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Stichwort „Wert“
                                    von Lore Wagener
In unserem LernCafe zitieren wir ungern Nachschlagewerke. Wir meinen, dass Sie das besser selbst erledigen können. Hier wollen wir uns ausnahmsweise einmal anhand von Enzyklopädien ansehen, wie der Wertbegriff im Laufe der Zeit modifiziert wurde.
Brockhaus Real-Enzyklopädie 1875 - 1879
Zu meiner Recherche habe ich die mir zugänglichen Lexika aus dem Zeitraum von 1875 bis 2004 herangezogen. Das ist ein Zeitraum von 130 Jahren, in dem der Begriff des Wertes unter mannigfaltigen Aspekten dargestellt wurde, im Wesentlichen ökonomisch, später philosophisch und schließlich soziologisch-kulturell.
In der zwischen 1875 und 1879 erschienenen 12. Auflage der Brockhaus-Real-Enzyklopädie schreibt man den Begriff noch mit „th", also Werth und betrachtet ihn unter dem Aspekt der Nationalökonomie. Es heißt dort: „Der Begriff des Werths ist als ein Verhältnisbegriff aufzufassen, als eine Ansicht über das Maß von Bedeutung, welches ein Gut oder eine Dienstleistung für den menschlichen Lebenszweck hat. Der Werth eines Gutes beruht darauf, dass es ein menschliches Bedürfnis unmittelbar oder mittelbar zu befriedigen geeignet ist und deshalb von demjenigen, welcher dafür das Bedürfnis hat, zu besitzen gewünscht wird."
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Brockhaus Konversations-Lexika von 1895 und 1903
Auch hier wird der Wert - einschließlich der „höheren sittlichen und geistigen Güter" - ökonomisch gesehen. Dazu dieses Zitat aus der 12. Auflage: „Die höheren sittlichen und geistigen Güter, die geistigen Eigenschaften, die Talente, die erworbenen Kenntnisse, haben, abgesehen von ihrer absoluten Geltung, einen materiellen Werth. Und zwar sowohl für den Einzelnen, der sie besitzt, als auch für das Volk, dem der Einzelne angehört, ja selbst für die ganze menschliche Gesellschaft, sofern diese Güter wesentlichen Einfluss auf die Güterproduktion haben. Nur ist der Werth dieser geistigen und sittlichen Güter schon deshalb ein anderer als der Werth der Sachgüter, weil er sich nicht abschätzen lässt. Ähnlich verhält es sich mit den moralischen und geistigen Eigenschaften eines Volks, seiner Bildung und Aufklärung, seiner Arbeitsamkeit und Erfindungsgabe, seinem Geschmack, seiner Mäßigkeit, seiner Zuverlässigkeit, soweit sie Objekt wirtschaftlicher Betrachtung sind."

Der Neue Brockhaus von 1941

Unter dem Stichwort „Wert / Denklehre" schreibt diese Kriegs-Ausgabe: „Der Wert hat die Bedeutung von Geltung oder Würde, die einem Gegenstand zuerkannt wird. Er besteht in der Beziehung eines Ich zu einem Gegenstand. Diese Beziehung ergibt sich aus dem Werterlebnis und der Wertung". Jedes Buch ist zum Beispiel ein geistiger und ein wirtschaftlicher Wert.
Zur „Wertordnung" wird auf das Stichwort „Nationalsozialismus" verwiesen. Dort erfährt man, dass der Nationalsozialismus eine Weltanschauung sei. Ihr Kern sei die Vorstellung vom Volk „als einem verpflichtenden Wert gegenüber dem einzelnen und gegenüber dem Staat". Aus dieser Überzeugung leite sich das oberste sittliche Gebot ab: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz". Mit dem Bekenntnis zum Volk als einer blutmäßig und geschichtlich bedingten Gemeinschaft wende sich der Nationalsozialismus „gegen die Ideenwelt der Französischen Revolution von 1789 und der Revolutionen des 19. Jahrhunderts".

Brockhaus Enzyklopädie von 1952 - 1957
Diese Nachkriegsausgabe wendet sich wieder den demokratischen Werten zu und erklärt die philosophischen Aspekte. Sie verweist darauf, dass „Wert" zwar früher meist im ökonomischen Sinne gebraucht oder auf Lust- oder Unlustgefühle bezogen worden sei. Die Philosophen Lotze und Nietzsche hätten die Bezeichnung aber auch für eine Beschaffenheit von Personen, Sachen oder Zuständen eingeführt, die positiv etwa als angenehm, schön, edel oder aber negativ, etwa als unangenehm, eingestuft wurden. Zwischen 1890 und 1930 sei Philosophie oftmals als Wertphilosophie aufgefasst worden, als eine eigene Art von Gegenständen, die unabhängig von ihrem Erlebtwerden bestehen und in besonderen Akten des Fühlens als Wertgefühl erfahren würden. Die Wertlehre (Axiologie) teile die Werte nach verschiedenen Gesichtspunkten ein: etwa nach dem Wertträger oder nach dem Geltungsbereich in ethische oder ästhetische Werte oder nach den jeweiligen Beziehungen in leitende oder abgeleitete Werte.
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Brockhaus Enzyklopädie 1974
Diese Ausgabe befasst sich eingehender mit der Geschichte der philosophischen Bezüge: Die Vorstellung des Wertes sei im wirtschaftlichen Sinn schon bei Aristoteles vorhanden gewesen. Innerhalb der abendländischen Geistesgeschichte könne der Begriff des „Guten" als dem Wertbegriff entsprechend verstanden werden. „In diesem Sinne nimmt Platon eine entscheidende Stellung ein, der mit seiner über das Sein hinausgehenden Idee des Guten den Wertidealismus begründet hat." Im Unterschied hierzu geht der Wertrealismus auf Thomas von Aquin zurück. „Das Gute stellt bei ihm eine Selbstauslegung des Seins dar und verweist auf einen höchsten Wert." In der Ethik habe zuerst Kant den Begriff „Wert" verwandt. Unabhängig davon habe Nietzsche die Werte als Produkte menschlicher Setzung, die der Erhaltung und Steigerung von Macht dienen sollten, gedeutet.

Brockhaus-Enzyklopädie 1981

Dieser Ergänzungsband ist zu erwähnen, weil er auf die gegen Ende des 20. Jahrhunderts geführten Grundwertdebatten eingeht. Sie wurden von Moralphilosophen, Rechtswissenschaftlern, Politikern und Vertretern der Kirchen geführt mit dem Ziel, den Zusammenhang von Grundwerten und Grundrechten zu ergründen und die Frage „nach einer ethischen, rechtlichen, politischen und religiösen Neubegründung von konsensfähigen Werten" zu diskutieren. Solche Grundwertdebatten gibt es seither immer wieder, zum Beispiel aktuell zu Fragen der Bio-Ethik.
 
Brockhaus-Enzyklopädie 1986 - 1996
Diese Ausgabe betrachtet Werte auch aus sozio-kultureller Sicht:
„Von der Soziologie her gesehen bezeichnen Werte eine grundlegende, zeitnahe, allgemeine Zielvorstellung und Orientierungsleitlinie für menschliches Handeln und soziales Zusammenleben innerhalb einer Kultur. Nach erfahrungswissenschaftlicher Auffassung sind Werte geschichtlich entstanden, kulturpolitisch wandelbar und damit auch bewusst gestaltbar. Werte sind maßgeblich an der Prägung der Eigenart der jeweiligen Kultur beteiligt. Sie fundieren und rechtfertigen in Sinn gebender Weise die mehr konkret ausgeprägten sozialen Normen, die für ein gegenseitig abgestimmtes berechenbares Verhalten der Angehörigen einer Gesellschaft in den mannigfaltigen Situationen des Alltagslebens unerlässlich sind. Durch die Verbindung sozialer Normen mit Sanktionen sind Werte zugleich sozial indirekt sanktioniert."
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Meyers Neues Lexikon


Das Aktuelle Wissen.de Lexikon

In Band 24 aus 2004 fand ich Erläuterungen zum Wertewandel, also zur Veränderung von grundlegenden gesellschaftlichen und soziokulturellen Wertvorstellungen. Das Nachschlagewerk beruft sich auf die Beobachtungen des amerikanischen Politologen Ronald F. Inglebart, der seit dreißig Jahren umfassende Befragungen zu diesem Thema macht und auswertet. Nach den Thesen von Inglebart kann der Wandel entweder allmählich oder abrupt stattfinden, etwa infolge von Revolutionen. Nach seinen Beobachtungen gibt es zum Beispiel einen langsamen Wandel in den Wertvorstellungen der westlichen Industriegesellschaften. Hier wurden in letzter Zeit die materiellen Werte zunehmend von postmateriellem Werten abgelöst. Dadurch veränderte sich unter anderem das Wählerverhalten. Es entstanden neue soziale Bewegungen sowie politische Gruppierungen. Ein Beleg dafür ist der Aufstieg der grünen Parteien in Europa.

Links
Ändern sich die Lebensumstände, ändern sich die Werte

Brockhaus Enzyklopädie; Auflagen

Bischof Karl Kardinal Lehmann „Reden zur Zeit"


 
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