Was lesen wir im Sommerloch

Hier werden alle Bücher einsortiert, deren Diskussion beendet ist.
Brigitte Höfer
Beiträge: 440
Registriert: Donnerstag 9. Februar 2006, 17:51
Wohnort: 61440

Passig: Sie befinden sich hier

Beitrag von Brigitte Höfer »

Auf die Gefahr hin, dass ich gesteinigt werde, weil ich ein Stück Literatur seines Fleisches beraube, um das Skelett zu betrachten, hier meine Lesart:

Kathrin Passig ist möglicherweise die Enkelin eine Mannes - ihres Großvaters - aus dem Riesengebirge, heute Tschechien (S. 6).
Sie ist auf der Fahrt nach Berlin in der Nähe des Ortes Modr'y D°ul ausgestiegen, der vielleicht der Heimatort des Großvaters war, von dem aus die Familie mit ihrer Mutter Anne zu Ende des 2. Weltkriegs geflohen war. (Die Schwester heißt auch Anne, aber die ist hier sicher nicht gemeint, wenn die Protagonistin von Anne spricht. Früher erhielten die ältesten Kinder oft den Namen der Eltern. Die Autorin klärt diese Namensgleichheit nicht auf.)
Sie erinnert sich möglicherweise an Beschreibungen der Flucht und kommt möglicherweise selbst in einen Schneesturm; wie so oft gehen Fantasie und Realität in der Literatur ineinander über.

Sie macht sich Gedanken über ihre Mutter, über deren Einfluss auf ihr Leben: "Am größten ist die Gefahr dagegen, wenn man sich zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr verirrt." (S. 2) Nach meiner Lesart reflektiert sie, ob die Mutter in diesem Alter bei ihr (K. Passig) die Weichen falsch gestellt hat - die falsche Abzweigung... Das Herumirren in der Kälte...

Auch ich konnte mit demText lange nichts anfangen. Nun habe ich alle Links aufgerufen und die Kommentare gelesen und das alles kombiniert mit meinem autobiographischen Schreiben. Habe gesucht nach biographischen Daten, die sich in dem Text versteckt haben könnten. Und meine, fündig geworden zu sein.

Schön finde ich auf S. 3 die Umschreibung von Engeln mit "schattenhaften Begleitern", - eine Andeutung von kindlicher Religiosität - und den Verlust der Mutter zusammen mit dem Verlust des religiösen Glaubens.
Das weiße Hasenkaninchen aus "Alice in Wonderland" vermag nicht, eine märchenhafte Atmosphäre zu zaubern, denn es erscheint nur als Höhlenbewohner und erinnert an unangenehme Körperempfindungen von Schwere und Taubheit (Erfrierungen).

Im Ganzen betrachtet sehe ich in der Autorin die Tochter einer durch den Krieg und die Flucht traumatisierten und möglicherweise zur Erziehung eines sensiblen Kindes nicht fähigen Mutter. "Ich muss in Bewegung bleiben, um einen warmen Ort zu finden. Er wird nicht zu mir kommen." So sinngemäss ihre Aussage.

Ich bedanke mich bei allen Vorschreibern für ihre Hinweise und für die Geduld, ich habe lange gebraucht, aber immerhin...
Erna
Beiträge: 878
Registriert: Freitag 1. April 2005, 10:47

Beitrag von Erna »

Es ist eigentlich schön, zu wissen, dass Literatur so einen großen Einfluss hat. Ich muss zugeben, dass ich den Beitrag von K.P. lange nicht so intensiv recherchiert habe wie Brigitte. Wer meine vorhergehenden Beiträge gelesen hat, weiß das ja. Also, müsste ich ihn noch einmal lesen.
Erna
Gesperrt