name Timur Lenk, Tamerlan, ist uns geläufig, seine Nachfolger, die Timuriden herrschten bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts im Bereich des heutigen Usbekistans. Dann erfolgte eine Einwanderung von Turkvölkern aus Sibirien, zu denen die heutigen Usbeken gehören. Ab 1868 erlangte Russland die Vorherrschaft in Zentralasien und begründete das Generalgouvernement Turkmenistan. 1924/25 entstand die Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik, aus der 1929 die tadschikische Sowjetrepublik ausgegliedert wurde, auf ethnische Zugehörigkeiten wurde dabei keine Rücksicht genommen. In Kirgisistan lebten schon seit dem achten Jahrhundert Turkvölker, lange Zeit gehörte es zum Mongolenreich, bis es im 18. Jahrhundert von den Chinesen annektiert wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert wurde es Teil Russlands. Kirgisistan Mitte Oktober wurde in Kirgisistan gewählt. Die Parteien sind, wie häufig außerhalb Europas, der verlängerte Arm regionaler und ethnischer Clans, sie vertreten also unterschiedliche Interessen. Laut Angaben des Auswärtigen Amtes gibt es im Land rund 80 Nationalitäten: 70 Prozent sind Kirgisen, Usbeken 15 Prozent, Russen 8,4 Prozent. 80 Prozent der Einwohner sind sunnitische Moslems, 16 Prozent russisch-orthodoxe Christen. Auch die Lebensweisen sind höchst unterschiedlich, die Kirgisen sind noch vielfach Nomaden, die Usbeken dagegen sind sesshaft. Und so führten Streitigkeiten um Wasser- und Weiderechte schon 1990 zu blutigen Zusammenstößen. Allein aus der jeweiligen Geschichte ergeben sich erhebliche Unverträglichkeiten. Die willkürliche Aufteilung der Sowjetrepubliken Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan zur Zeit der Sowjetunion sorgte zusätzlich für Reibungsflächen. Usbekistan und Tadschikistan Usbekistan ist der größte der 1991 entstandenen drei Staaten. Neben dem schon erwähnten Tamerlan sind einige der Städte des Landes auch bei uns bekannt: Taschkent, die Hauptstadt mit ihren 2,5 Millionen Einwohnern, und Buchara sowie Samarkand. 80 Prozent der Einwohner sind Usbeken, 5 Prozent Russen, 5 Prozent Tadschiken sowie Kasachen, Kirgisen, Turkmenen neben zahlreichen anderen Minderheiten. Tadschikistan ist der kleinste der drei Staaten, es liegt im Gegensatz zu Usbekistan zum größten Teil im Hochgebirge, am Dach der Welt, dem Pamirgebirge. Die Tadschiken haben eine ganz andere Geschichte als die beiden anderen zentralasiatischen Staaten, sie sind ein Iranisches Volk und sprechen eine indo-europäische Sprache. In ihrem Land aber leben neben, 68 Prozent Tadschiken, 24 Prozent Usbeken, Russen, Kasachen, Kirgisen und Turkmenen. Die Religion ist allerdings einheitlich islamisch. Und bei uns? Trotz unserer eigenen früheren Kleinstaaterei sind uns in Deutschland Minderheitenprobleme wie die oben geschilderten erspart geblieben. Unseren Umgang mit ethnischen, religiösen und anderen Minderheiten im vorigen Jahrhundert kann ich hier aussparen. Ernsthafte Probleme ergeben sich in neuerer Zeit, und es bleibt abzuwarten, wie gut wir damit fertig werden können. Links Jugoslawien Georgien Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken Quellen Zahlenangaben: Auswärtiges Amt Bilder: Juhan, Lizenz CC und gemeinfrei |
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