Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch

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Erna
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Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch

Beitrag von Erna »

Keine Angst, ich habe das Buch weder ausgelesen, noch überhaupt angefangen. Aber schon wenn man es in die Hand nimmt, dann spürt man so etwas Ukrainisches. (Ich jedenfalls) Der Umschlag sieht aus, wie aus Packpapier. die Farben, wie aus der letzten Ecke des Farbeimers zusammengekratzt. Oder sind das alles nur Vorurteile, von früher. Ich wollte gerade sagen ,riecht Ihr nicht auch den Duft von Machorka? Oder kennt Ihr das gar nicht mehr?
Das große Lesen ist eröffnet.
Erna
ursel

infos zum Buch

Beitrag von ursel »

Ich fand die Buchaufmachung eher abtörnend, weil ich offensichtlich auch aus einer Zeit stamme, in der das nicht Ostalgie, sondern bittere Notwendigkeit und Geldmangel bedeutete. Man wusste auch nicht viel über Recycling-Papier. Ich habe mehrfach bewundernde Kommentare gelesen: ungewöhnlich, ostalgisch, wie man sich sowjetische Buchkunst so vorstellt, die Augen essen ja mit u.a.
Bei Machorka kam mir die Erleuchtung leider erst mittels Wikipedia.

Wer sich informieren will über Autorin und Buch, kann das hier auf den Lesen-Seiten bei ViLE tun:
http://www.gemeinsamlernen.de/vile-netz ... ik/Lewycka
ursel
Erna
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Beitrag von Erna »

Angetörnt hat mich die Aufmachung keineswegs. Ich überlege nur, warum hat das der Verlag gemacht? Das kann doch nicht verkaufsfördernd sein, oder?
Erna
ursel

Buchcover

Beitrag von ursel »

hallo, Erna,
wir sind doch einer Meinung, mich hat das unangenehm berührt, Dich auch, aber "Leute von heute" finden das wohl eher schick, der Ostalgie-Look (ich kannte das Wort ostalgisch überhaupt nicht) ist "angesagt", also hält der Verlag und die heutige Generation der Buchmacher es für verkaufsfördernd (dabei denken sie leider nicht an uns beide). Auf der Verlagsseite im Internet machen sie es fast wieder gut, denn da fährt der Traktor beständig durchs Bild (stört aber auch ein bisschen ...). So, jetzt wird es Zeit, mit dem Lesen anzufangen.
Ursel
Marlis Beutel
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Der ukrainische Traktor

Beitrag von Marlis Beutel »

Da ich annahm, wir würden schon am 1. September mit dem Lesen beginnen, nahm ich das Buch zu früh zur Hand . Es war pures Lesevergnügen. Vor allem befriedigte ich meine Neugier bezüglich Nikolai und Valentina. Aber auch die beiden Schwestern und ihre Beziehung standen im Vordergrund meines Interesses. Und wie schaffte es die Autorin, die Leser zum Schmunzeln zu bringen?

Aber das Buch hat noch einen ganz anderen Handlungsstrang: Es geht um das Schicksal dieser ukrainischen Familie und um das Schicksal der Ukraine in den letzten Jahrzehnten. Das erinnert an Portugal ("Nachtzug") und an das Leben der Neger in den USA ("Klang der Zeit"). Auch dort fiel mir auf, wie wenig ich wusste.

Es sieht so aus, als hätten wir bei diesem Buch wieder viel Diskussionsstoff.

Grüße von der Bergstraße! Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Beitrag von HildegardN »

Ich habe ganz vergessen, mich in die Diskussion einzuklicken, das will ich nachholen, denn ich habe schon früh angefangen zu lesen und zähle mich hier zu den Fortgeschrittenen. Die bereits geäußerten Meinungen zum "Äußeren" der Lektüre teile ich, aber was mir viel wichtiger ist, ist der Inhalt, der nicht nur mein Interesse findet, sondern zum Weiterlesen motiviert.
Zwar beeinträchtigen die streitbaren Schwestern mein Harmoniebedürfnis, und ich leide immer wieder mit dem Vater, der der Liebe wegen soviel Opfer bringt, ja, wie ich meine, dabei nicht nur ausgenutzt wird, sondern viel Kritik ertragen muß und Ansehen einbüßt.

Mehr als die Familienstreitigkeiten beschäftigt mich die politische Situation, oder genauer, das hier geschilderte Immigrantenschicksal mit seinen Auswirkungen. Auf wessen Kosten wird es wohl gelöst werden?
Zum Traktur habe ich mir bisher nur Notizen gemacht. Als ich vor etwa zwanzig Jahren die Ukraine besuchte, sah ich auf einem großen landwirtschaft lichen Grundstück - sorgfältig vor den neugierigen Besuchern verborgen, eine Ansammlung von verrotteten Maschinen, darunter auch ausgediente Traktoren. Daran wurde ich beim Lesen besonders erinnert. Ich komme noch darauf zurück, wenn ich weitergelesen habe.
Hildegard
Erna
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Beitrag von Erna »

Nun habe ich auch schon ungefähr 50 Seiten gelesen und finde das Buch sehr aktuell und interessant. Ich bin neugierig, wie alles seine Lösung finden wird: die Einsamkeit des alten Mannes, der sich mit über 80 verliebt, das Suchen nach Asyl der jungen Frau, die Streitigkeiten der Schwestern um das Erbe ihrer Mutter. alles Themen, die im gewöhnlichen Leben jeden Tag vorkommen. Dieses Mal werden sie aber aus englischem oder ukrainischen Gesichtspunkt betrachtet. Interessant!
Erna
Erna
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Beitrag von Erna »

Gestern habe ich weiter gelesen und im Augenblick finde ich, dass es ein sehr trauriges Buch ist. Einmal weil mich das Schicksal des alten Herrn anrührt, aber auch weil es so viele Klischees bedient, denn auch das Bild der jungen Ukrainerin steckt voller Klischees. Bekommt man nicht vermittelt, pass auf, du wirst ausgenützt? Selbst wenn jemand dem gleichen Volk entstammt wie du, wenn man nach dem Westen will, sind alle Mittel recht.
Interessant ist die Einarbeitung der "Kurzen Geschichte" und auch, dass man eine ganze Menge überdie Ukraine erfährt, die mir nicht sehr präsent ist.
Erna
HildegardN
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Beitrag von HildegardN »

Eigentlich wollte ich erst zuende lesen, bevor ich meine weiteren Eindrücke dem Forum anvertraue. Ernas Beitrag hat mich jedoch motiviert, ein wenig vorzugreifen.
In einigen Beurteilungen (auch seitens der professionellen LeserInnen) wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Geschichte des Traktors um ein amüsantes, komisches, einmal sogar witziges Buch handelt. Das empfinde ich gar nicht Es macht mich eher traurig, wie beispielsweise der Vater geschildert wird. Außerdem kommt hier sehr viel Negatives zur Sprache - warum nur?
Auch die Immigrantenprobleme wiegen schwer, aber es ist notwendig, sie zur Kenntnis zu nehmen. Deshalb ist es gut, dass die Autorin diese hier aufgreift.
Hildegard
HildegardN
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Beitrag von HildegardN »

Mit dem Roman „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ führt die Autorin Marina Lewycka die Leser mitten hinein in das Leben der ukrainischen Familie Majewski in England und verknüpft dieses mit einem weiteren Immigrantenschicksal: das der Urkrainerin Valentina. Beide Schicksale haben eine Vergangenheit, die in der Ukraine spielt und sich dem Leser teils erst im Laufe des aktuellen Geschehens öffnet – oder auch erst zum Schluß.
„Was zu Beginn wie eine leichtherzige Komödie mit schablonenhaften Figuren – seniler alter Mann, berechnende junge Frau, überbeschützerische Töchter – wirkt, entwickelt sich zu einer dunkleren und fein nuancierten Geschichte“, schreibt Michele A Berdy in der Moscover Times, und fügt hinzu: „ Das Ende ist ein kleines Wunder.“

Mir fällt es schwer, das überraschende Ende des Romans als „kleines Wunder“ zu akzeptieren, eher vermute ich, dass die Autorin dem Leser nach allen Aufregungen und Mit-Leiden einen versöhnlichen Ausklang präsentieren möchte – vielleicht nach dem vielpraktizierten Motto: Alles wird gut!
Nach dieser sehr persönlich gefärbten Beurteilung nun zur Hauptsache, dem Inhalt des Romans.
Es ist vor allem die Sprache, die es so leicht macht, sich in das Geschehen hineinzuversetzen, mitzuerleben und die immer wieder zum Weiterlesen motiviert.
Die Autorin hat mehrere Themenbereiche ausgewählt und sie miteinander verknüpft.
Ich habe abschließend jeden Bereich für sich betrachtet und finde, dass man die einzelnen Themenbereiche aus dem Gesamtinhalt herauslösen und sich mit jedem Thema gesondert befassen kann.
Da ist als erstes der Traktor, der dem Roman den Namen gegeben hat.
An zweiter Stelle das Immigrantenschicksal und -Problem.
Damit verknüpft: die poltische Situation, wie (situationsbezogen) die Ukraine im 2. Weltkrieg.
Der größte Bereich umfasst die Romanfiguren, die einzelnen Personen, wie Nikolai, den 84jährigen einstigen Flugzeugingenieur und seine streitbaren Töchter, Nadia und Vera sowie die (neben Nikolai) im Mittelpunkt stehende Ukrainerin Valentina mit ihrem Sohn Stanislev.

Ich habe das Buch jetzt zuende gelesen, werde jedoch die „ausgewählten“ Themenbereiche noch einmel aufgreifen und demnächst im Forum über meine Eindrücke berichten.
Hildegard
Marlis Beutel
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Der Traktor

Beitrag von Marlis Beutel »

Je mehr man sich in das Buch vertieft, desto tiefer wird auch das Buch. Ist es nicht raffiniert, es als kurze Geschichte des Traktors zu betiteln?
Kaum eine Frau würde das Buch kaufen, wenn man es ihr nicht empfehlen würde. Trotzdem ist es vor allem ein Buch für Frauen. Würden auch Männer es lesen?

Ich hatte übrigens kein Mitleid mit dem alten Herrn, sondern war ganz froh, dass die jüngere Tochter so mit ihm umgehen konnte, wie sie es tat.
Wenn mein Vater mich hinauswarf, kehrte ich nicht zurück, denn ich nahm ihn viel zu Ernst und hatte Angst vor ihm. Der alte Herr wird doch sehr verständnisvoll geschildert in seinen Stärken und durchaus auch liebenswerten Schwächen.

Valentina wird heftig abgelehnt als Stiefmutter, aber sie beeindruckt sogar die Töchter! Mich hat sie durchaus an einen bestimmten Frauentyp erinnert. Wie sie durch Männer wahrgenommen wird, wirkt sich auch auf ihr Selbstverständnis aus und auf ihr Verhalten.

Man könnte das Buch glatt ein drittes Mal lesen!

Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Beitrag von Erna »

Nein, leid hat mir der alte Herr auch nicht getan. Denn man konnte ja nicht einmal sicher sein, ob er das, was man mit ihm ausgehandelt hat, auch wirklich einhält. Die Faszination durch Valentina war doch sehr groß und seine Zuwendung zu allem "Ukrainischen" auch. Deswegen erscheint mir die Konstruktion des Schlusses nicht ganz geglückt.
Sehr gut geschildert fand ich das Verhältnis der beiden Schwestern zu einander.
Erna
Brigitte Höfer
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Kleines Wunder

Beitrag von Brigitte Höfer »

Liebe Hildegard,
ich fand Deine Beschreibung des Buches sehr gelungen und einfühlsam.
Anstelle der Themenbereiche würde ich gerne von Ebenen sprechen, die in diesem Roman angesprochen werden. Es gibt eine technische, politische, geographische und ökonomische Ebene, die miteinander verwoben und allesamt von emotionalen Farben durchzogen sind. Da alle diese Ebenen auch noch in ihren historischen Dimensionen angesprochen werden, entfaltet der Roman in seiner scheinbar einfachen Sprache eine Ahnung davon, wie komplex und vielfältig ein Menschenleben sein kann! - (Meistens sieht man das einem Menschen von außen ja gar nicht an, nicht wahr?!)
Wenn dann auch noch so viele komplizierte Menschen zusammenkommen, wird's richtig schwierig! Da grenzt es schon an ein kleines Wunder, wenn sich die Irrungen und Wirrungen ohne Mord und Totschlag (zumal bei sehr leidenschaftlichen Menschen!) auf gute und menschliche Weise lösen.
Ich habe den Roman sehr genossen. Das neue Buch von Marina Lewicka heißt "Caravan" und liegt auf meinem Schreibtisch...
Liebe Grüße aus Oberursel von Brigitte
HildegardN
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Beitrag von HildegardN »

Ich greife Brigittes Ausführungen auf, die sich auf die "vier Ebenen" beziehen: die technische, die politische, geographische und ökonomische Ebene. Der technische Bereich wird vom Traktor dominiert, der diesem Buch auch seinen Namen gab.
Die "Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" ist zugleich ein Teil der Geschichte der industrialisierten Landwirtschaft in der Ukraine und zeigt darüber hinaus auch einen Einblick in die weltweite Entwicklung der Technik in anderen Ländern mit ihren positiven und auch negativen Folgen. "Die ersten Traktor-Konstrukteure hatten davon geträumt, Schwerter zu Pflegscharen werden zu lassen, doch als sich nun der Geist des Jahrhunderts verdunkelt, müssen wir feststellen, dass Pflugscharen zu Schwerter werden", fasst die Autorin die Entwicklung des Traktors in der Sowjetunion kurz zusammen und verweist damit auf den Einsatz des T-34, "von dem es heißt, er habe im Zweiten Weltkrieg entscheidend dazu beigetragen, das Blatt zu wenden". (S.138).
Und noch etwas: Die Geschichte des Traktors auf Ukrainisch im engeren Sinne wird erforscht und aufgezeichnet durch den 84jährigen Ingenieur, der immer wieder als seniler alter Mann bezeichnet wird. Durch seine Initiative und sein Können erfährt der Leser, dass hohes Alter, Forschungsdrang und Kreativität sich nicht ausschließen. (Ein Pluspunkt für die Autorin von einer die Kompetenz im Alter verfechtenden - ebenfalls aktiv alt gewordenen - Leserin!)
Hildegard
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Carmen Stadelhofer
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Mehrere Perspektiven

Beitrag von Carmen Stadelhofer »

Ich habe das Buch bis zur Hälfte sehr gerne gelesen, mich über die Beschreibungen der Personen und Verhältnisse amüsiert und dabei durchaus den ernsten Hintergrund wahrgenommen, und eine Menge Neues über die Ukraine gelernt. Die einzelnen Personen können jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden, was dann auch zu unterschiedlichen Einschätzungen führt (die Töchter-Vater-Schiene, die Mann-Frau- Schiene, die Schwestern-Schiene, die Alt- und Neu-Migranten-Ebene bzw. die, die in GB sind und die, die dort dauerhaft aufgenommen werden wollen,.....). Danach war für mich der Pfiff weg, die Story wurde langatmig, zu viele Klischees und das Ende wie im Märchen. Aber das Buch beinhaltet eine Menge aktuelle Problemlagen. Gibt es nicht viele Valentinas, auch bei uns, die aus Polen, Rumänien und der Ukraine geholt werden, damit sie ältere Familienangehörige billig pflegen? Und wenn dann ein älterer Mann noch mal einen neuen Aufschwung nimmt? Und sie eigentlich nicht dauernd betatscht werden möchte... Und wie ist es mit dem Motiv, den eigenen Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen, weil Bildung ja den Schlüssel darstellt für eine selbständige, finanziell wie politisch unabhängige Zukunft? Und und..
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