Die große Krise, und was nun?

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hwest

Die große Krise, und was nun?

Beitrag von hwest »

Die Politiker sind orientierungslos, die Bürger sind fassungslos

Eine solche Krise haben wir wohl alle nicht erwartet: Die verantwortlichen Banker behandelten ihr Geschäft wie ein Glücksspiel. Und ihre Gier nach Profiten reißt die gesamte Wirtschaft mit in die Tiefe.

Unseren Politikern ist vor allem eines vorzuwerfen: Sie haben in den Boomjahren bei gleichzeitig höchsten Steuer- und Abgabenerhöhungen aus dem Vollen gewirtschaftet und nicht einen Notgroschen beiseite gelegt. Es war ja nicht nur die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Versicherungssteuer wurde ebenfalls erhöht, die Pendlerpauschale mal schnell abseits vom Grundgesetz gekappt, die Kapitalertragssteuer ausgeweitet, Kassenbeiträge stiegen und dazu kamen die kräftigen Preiserhöhungen bei Strom, Gas, Treibstoff und Bahn, die ebenfalls mit ihren Steueranteilen das Staatssäckel füllten. Eine Steigerung der Kaufkraft für den Binnenmarkt, die ein Wegbrechen des Exports abfedern könnte, wurde vernachlässigt.

Und nun? Keiner scheint durchzublicken. Unsere Politiker sind, so hat es den Anschein, orientierungslos. Vor vier Jahren noch waren sich zumindest die vier bürgerlichen Parteien im Gegensatz zur Linkspartei einig: Der Markt regelt fast alles von selbst, Hartz-IV-Empfänger sind im Grunde Arbeitsverweigerer und die Bürger müssen sich selbstständiger um ihre Altersvorsorge und Gesundheit kümmern. Um die Planlosigkeit zu kaschieren werfen sie mit den Milliarden nur so um sich, als ob es „Peanuts“ wären. Sind die Zahlen der vergangenen drei Monate überhaupt noch vorstellbar, sind die Folgen der Bürgschaften und Neuschulden überhaupt absehbar? Niemand erklärt dem Bürger, wie die gegebenen Gelder abgesichert sind. Niemand erklärt, welche Belastungen in welcher Zeit auf die Menschen zukommen.

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) charakterisierte die Planlosigkeit der Verhandlungen über das sogenannte Konjunkturpaket II scharf. Sie erinnere ihn an eine Unterhaltungsshow von Rudi Carrell aus den 70er Jahren: "Bei der Sendung 'Am laufenden Band' konnte sich auch jeder etwas vom Fließband der Möglichkeiten heraussuchen, und im Zweifelsfall blieb damals ja noch das Fragezeichen", sagte Wulff.

Das Konjunkturprogramm investiert vor allem dort, wo schon immer investiert worden ist - in Autos, Straßen, Gebäude. Die neuen Konzepte, die versprochen wurden, sucht man vergeblich. „Das Programm gibt gigantisch viel Geld aus, aber ihm fehlt der große Atem“, las ich in SZ.

Die Teilverstaatlichung der Commerzbank ist ein besonderes Beispiel der Stümperei unserer Politiker. Vorerst gut 18 Milliarden Euro allein für die Commerzbank dürften erforderlich werden. Dazu kommt der Erwerb der Dresdner, deren Verlustrisiken trotz monatelanger Prüfung grob unterschätzt werden.

Die Bankchefs hätten seit mindestens einem Jahr wissen müssen, wie viele faulen Kredite aus dem US-Kapitalmarkt sie in ihrem Portefeuille haben. Stattdessen glaubten sie, die Übernahme der Dresdner Bank ohne Schwierigkeiten handhaben zu können. Und wer finanziert das alles nun? Der Steuerzahler, also wir.

Das Schlimme dabei ist aber, dass unsere Politiker eilig beteuern mussten, sie würden auch nach dem Einstieg des Staates nicht in die Geschäftspolitik der Bank eingreifen. Eigentlich war es doch erklärtes Ziel des Rettungsschirms für die Banken, den Kreditfluss für die Güterwirtschaft anzuregen. Dass die Regierung nun darauf verzichtet, die Commerzbank auf eben dieses Ziel zu verpflichten, kommt einer Kapitulation gleich, schreibt dazu ein Kommentator.

Auch bei der beabsichtigten Stützung der Autoindustrie werden es die Steuerzahler sein, die die groben Fehler der Manager auszubaden haben. Jeder Laie wusste doch seit Jahren, dass immer größere und mit mehr technischem Schickschnack versehene Wagen, die von Jahr zu Jahr teurer wurden, angesichts der Klimaprobleme die falschen Produkte sind. Und als die EU Grenzwerte für den Schadstoffausstoß festlegte, taten diese Manager auch noch überrascht.

Diese und viele andere Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen unserer politischen und wirtschaftlichen Führungselite nahmen die Bürger bisher mit unglaublicher Gelassenheit hin. Doch ich fürchte, das dicke Ende kommt noch. Vielleicht wachen wir eines Tages auf, und unsere Ersparnisse sind durch eine Abwertung oder eine große Inflation nur noch die Hälfte wert.

Was man dagegen tun kann, weiß ich auch nicht. Vielleicht die eigenen Investitionen vorziehen: Neue sparsame Elektrogeräte kaufen, die die nächsten zehn Jahr halten, den Öltank nicht zu leer werden lassen, ein paar kleine Goldbarren erwerben?

Aber vielleicht sehe ich zu schwarz. Bisher glauben ja alle, es wird nicht so schlimm kommen, sie merken ja auch noch nicht sehr viel von der Depression. Wohl daher dieses Phänomen: Den Umfragen zufolge will die Mehrzahl der Bürger der Union zusammen mit der FDP die Mehrheit im nächsten Bundestag beschaffen, den Parteien, die jahrelang mit ihren verfehlten neoliberalen Bestrebungen die Politik bestimmten. Doch was soll man wählen? Die SPD hat sich über Jahre an dieser falschen Privatisierung- und Liberalisierungspolitik beteiligt, die Grünen sind nicht stark genug und die Linke bietet ein Bild der Zerrissenheit.

Ein Kommentar der FAZ hat die Überschrift „Nichts sehen. Nichts hören. Ja nicht drüber reden.“ Er kritisiert die Haltung des Ruhebewahrens und Stillstands. Das könne nicht ewig währen. „Womöglich fegen im Superwahljahr auch beide Phänomene durch die Lande, wecken die Widerstandskräfte und beenden die Ruhe. Das deutsche Problem ist zeitlich befristet. Unklar, ob das eine gute Nachricht ist.“
Horst
Horst Glameyer
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Zur Finanz- und Wirtschaftskrise

Beitrag von Horst Glameyer »

Nein, Horst, so darf man die Ereignisse der jüngsten Zeit nicht sehen. Gerade als der Aufschwung die Menschen erreichte, wie unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, brach die Finanz- und Wirtschaftskrise aus den fernen USA über uns herein. Das konnte doch niemand ahnen! Hatten nicht alle, nicht nur die Bankmanager, Politiker und Wirtschaftsexperten, sondern sogar die meisten Bundesbürger, an das ständige Wachstum geglaubt?

Gewiss, es wurden Fehler gemacht, selbst bei der Bayrischen Landesbank. Aber hat sich nicht sogleich nach seinem Amtsantritt der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer vor dem bayrischen Landtag im Namen der Vorgängerregierung dafür entschuldigt? Sollten etwa die Aufsichtsräte und Bankvorstände für ihre Fehler noch haftbar gemacht werden, obwohl die Bundesregierung unverzüglich mit dem ersten Konjunkturpaket einen Rettungsschirm aufspannte? Versicherte die Bundeskanzlerin nicht sofort allen Bundesbürgern, dass ihre Ersparnisse unter dem Schutz des Staates stünden und deshalb nicht gefährdet seien? Das muss man doch anerkennen!

Und nun bereits das zweite Konjunkturpaket, das zwar noch nicht vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde, aber doch möglichst viele Arbeitsplätze sichern und allen etwas bringen soll. Ist das etwa nichts? Man darf nicht undankbar sein. Vielleicht ist noch ein drittes Paket erforderlich, aber warten wir erst einmal den Erfolg der ersten beiden Hilfspakete ab.

Sicher, das folgende Gedicht hätte Kurt Tucholsky auch im November 2008 schreiben können, nur schrieb er es bereits 1930 und hätte das Jahr 2008 ohnehin nicht mehr erlebt.

Börse

Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft's hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat, die
Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jedem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn die Kurse steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird ein bisschen Krieg gemacht.

Kurt Tucholsky, 1930, veröffentlicht in "Die Weltbühne"

Allerdings verwies unser Bundespräsident Horst Köhler anlässlich seines diesjährigen Neujahrsempfangs darauf, dass die jetzige Finanz- und Wirtschaftskrise keinesfalls mit derjenigen in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu vergleichen sei.

Vor allem dürfen wir eine hoffentlich undenkbare Katastrophe nicht mutwillig herbei reden. Das wäre unverantwortlich. Was geschehen ist, lässt sich ohnehin nicht mehr ändern. Konzentrieren wir uns auf Schadensbegrenzung und hoffen darauf, dass mit dem Frühling bald wieder das wirtschaftliche Wachstum sprießt, jedoch eingedenk des alten Sprichworts: "Gott lässt die Bäume nicht in den Himmel wachsen!"
HorstG.
Clemens

Beitrag von Clemens »

Der Antwort von Horst Glameyer gibt es aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
... Den Umfragen zufolge will die Mehrzahl der Bürger der Union zusammen mit der FDP die Mehrheit im nächsten Bundestag beschaffen, den Parteien, die jahrelang mit ihren verfehlten neoliberalen Bestrebungen die Politik bestimmten. Doch was soll man wählen? Die SPD hat sich über Jahre an dieser falschen Privatisierung- und Liberalisierungspolitik beteiligt, die Grünen sind nicht stark genug und die Linke bietet ein Bild der Zerrissenheit....
Der Analyse im Eingangsstatement in seinem vorletzten Abschnitt, letztlich nicht zur Wahl zu gehen, kann ich nicht zustimmen, mögen auch noch so viele Fehler gemacht worden sein. Mit dieser Haltung bereiten wir den Rändern ihren Platz!
hwest

Ironie?

Beitrag von hwest »

Lieber Horst G., Deine Zeilen klingen doch sehr nach Ironie. Du glaubst sicher nicht ernstlich, dass die Krise ganz überraschend kam. Genug Warner gab es. Und dass unsere Banken Luftpakete kauften, sie sie selbst nicht verstanden, ist doch gar nicht zu begreifen. Auch Ackermann ist inzwischen kleinlaut geworden. Wird er für seine Fehler haften?

Und werden unsere Politiker für ihre Fehler haften? Nein, wir werden haften.

Horst
Horst Glameyer
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Zur gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise

Beitrag von Horst Glameyer »

Lieber Horst, so ist das nun mal. Das war schon zu Tucholskys Zeit nicht anders. Wie lautete noch der bekannte Werbeslogan? "Hoffentlich Allianz versichert!" Aber ob die Allianz in diesem Schadensfall einspringt, ist vermutlich sehr unwahrscheinlich.
HorstG.
hwest

Die Krise ernst nehmen

Beitrag von hwest »

Für alle diejenigen, die die Lage noch nicht ganz ernst nehmen, möchte ich folgendes zitieren:
„SPIEGEL-Informationen zufolge ergab eine Umfrage unter den führenden deutschen Finanzkonzernen, dass die Bilanzen der Institute mit faulen Wertpapieren bis zu 300 Milliarden Euro belastet sind. Nur ein Viertel davon wurde bereits abgeschrieben.“

Das ist ja noch ein ganz schöner Brocken, von dem bisher die Öffentlichkeit nichts wusste. Da hätten wohl die Alarmglocken in unserer Regierung viel früher schrillen müssen.

Zu der Verzögerung der konjunkturbelebenden Maßnahmen sagt der Chefökonom der Financial Times Deutschland, Thomas Fricke: „Der Haken ist nur, dass das Paket (Konjunkturpaket II) mit hoher Wahrscheinlichkeit relativ wenig an jenem dramatischen konjunkturellen Absturz ändert, den die Deutschen in diesen Tagen und Wochen erleben - und den es eigentlich bremsen oder stoppen soll.“

Und er meint weiter: „Statt 18 Mrd. Euro Entlastung für 2010 einzuplanen, wenn es schon zu spät ist, müsste sie einen guten Teil des Geldes schon im ersten Halbjahr 2009 einsetzen. “ Wenn der Regierung selbst im ohnehin schon späten zweiten Anlauf noch kein richtiges Konjunkturpaket gelinge, gebe es ein tieferes Problem. „Dann lag das zum Teil an politischen Abwägungen einer Großkoalition in einem Wahljahr, wahrscheinlich aber auch daran, dass es an Beratern und vorbereiteten Konzepten fehlte. Und dass ziemlich viel Quatsch geredet wird.“

Dem ist wenig hinzuzufügen.
Horst
Horst Glameyer
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Zur Finanz- und Wirtschaftskrise

Beitrag von Horst Glameyer »

Selbstverständlich war in meinen beiden Erwiderungen vieles ironisch gemeint. Aber die "Jagd nach dem Täter", d. h. nach den Verursachern der um sich greifenden Finanz- und Wirtschaftskrise, wird die Krise nicht aufhalten. Selbst brächte man die Schuldigen hinter Gitter und versuchte, das riesige Schuldenloch mit ihren schwindelerregenden Gewinnen zu stopfen, die Summen würden kaum reichen. Ganz abgesehen davon, dass mögliche Prozesse Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte in Anspruch nähmen und die Beschuldigten am Ende freigesprochen oder mit Bewährungsstrafen davon kämen.

Es ist nicht so, dass ich den Ernst der Lage verkenne; doch sollten wir es weiterhin den Nachrichtensprechern überlassen, eine Horrormeldung an die andere zu reihen, solange wir selbst keine Vorschläge machen können, wie der Krise Herr zu werden ist. Natürlich können wir unserem Ärger, unserer Wut und Enttäuschung auf vielfältige Weise Luft machen, mit dem Finger auf die möglichen Schuldigen zeigen (und davon gibt es vermutlich viele); aber das bringt uns keinen Schritt einer wünschenswerten Lösung näher.

Die Zeiten, als Bundeskanzler Konrad Adenauer seinen Wahlkampf mit der Parole "Keine Experimente!" bestritt und sein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard die Bürger der alten Bundesrepublik ermahnte, Maß zu halten, sind längst Geschichte. Eine andere, profitorientierte Mentalität hat sich durchgesetzt: "Geiz ist geil!" Schnäppchen- und Renditejagd, wohin man schaut: Umwerfende Angebote auf Plakaten an viele Stockwerke hohen Hauswänden, im Fernsehen, im Rundfunk, im Internet, in Zeitungen und Illustrierten. Bevor sich die verbreitete Denkart nicht wandelt, nur ja keinen Gewinn zu versäumen, und sei es auf Kosten anderer, lässt sich die Krise wohl kaum überwinden. So bitter es klingen mag, vielleicht wird erst die Not neue Maßstäbe setzen.

Die Regierenden in Europa sind sich weitgehend einig, dass die Globalisierung nach weltweiten Finanz- und Wirtschaftsregeln verlangt. Ob sie sich darauf einigen können, ist eine andere Frage. Bereits 1943 schlug der britische Volkswirtschaftler John Maynard Keynes (1883-1946) eine internationale Währungsordnung ("Proposals for an International Clearing Union") vor. Seine Vorschläge wurden jedoch auf den Konferenzen von Bretton Woods (1944) und Savannah (1946) von der amerikanischen Regierung abgelehnt.
Statt seiner Vorschläge setzten sich in den folgenden Jahren die Ideen des amerikanischen Volkswirtschaftlers und Nobelpreisträgers Milton Friedman (1912-2006) durch. Als Vertreter des Monetarismus entwickelte er seine Quantitätstheorie. Er beriet den chilenischen General und späteren Staatspräsidenten Augusto Pinochet, die US-Präsidenten Richard Nixon und Ronald Reagan sowie die britische Premierministerin Margret Thatcher. Deren Politik zeichnete sich u. a. durch drastische Einsparungen im Sozialbereich aus. Vermutlich wegen des Kalten Krieges blieb die alte Bundesrepublik bis zur Wende von den "Reagonomics" und dem "Thatcherismus" verschont. Danach setzte sich mehr und mehr in Ost- und Westdeutschland eine "liberalere" Wirtschaftspolitik des "freien Marktes" mit den bekannten Folgen durch.

Nun geht es darum, die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise anders als in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts rechtzeitig in den Griff zu bekommen, d. h. sie mit geeigneten Maßnahmen (Konjunkturprogrammen u.ä.) abzumildern. Sie zu zerreden, ist nicht hilfreich, wohl aber sie mit brauchbaren Vorschlägen zu verbessern. Vielleicht kann die EU dabei helfen; denn sie gab es seinerzeit noch nicht.
HorstG.
hwest

Die Langsamkeit der Politik

Beitrag von hwest »

Diese Diskussion hatte ich mit dem Ziel begonnen, unsere Mitleser einmal aufzurütteln. Leider sieht es so aus, dass sich immer nur sehr wenige ViLE-Mitglieder beteiligen, und diejenigen, die das tun, sind immer wieder dieselben.

Ich kann dem Argument nicht zustimmen, dass wir den Mund halten sollten, wenn wir selbst keine Vorschläge machen können. Wartet denn unsere Regierung auf die Vorschläge der Bürger, weil ihre Experten nicht weiter wissen? Das kann doch wohl nicht sein. Es gab schon Nobelpreisträger, die unserer Regierung Ratschläge für eine schnelle Reaktion auf die Krise gegeben haben.

Wie die Januar-Umfrage der Financial Times Deutschland ergab, zweifeln namhafte deutsche Chefökonomen, Konjunkturchefs und Sachverständigen daran, dass die deutsche Wirtschaft auf absehbare Zeit wieder mit Raten von drei Prozent expandieren wird. Die Experten widersprechen damit optimistischeren Äußerungen der Bundesregierung. Wegen der Langsamkeit der deutschen Reaktionen glauben mehrere von ihnen sogar, dass Deutschland der Erholung der amerikanischen Wirtschaft hinterherlaufen wird.
Horst
RenateBowen
Beiträge: 21
Registriert: Donnerstag 23. Juni 2005, 15:26

Beitrag von RenateBowen »

Ich vermute, dass wirklich eine große Anzahl der Manager an den Banken auch aus Unwissenheit über die Produkte, die sie sich einkauften, einfach dem Herdentrieb gefolgt sind, hohe Profite erhoffend und auf Ratingagenturen vertrauend. Es war sicherlich nicht alles nur Gier.

Was mich aber immer wieder erstaunt ist die deutsche Sucht des Kopierens von Trends, die sich in den USA entwickeln. Man erinnere sich an die staatlichen Wohnungsgesellschaften, an die Versorgungsbetriebe, an Wasserwerke, Krankenhäuser usw., die plötzlich nicht mehr in öffentlicher Hand sondern in Privatbesitz übergehen sollten oder sogar übergegangen sind. Hier suchten doch oft ausländische Investoren nur Möglichkeiten, ihr Geld zu mehren.

Was mich auch interessiert ist, warum die Commerzbank sich die Dresdner Bank eingekauft hat, wenn in jeder Zeitung zu lesen war, wie froh die Allianz wäre, hätte sie diese Bank nicht übernommen. Sollten die Fakten der finanziellen Situation einer Bank so unübersichtlich sein, dass selbst Fachleute die Schwierigkeiten nicht erkennen?
Oder hat die Commerzbank unter dem Einfluss der Regierung gehandelt, die ein starkes Interesse daran hat, dass es eine zweite große deutsche Bank gibt? Nun haben wir eine geschwächte Commerzbank, und die Regierung muss sie weiter stützen.

Wie Horst schreibt, wird ja vermutet, die USA werden sich am schnellsten aus der Krise erholen. Ich denke, das klingt logisch, weil sie weniger vom Außenhandel abhängig sind, sie also viel leichter durch Stimulation auf ihre Wirtschaft einwirken können. Gerecht ist eben nichts auf der Welt!
helmutf

Zur Finanz- und Wirtschaftskrise

Beitrag von helmutf »

Ja, es ist schon erstaunlich wie gelassen die deutsche Bevölkerung auf die Krise reagiert. Dies könnte evtl. daran liegen, dass die meisten Menschen in unserem Lande davon bisher nicht direkt betroffen sind. Noch zögern viele Unternehmen Entlassungen von Personal hinaus – gehen in Kurzarbeit. Wie lange ist dies durchzuhalten?

Die deutsche Regierung hat, ähnlich wie in anderen Ländern, einen sog. Schirm für Banken aufgespannt, in der Hoffnung, dass die Banken sich untereinander wieder vertrauen und die Wirtschaft mit den notwendigen Krediten versorgen.
Um die Wirtschaft zu stützen werden Konjunkturpakete auf den weg gebracht über deren Sinn man streiten kann.

Auf Umfang und Ausmass der jetzigen Finanzkrise waren weder Regierungen noch die Unternehmen in Europa vorbereitet. Sicherlich hat es immer mal wieder Warnungen vor überzogenen Kreditvolumen (Kreditblase) in den USA gegeben, aber in einem globalen Markt haben einzelne Regierungen nur noch geringe Einflussmöglichkeiten.
So ist z.b. die Deutsche Bank schon lange keine deutsche Bank mehr. Nur ca. ¼ ihrer Belegschaft ist noch in Deutschland beschäftigt. Abgewickelt werden die grossen Geschäfte und Gewinne der Investmentabteilungen in London und New York.
In den USA unterlagen die Investmentbanken praktisch keiner Aufsicht und so konnten immer neue Finanzprodukte entwickelt werden, die stets noch höhere Renditen versprachen. Da diese Papiere von den Rating-Agenturen gut benotet wurden und hohe Renditen in Aussicht stellten, landeten diese Derivate in den Portefeuille vieler Banken. Dabei wurde vielfach ausgeblendet, dass hohe Rendite auch hohes Risiko bedeutet. Resultat und Auswirkungen sind bekannt, der Kater gross. Die Banken halten nun in mehr oder weniger grossen Umfang (Schrott)Papiere die abgeschrieben werden müssen, da deren Wert niemand bemessen kann also z.zt. bei null liegen.
Nachstehend eine Zitate aus -Spiegel-online.de- die für sich sprechen.

Spiegel-online:
Es sieht aus, in der Rückschau, als hätten einige Händler ein perfektes Verbrechen organisieren wollen. Man wird viel später E-Mails entdecken, in denen sich Analysten der Rating-Agenturen fragen, wann "dieses Kartenhaus zusammenbricht". ("Lass uns hoffen, dass wir alle reich und pensioniert sind, wenn dieses Kartenhaus zusammenbricht") Es ist, als würde der größte und dabei sauberste Diebstahl der Weltgeschichte eingefädelt.


Es gibt nur die eine große, schwarze Krise. Seit sie begann, ist die Rede von 23 Billionen
Dollar Wertverlust allein an den Börsen der Welt, das ist eine Zahl mit zwölf Nullen, 23 000 Milliarden, 23 MillionenMillionen. Bislang haben allein in den USA 21 Banken Konkurs gemacht, an 11 Großbanken hat sich der Staat schon beteiligt, 62 Hedgefonds sind bankrottgegangen.

Der globale Finanzsektor hatte mit Stand von Ende September insgesamt Außenstände von 23,2 Billionen Dollar, davon 12,4 Billionen in klassischen Krediten und 10,8 Billionen in Wertpapieren, deren Wert allerdings nicht mehr gewiss ist.
Allein am US-amerikanischen Hypothekenmarkt stehen noch immer 11 Billionen Dollar

Kredite aus, diese Geldsumme entspricht fast der Wirtschaftsleistung der USA, und sie würde reichen, um 55 Millionen Häuser im Wert von 200 000 Dollar zu bauen.
Die Konsumentenkredite der Amerikaner dürften vielfach kaum werthaltiger sein als die Hypothekenkredite, neue Wertberichtigungen drohen.


Es ist unfassbar und für den Normalbürger unbegreiflich wie einige wenige Bänker solche riesigen Werte nahezu unbehelligt vernichten konnten. In der Folge sollen nun die einzelnen Staaten die Banken retten – auf Kosten der Allgemeinheit. Von den Banken wird eine vom Staat getragene sog. „Bad-Bank“ angeregt, in der alle betroffenen Banken ihren „Giftmüll“ abladen können. Hat man sich befreit wird wohl ohne viel Bedenken so weiter gewirtschaftet wie bisher. Dies kann nicht die Lösung sein.
helmutf

Schamlose Forderungen.

Beitrag von helmutf »

Bonus Zahlungen an Banker.
Banker haben allen Anschein nach nichts aus der Banken-Krise gelernt oder haben sie noch nicht begriffen was um sie herum passiert? Wie sonst sind die Anspruchsforderungen an Bonusausschüttungen zu verstehen? Bonuszahlungen sollen Erfolge honorieren, Erfolge hat zur zeit aber keine Bank vorzuweisen. Zumindest die verantwortlichen Spitzenmanager sollten sich schämen Bonuszahlungen anzunehmen. Aber hier liegt die Schamgrenze wohl sehr hoch.
Herr Ackermann von der Deutschen Bank verzichtet grosszügig und öffentlichkeitswirksam auf seinen Bonus. Verzicht? - Wer keinen Erfolg vorzuweisen hat dem steht kein Erfolgsbonus zu.

Noch fragwürdiger sind Bonuszahlungen von „beschädigten“ Banken, welche Staatshilfe in Anspruch nehmen und Tausende Mitarbeiter entlassen – zumeist in die Arbeitslosigkeit. Z.B.

UBS, Schweiz: Verlust 2008 13,1 Milliarden €
Bonus 2008 1,43 Milliarden €
Staatshilfe 39,00 Milliarden €
Stellenstreichungen 2008 = 9.000
2009 = 2.000

RBS, Großbritannien Verlust 28 Milliarden Pfund
Bonus 1 Milliarde Pfund
Staatshilfe 20 Milliarden Pfund

In den USA empörte sich Präsident Barack Obama über Bonuszahlungen von Grossbanken, die Staatshilfe in Anspruch nehmen. In diesem Zusammenhang berichtet heise.de bereits am 18.10.2008 wie folgt

Zitat:
„Die Erfolgsauszahlungen wären geradezu grotesk, würden sie tatsächlich stattfinden und dabei alle negativen Erwartungen an die staatliche Unterstützung des Finanzsystems bestätigen. Laut Guardian würden die Mitarbeiter von Morgan Stanley 10,7 Milliarden an Bonuszahlungen erhalten, womit sie, je nach aktuellem Aktienkurs, zusammen gleich die Bank aufkaufen könnten. Goldman Sachs will 11,4 Milliarden, JP Morgan 6,5 Milliarden, Merril Lynch 11,7 Milliarden über die "erfolgreichen" Banker ausschütten. Besonders absurd ist, was aber die Mentalität im Bankensektor zu kennzeichnen scheint, dass kurz vor der Pleite von Lehmann Brothers noch 6,12 Milliarden Bonuszahlungen vorgesehen waren, obwohl die Verluste gigantisch gewesen sind und das Ende abzusehen war. Dick Fuld, der Chef von Lehman bis 2007, unter dem die Bank auch in die Bredouille geraten ist, hat zwischen 2000 und 2007 immerhin 485 Millionen verdient. Aber das ist eben der persönliche Gewinn, während die Banken und zuletzt der Staat für die Verluste aufkommen.“

Nicht erwähnt wurde, dass Zehntausend Mitarbeiter der Banken bereits ihren Arbeitsplatz verloren haben und noch viele folgen werden.
Moral und soziale Verantwortung sind bei den Managern der Banken restlos verloren gegangen. Die Rendite des Unternehmens und der damit zusammenhängende eigene Bonus scheinen die einzige Richtschnur ihres Handelns zu sein.
adelreich
Beiträge: 2
Registriert: Freitag 20. März 2009, 09:03

krise - und was nun?

Beitrag von adelreich »

liebe leute!
ich freue mich, dass ihr dies thema aufgegriffen habt.
natürlich war die krise vorhersehbar (ein schlechter scherz, wie?). seit jahren und seit marx konnte jeder, der wollte, sich über überproduktionskrisen informieren und sich ihre geschichte zu gemüte führen (1929, 1933.........immobilienkrise, neue medien-krise etc). der gesunde menschenverstand genügte. um einem zu sagen, dass nur werte neue werte schöpfen können, aber nicht geld - wie soll es denn, es ist doch nur bedrucktes papier! und wird doch nicht dadurch wertvoller, dass immer neues gedruckt wird. luftgeister, die immer neue luftgeister gebären.
deshalb glaube ich auch das gerede über die unschuld des nicht-wissens nicht - oder sind die banker wirklich alle so naiv -unschuldig? (das soll jetzt nicht all die kleinen leute entschuldigen, die auch mal schnell an geld kommen wollten und deshalb ebenso wie die grossen mal ein weilchen "ihr gewissen an der garderobe abgegeben" haben und ihren verstand gleich dazu). die ungerechtigkeit liegt ja im system, aber von gier ist kaum einer frei.
noch ein schönes beispiel (mein eigenes): als ich vor jahren mal eine steuerrückzahlung von ein paar tausend euro bekam und keine dringende verwendung dafür hatte, schloss ich mich einer kleinen gruppe von 15 leuten an, die betreut wurden von einem, der versicherte, er wäre sehr vorsichtig mit seiner auswahl von anlagemöglichkeiten. gestern habe ich mir den rest auszahlen lassen: ich hatte genau 42% verloren. was lernen wieder daraus (spricht die alte lehrerin in mir)?
ich möchte noch zwei lektüren empfehlen (falls ihr sie noch nicht gelesen habt) - ausser karl marx natürlich: "der spiegel" vom 9.3.09, nr.11 , der jahrhundertfehler (ob er das wirklich war, sei dahingestellt) und sarah wagenknecht, wahnsinn mit methode. finanzcrash und weltwirtschaft.
habt ein schönes wochenende!
mit besten grüssen
heidi reichling
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