Doris Lessing: Das fünfte Kind

Hier werden alle Bücher einsortiert, deren Diskussion beendet ist.
Erna
Beiträge: 878
Registriert: Freitag 1. April 2005, 10:47

Doris Lessing: Das fünfte Kind

Beitrag von Erna »

Wie gewohnt hat Ursel, pünktlich zum angekündigten Termin, die Materialien zu Doris Lessing ins Internet gestellt. Danke dafür.
Die vergangene Woche habe ich mit dem Lesen des Buches begonnen. Es rührt mich sehr an, da ich immer wieder auf sehr Bekanntes stoße. Wenn ich z.B.von den Treffen der Familien zu allen sich ergebenden Gelegenheiten lese. So ähnlich war es z.Zt. in meiner Kindheit im Hause meiner Großeltern.
Aber das war in den 30er Jahren. Doris Lessings Roman spielt aber in den siebzigern. Da pflegte man bei uns wohl nicht mehr die Familienzusammenkünfte so sehr.
Das Buch schreitet inhaltlich sehr schnell vorwärts. Bereits nach 50 Seiten (und 6 Jahren) hat Harriet vier Kinder geboren und erwartet ihr 5 und ist sehr müde, was an sich nicht verwunderlich ist. Das gute Einvernehmen der Verwandtschaft bekommt die ersten Sprünge, da diese die schnelle Geburtenfolge schon etwas erstaunlich findet. Auch deswegen, weil die große Familie weder finanziell noch Kräfte mäßig abgesichert ist.
Allen die noch nicht angefangen haben viel Spaß, bis jetzt ist es gut zu lesen.
Erna
Brigitte Höfer
Beiträge: 440
Registriert: Donnerstag 9. Februar 2006, 17:51
Wohnort: 61440

Familienidylle

Beitrag von Brigitte Höfer »

Liebe Erna,
Familienleben- wie sieht es heute aus? Welche Vorstellungen gibt es davon? Auf jeden Fall kenne ich keine Frau, die mehr als vier Kinder haben will.
Du hast recht, auch ich war erstaunt, die Zeitangaben zu lesen. Ich dachte dabei: Na gut, warum nicht; es ist gut möglich, dass es in diesem konservativen England noch so was gibt. Und dabei spielt natürlich das Vorurteil mit, dass England konservativ sei.
Egal, ob es den Traum von der heilen Familie noch gibt oder nicht, ich fand die Geschichte einfach großartig. Sie beschreibt, wie eine Seifenblase platzt. Sie beschreibt, welche Dissonanzen auftauchen, wenn in der Familie jemand weiterhin dem Traum verhaftet ist, während andere längst aufgewacht sind.
Meine Mutter, vor 100 Jahren geboren (und 2001 gestorben) hatte diesen Traum von der heilen Familie auch. Heil und heilig. Unterstützt wurde sie durch die Ideologie des Nazi-Reichs.
Das Ansehen der Familie war das Höchste und besudelt wurde es durch Krankheit, Faulheit oder Kritik: der Betreffende wurde als Nestbeschmutzer gebrandmarkt. (Unter Hitler wurden die Behinderten aussortiert und umgebracht.)
Ich werden mir den Roman "Ben im Leben" besorgen. Bin doch zu sehr gespannt, wie Doris Lessing seinen weiteren Lebensweg beschreibt.
Durch den Fernsehfilm über die Contergan-Opfer sind wir erneut aufgerüttelt worden, über unseren Umgang mit Behinderten nachzudenken.
Liebe Grüße aus Oberursel von Brigitte
Benutzeravatar
ellen
Beiträge: 276
Registriert: Montag 4. April 2005, 18:47
Wohnort: Stuttgart
Kontaktdaten:

Beitrag von ellen »

Für alle, die sich noch weiter über Doris Lessing und dann auch über "ihren" Nobelpreis informieren wollen, finden hier mindestens 4 sehr aktuelle Artikel
http://www.literaturkritik.de/public/in ... abe=200711

Es ist ein ganz gutes Online-Journal!

Ellen
Madeleine

Aus der Umgebung von Lyon

Beitrag von Madeleine »

Hier unten die ersten Eindrücke einer Französin, die diesen englischen Roman auf Deutsch gelesen hat :
Das Buch liest sich leicht und schnell (wie ein Krimi). Die Sprache ist einfach, die Übersetzung fällt nicht auf : das Lesen auf Deutsch hat mir also weniger Probleme gestellt als gefürchtet (ich war erleichtert).
Das Buch ist nicht in Kapitel eingeteilt, keine Verschnaufpause also, sozusagen wie bei der ununterbrochenen Geburtenfolge.
Das Buch hat kein richtiges Ende. Die Fortsetzung "Ben bei seinem Leben" lese ich gerade, leider ist die fr. Übersetzung nicht sehr gut.
Ein lustiger Zufall : den Roman habe ich gelesen, nachdem ich am selben Tag im Kino meines Dorfes den fr. Dokumentarfilm "Der erste Schrei" gesehen hatte. Der Film zeigt die Art und Weise, wie Frauen aus aller Herren Länder (etwa 8 an der Zahl) ihr Kind zur Welt bringen. Nach anderthalb Stunden hatte ich genug : zu viele Nahaufnahmen von "Heissluftballons", sprich fast provokanten Bäuchen werdender Mütter, und es wimmelte so sehr von Neugeborenen in einer im Film gezeigten "Kinderfabrik" in Viet-Nam, dass ich mit Sehnsucht an die Zeit zurück gedacht habe, wo unsere Generation die Revolution der Anti-Baby-Pille mit Begeisterung begrüsst hat (ich bin übrigens das glückliche 4. Kind meiner Mutter gewesen und ich freue mich selber 3 Kinder zu haben) Kurz und gut, nach dem Film der triumphierenden Babys war bei mir also das Buch "das 5. Kind" dran und ich musste wieder Kettengeburten über mich ergehen lassen. Gott sei dank, ich habe es überlebt.
Spass beiseite. Nun zum Inhalt des Romans (in Stichwörtern) :
Einfach unheimlich ! Und das um so mehr, als das Buch nicht nur als ein Fantasybuch gelesen werden kann, sondern auch als die parabelartige Zuspitzung eines realen Problems, des der mongoloiden Kinder. Der Leser muss daran denken.
Das Buch bereitet dem Leser ein tiefes Unbehagen. Eines wie ich es persönlich bei anderen Büchern/Filmen schon empfunden habe.
Woran denke ich dabei ? Etwa an
Kafka : Die Verwandlung (Ben/Gregor)
Süskind : Das Parfüm (Ben/Grenouille)
Schneider : Schlafes Bruder (Ben/Elias)
An den David Lynch Film "Der Elefantenmensch"
und nicht zuletzt an Kaspar Hauser, natürlich.
Was ist mir noch mehr beim Lesen eingefallen ?
- Die Debatte um die Genmanipulation, aber parallel dazu die guten Aussichten der Gentherapie
- Das neu eingeführte Gesetz (bei uns in Frankreich) zugunsten der Einschulung der behinderten Kinder in normale Klassen, was Probleme mit sich zieht, sowohl bei den Lehrkräften als auch bei der Mitschülern solcher Kinder und deren Eltern. Bitte, wie sieht es in Deutschland diesbezüglich aus ?
Eine Stelle im Buch hat mir besonders gut gefallen, die Beschreibung der grossen Tisch. Bei mir zu Hause steht nämlich auch so ein grosser Tisch, der heute nicht mehr wie früher so viele Gäste um sich versammelt...so ist das Leben, nicht nur in Romanen !
HildegardN
Beiträge: 262
Registriert: Mittwoch 20. September 2006, 14:13

Beitrag von HildegardN »

Das Buch liest sich, wie schon Madeleine ausführt, leicht und schnell, wie etwa ein Krimi. Trotzdem ist es mir schwer gefallen, es zuende zu lesen. Es ist zu grausam, und, da pflichte ich wieder Madeleine bei: es bereitet dem Leser Unbehagen. Besonders liegt es wohl an der Auswegslosigkeit, die ein jeder spürt. Dennoch habe ich bis zum Schluß gehofft, dass sich vielleicht doch noch eine, wenn auch kleine Lösung oder zumindest Hoffnung abzeichnet. Das hat sich nicht erfüllt, und so bleibt die Frage offen, die auch bei unserem Chat am Freitag gestellt wurde: "Was hat Doris Lessing mit diesem Roman, einem Familiendrama mit einem schier auswegslosen Horrorszenario, sagen bzw. bezwecken wollen"?
Hildegard
Erna
Beiträge: 878
Registriert: Freitag 1. April 2005, 10:47

Beitrag von Erna »

Wie schon gesagt, ich bin noch nicht mit dem Buch fertig, aber trotzdem. Bis zum Chat, leider hatte ich Madeleine noch nicht eingewiesen, hatte ich die schreckliche Schilderung des "Heimes" in dem Ben gelandet ist, noch nicht gelesen. Das war für mich entsetzlich. Anderseits wie viele Menschen nehmen durch die Situation Schaden?
Hier scheint mir auch eine Schwachstelle des Buches. Wie alt ist Ben, als Harriet ihn der Gruppe Jugendlicher überlässt?
Zu Mads Frage. Bei uns werden schon seit ca 15 - 20 Jahren behinderte, auch geistig behinderte und "normale" Kinder zusammen unterrichtet. So viel ich weiß, aber nicht überall. Auf der einen Seite finde ich es gut, man baut seine Hemmungen ab, beide Seiten. Man muss aber nicht diese Klassen besuchen und wie es in der Realität klappt, weiß ich nicht.
Erna
ursel

Nobelpreisrede von D.L.

Beitrag von ursel »

Ich möchte die Diskussion nicht stören, aber heute morgen habe ich IM COMPUTER - das wird der Preisträgerin nicht gefallen? - so viele kritische Kommentare zu ihrer Rede vor allem im Hinblick auf das Internet gelesen, dass ich ein bisschen upset bin. Um sachlich zu bleiben, habe ich dann erst einmal den Originaltext der Rede gesucht, hier der link:
http://nobelprize.org/nobel_prizes/lite ... re_ty.html
Ich denke, der Inhalt hat viel mit Lesen, Bildung und auch mit dem gescholtenen Internet zu tun und könnte hier angesprochen werden? natürlich werde ich zuerst noch den Text in Ruhe lesen müssen, um mein Unbehagen entweder zu verstärken oder zu revidieren?
ursel
renate breiter2

Beitrag von renate breiter2 »

Ich hatte das Buch schon vor Jahren in Englisch gelesen und es verdrängt. Nun liegt es vor mir: das Unbehagen, wie Ihr schreibt, ist geblieben. Ist das "Mongolismus" wie madeleine schreibt?- da kenne ich mich nicht aus. Die Situation ist aussichtslos und auch (provokativ!!!) die vielgepriesene Familie kann das Problem nicht lösen, sie geht daran zugrunde. Wie David sagt, der schlichte Wunsch nach nur Glücklichsein wird nicht erfüllt.
Was den gemeinsamen Unterricht in Hessen von behinderten und nicht behinderten Kindern anbelangt, so ist dieser nur dann möglich, wenn sich Eltern dahinterklemmen und die Schule es möglich machen will; die Institutionen blockieren, weil es mehr Lehrerstellen heißt. Der pädagogische Nutzen ist meiner Ansicht nach groß.
Erna
Beiträge: 878
Registriert: Freitag 1. April 2005, 10:47

Beitrag von Erna »

Nachdem ich nun das Buch zu Ende gelesen habe, sehe ich manche Dinge anders. Mehrere Male beklagt sich Harriet, dass sie als Mutter als Kriminelle angesehen wird, weil ihr Kind so vollkommen aus der Normalität fällt. Selbst die Psychaterin, von deren Überprüfung sie sich Hilfe erhofft, weist ihr Schuld zu, obwohl sie selber das Kind nicht einordnen kann. Ebenso ergeht es ihr mit ihrer Familie und sogar mit ihrem Mann. Er zieht sich auf seine Arbeit zurück, die Geschwister meiden die Familie. Wieso ist die Frau die "Schuldige"?
Wie sieht es in der Wirklichkeit in Familien aus, die ein behindertes Kind haben?
Erna
Brigitte Höfer
Beiträge: 440
Registriert: Donnerstag 9. Februar 2006, 17:51
Wohnort: 61440

Wie sieht es in Familien aus, die ein behindertes Kind haben

Beitrag von Brigitte Höfer »

Zur Frage von Erna fällt mir ein: Kümmern sich Väter ohnehin weniger um ihre Kinder als die Mütter, so ist im Fall eines behinderten Kindes noch weniger mit einem verständnisvollen Umgang zu rechnen. Es ist oft große Hilflosigkeit, die dazu führt, dass die Abweichung von der Normalität vom Vater mit Strafen und/oder Liebesentzug sanktioniert wird. Da wird kein Unterschied zwischen behindert und nicht behindert gemacht. Im Namen der Gerechtigkeit wird allen Kindern das Gleiche auferlegt.
Gleichzeitig wird versucht, das "unnormale" Kind zu verstecken und möglichst nicht der Öffentlichkeit zu zeigen. Oft wird auch versäumt, sich wirkliche Hilfe von außen zu holen.
Vorbildliches leisten in dieser Hinsicht die Waldorfschulen, die sich in liebevoller und empathischer Weise um Behinderte kümmern. Die Behindertenwerkstätten, in denen Behinderte eine ihren Fähigkeiten angepasste Arbeit leisten können, sind eine wertvolle Grundlage für ein selbständiges Leben in den oft angegliederten Behindertenwohnheimen und -Wohnungen.
Warum haben sich Bens Eltern nicht um eine solche Einrichtung bemüht? Es gibt sie auch in England...
Ich sehe auch noch ein anderes Problem, das in diesem Buch angesprochen wird: Mann und Frau denken, es reicht, zu heiraten, ein Haus einzurichten, die Kinder zu versorgen - und fertig ist die idyllische Familie. Dass alle Veränderungen durchmachen, dass es Störungen und Katastrophen geben könnte, wird gerne ausgeblendet.
Wer erzieht die Erzieher?, war die Frage, die wir uns oft gestellt haben. Was tun die Erzieher selbst dazu, um gute Eltern zu werden?
Welche Bücher lesen sie, an welchen Fortbildungsmassnahmen nehmen sie teil, wie gehen sie mit eigenen Fehlern und Defiziten um?
Sind sie nicht auch "Schuldige", wenn sie grobe Fehler in der Erziehung ihrer Kinder machen?
Wenn sie nicht liebesfähig, empathiefähig und kommunikationsfähig sind?
Wenn sie von den Kindern erwarten, dass sie das, was sie selbst nicht erreicht haben, erreichen sollen? - denn das ist doch die Bedeutung des Satzes: "Meine Kinder sollen es mal besser haben als ich!"
Erziehung ist ein schwieriges Geschäft, aber alle Welt meint, man könne es leisten, auch ohne Ausbildung.
Das Buch "Das 5. Kind" ist m.E. kein Buch über ein Kind, sondern ein Buch über die Erwachsenen. Krimineller als ein Krimi. Genial gemacht.
Für heute freundliche Grüße aus Oberursel von Brigitte
Brigitte Höfer
Beiträge: 440
Registriert: Donnerstag 9. Februar 2006, 17:51
Wohnort: 61440

Integrationsklassen

Beitrag von Brigitte Höfer »

Ich stimme Renate zu, die davon ausgeht, dass die gemeinsame Erziehung von nicht behinderten und behinderten Kindern einen großen Nutzen bringt. Und zwar zweifach: einmal den "normalen" Kindern, die lernen, dass Hilfsbereitschaft/Kooperation ein wichtiges Element des sozialen Lebens ist, zum anderen dem behinderten Kind, das lernt, dass sich Elternhaus und Schule gemeinsam um seine Entwicklung kümmern und ihm freundlich gesinnt sind. Nur so kann es auch ein freundlicher Mensch werden.
Ausgrenzung ist ein unfreundlicher Akt und führt unweigerlich zu Unfreundlichkeit, Wut und Gewalt.
Das ist in Frankreich ja deutlich zu sehen.
(Mal sehen, wann hier in Deutschland die Chancenlosen rebellieren. Es gibt sie ja vereinzelt als Scharfschützen an den Schulen.)
Integration und Kooperation anstelle von Wettbewerb und Exzellenzprofil: das schmeckt vielen Eltern nicht, wenn wir mal ehrlich sind, oder?
Grüße aus Oberursel von Brigitte
Marlis Beutel
Beiträge: 364
Registriert: Mittwoch 5. April 2006, 18:54
Wohnort: 64646 Heppenheim

Ben

Beitrag von Marlis Beutel »

"Das 5. Kind" - einerlei ob fasziniert oder eher widerwillig gelesen - sorgte für viel Diskussionsstoff. Niemand kann sich dem Thema wirklich entziehen. Ich habe auf Brigittes Anregung hin auch die Fortsetzung gelesen und habe den Roman zu Weihnachten verschenkt. Es geht letztlich um Außenseiter unserer Gesellschaft, aber auch um das Tierhafte in uns selbst. Ich bedanke mich für den Lesestoff (wer hatte die Idee?)
und wünsche der Lesegruppe viel Glück im neuen Jahr.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
Beiträge: 878
Registriert: Freitag 1. April 2005, 10:47

Beitrag von Erna »

Gestern telefonierte ich mit Hildegard und obwohl wir ja schon viel über das 5. Kind diskutiert haben, kam die Sprache wieder darauf: z. B. wie gelingt es dem Führer der Jugendbande mit Ben klar zu kommen? In welcher Lage befinden sich die Mütter behinderter Kinder? Wieso finden diese sich mehr in die Pflicht genommen? Ich finde es schon stark, wie viele Fragen ein Buch auslösen kann. Und so stimme ich Marlis bei, wenn das Buch vielleicht nicht gern gelesen wurde, so regte es doch zum Nachdenken an.
Einen guten Jahresanfang
Erna
Madeleine

Beitrag von Madeleine »

Gestern habe ich die Fortsetzung des Romans "Ben in seinem Leben" zu Ende gelesen. Was ich schon geahnt hatte, hat sich als wahr herausgestellt : der Roman "das 5. Kind" hat kein richtiges Ende und endet erst mit Bens Tod, mit Bens Selbstmord am Ende der Fortsetzung.
Komischerweise haben wir alle von Behinderten gesprochen. Doch ist Ben keiner, mindestens keiner wie wir es sonst meinen. Wenn ich mich richtig erinnere (den ersten Roman habe ich nicht mehr klar im Kopf), gibt es ein anderes Kind im Buch, das als "behindert" vorgestellt und von allen liebevoll behandelt wird, im Gegensatz zu Ben, oder irre ich mich ? Bei Ben sieht es ganz anders aus : Man hat deshalb vor Ben Angst, weil man sich fragt, ob er ein richtiger Mensch ist, weil man nicht weiss, wer er ist. Man hat für ihn keine Bezeichnung : Mensch, Tier, Behinderter ? Und die Unmöglichkeit zu "nennen" macht immer aggressiv. Ben selbst kann sich nicht einordnen, er möchte "sein Volk" kennenlernen und leidet darunter, keine Mitmenschen zu haben.Das Problem der Identität ist , so meine ich, das Hauptproblem in dem Roman.
Ausserdem ist Ben gefährlich, wie man bei manchen Geisteskrankheiten sein kann. Nicht selten passiert es in Wirklichkeit, dass solche Geisteskranke töten (in Frankreich hatten wir vor kurzem den Fall) und dann fragt man sich, ob es nicht unverantwortlich gewesen ist, sie in Freiheit zu lassen. Bens Mutter wählt für ihren Sohn die Freiheit, weil sie ihn von dem "Gefängnis", wo er steckt, retten will, besser gesagt retten muss. Ja, das musste sie tun, es war heilige Pflicht für sie als Mutter. Dabei verurteilt sie aber die Familie. Wie in der griechischen Tragödie hängt über der Familie ein unausweichliches Schicksal. Mit Bens Geburt gerät die ganze Familie in eine Falle und Ben selbst muss sterben. Es gibt keinen Ausweg !
Nun möchte ich von einem Buch erzählen, dessen Autor, Pascal Bruckner, ein fr. Psychiater ist. Das Buch heisst : "Mein kleiner Ehemann". Das Buch lese ich gerade und merke, dass es das Problem von Bens Familie umgekehrt stellt : Bens Mutter bringt einen Riesen zur Welt. Im fr. Roman dagegen wird der Vater bei jeder Geburt (die Mutter freut sich wie Harriet über eine kinderreiche Familie) immer kleiner, ja kleiner zuletzt als die eigenen Kinder, er wird zu einem Zwerg und lebt … in einer Dose versteckt. Damit will der Autor wahrscheinlich andeuten, dass die heutigen Kinder mit Hilfe der Mutter den Vater verdrängen (König-Kind / Mutter Alleinerzieherin wie bei manchen Scheidungen). Der Ehemann ist nur noch ein Erzeuger zum Wegwerfen.
Danach sehen wir, dass die Familie als ausgeglichene Kernzelle der Gesellschaft heute immer mehr in Frage gestellt wird. Ob sie je eine heile Welt gewesen ist ? Daran darf man zweifeln….
Liebe Mitleserinnen : das Buch "Lagerfeuer" habe ich im November bei meinem Buchhändler bestellt und es ist immer noch nicht da. Ob ich es rechtzeitig lesen kann, weiss ich nicht. Es tut mir leid.
Erna
Beiträge: 878
Registriert: Freitag 1. April 2005, 10:47

Beitrag von Erna »

Liebe Madeleine,
Deine Gedanken zu dem Buch "Das 5. Kind" sind sehr interessant. Ehe ich darauf antworte, möchte ich es mir aber noch einmal überlegen. Du brauchst aber keine Angst wegen "Lagerfeuer" zu haben, denn wir fangen erst am 15.01.08 an. Ich melde mich noch bei Dir mit einer Mail.
Erna
Gesperrt