Deutsche Einheit aus Sicht des Ostens - erste Eindrücke

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Markus
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Deutsche Einheit aus Sicht des Ostens - erste Eindrücke

Beitrag von Markus »

Beiträge aus den neuen Bundesländern
Wie sehen Sie die Deutsche Einheit heute? Was hat sich aus Ihrer Sicht verbessert? Wie hat sich das Verhältnis zwischen den neuen und alten Bundesländern entwickelt? Wo sehen Sie Schwierigkeiten und Probleme? Welche Gewinne können Sie nennen? Für das Seminar in Bad Urach sammeln wir erste Eindrücke und kurze Statements.
hwest

Nicht alle lieben die "Wessis"

Beitrag von hwest »

In Lübeck lebten wir ja direkt an der Grenze der DDR, und weil Mecklenburg von alters her ein Einzugsgebiet für die Stadt war, besuchen wir es seit der Wiedervereinigung oft. Es hat sich viel getan, auch in den Dörfern, nicht nur in den größeren Orten. Doch ist auf dem Lande die deutsche Einheit noch nicht überall angekommen. Das zeigt ein Erlebnis.
Im letzten Sommer wollten wir mit Hamburger Freunden ein kleines Öko-Lokal in der ehemaligen Dorfschule eines Fleckens unweit Schwerin besuchen. Wir wurden – obwohl die einzigen Gäste – recht unfreundlich empfangen. Als wir unsere Unzufriedenheit äußerten, fiel die Bemerkung: „Wessis brauchen wir hier nicht“. So etwas kann man also auch heute noch erleben.
Wir verließen das Lokal und fuhren nach Schwerin. Dort gab es keine Unterschiede zwischen Wessis und Ossis mehr.
Horst
Annemarie Werning
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Beitrag von Annemarie Werning »

Kurz nach der Wende verbrachten meine aus Erfurt stammenden Eltern und ich ein paar Urlaubstage am Müritzsee. Damals erlebten wir in einem kleinen Dorflokal das gleiche wie Horst: Für Kaffee und Kuchen wurde uns am Tisch eine Rechnung präsentiert. Als wir sie an der Theke bezahlen wollten, ermäßigte sich der Preis, nachdem die Rede darauf gekommen war, daß meine Eltern aus Erfurt stammten. Es hieß, "wir aus dem Osten müssen zusammen halten". Davon habe ich aber in letzter Zeit gar nichts mehr gemerkt.
Annemarie
Annemarie Werning
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Beitrag von Annemarie Werning »

Ich bin in Erfurt geboren, selbst aber mit den Eltern direkt nach dem Krieg in den Westn gekommen. Meine anderen Verwandten blieben in der DDR. Mit der Familie der Schwester meiner Mutter durften wir keinen Kontakt pflegen. Meine Tante und mein Onkel waren politisch aktiv. Briefe durfte man ihnen nicht schreiben, sie hätten berufliche Nachteile erlitten. Im Gegenzug konten sie sich vieles erlauben, - wie Urlaubsreisen in die UdSSR und die Ostblockstaatn, was andere nicht konnten. Wenn man sich etwas miteilen wollte, ging es nur über Dritte. Die Schwester meines Vaters war völlig unpolitisch, sie hatte ihren Ehemann im Krieg verloren. Gleichwohl konnte sie sich als Erzieherin beruflich durchsetzen und hatte beruflichen Erfolg. Sie besuchte ich oft. Ich denke, sie litt weniger unter einer Unfreiheit als unter der Mangelwirtschaft. Die Wohnverhältnisse bis zur Wende können wir uns nicht vorstellen: Kohleheizung, unbeheizte Außentoilette mit anderen Wohnungen gemeinsam, kein Toilettenpapier, kein Badezimmer - Waschen in der Küche. Erst nach der Wende hatte sie die Möglichkeit, in eine unseren Vorstellungen entsprechende Wohnung - die ein Westler saniert hatte - umzuziehen. Die miserablen Lebensverhältnisse wurden aber etwas gemildert durch eine unglaubliche Hilfsbereitsschaft unter den Menschen, wie es sie bei uns nicht mehr gibt.
Marlis Beutel
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Die Wende

Beitrag von Marlis Beutel »

Ich bin wirklich froh, dass es auch Berichte über die ehemalige DDR gibt und hoffe, Menschen von dort im Seminar zu begegnen. Was Du erzählst über die Wohnverhältnisse in der DDR, Annemarie, das kann ich mir durchaus vorstellen. Vor dem Krieg, während des Kriegs und danach waren bei uns die Wohnverhältnisse ganz genau so. Wir hatten einen Kohleherd in der Küche zum Kochen und Heizen. Für die Toilette wurde Zeitungspapier in Stücke geschnitten und auf eine Kordel aufgefädelt. Meine Eltern hatten zwar ein Haus gebaut, aber ohne Zentralheizung. Die gab es erst viele Jahre nach dem Krieg. In der Nachkriegszeit wurde generell aller Wohnraum bewirtschaftet, weil die Heimatvertriebenen und Ausgebombten aus den Städten untergebracht werden mussten.

Das Beispiel zeigt, welchen Aufschwung die BRD nahm! Damit konnte man überhaupt nicht rechnen. Wir hatten wirklich großes Glück. Ich kann das noch immer nicht als Selbstverständlickeit sehen.
Was mir im Osten bei Besuchen gefiel, war das ruhigere Leben mit weniger Verkehr als bei uns und weniger dichter Besiedelung.
Marlis Beutel
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Werner Balzer
Beiträge: 1
Registriert: Samstag 1. September 2007, 10:55

Die DDR aus Sicht des Ostens

Beitrag von Werner Balzer »

Hier noch ein Bericht meiner Cousine aus Krügersdorf bei Beeskow, wie sie sich mit ihrer Familie zu DDR-Zeiten durchschlagen musste und wie sie heute darüber denkt.

Lieber Werner, heute nach unserem Telefonat will ich mich gleich ransetzen und einige Gedanken der Deutsche Einheit zu Papier zu bringen.
Ich bin 1942 in Landsberg an der Warthe heutiges Polen als 5. Kind, Vater Pfarrer geboren. 1945 im März wurde mein Vater, aufgrund der Zugehörigkeit zur bekennenden Kirche nach Russland verschleppt. Und das noch im August 1945. In einem Behelfsheim, nach äußerst schwerer Arbeit, Kälte und Hunger flüchtete unsere Mutter mit Hab und Gut und uns nach hier in diese Gegend, da hier ihr früheres Zuhause war, wo ihr Vater auch Pfarrer gewesen ist. Wir wurden alle im Pfarrhaus aufgenommen. Ein kleines Kinderzimmer mit Kochherd. Hier wohnten wir bis 1952. Als unsere Mutter sich entschlossen hatte ein kleines eigenes Haus zu bauen. Es wurde Bodenreformland vergeben. In diesem Haus wohne ich mit meinem Mann heute noch und meine Mutter lebte hier bis zu ihrem Tod 1988. Wir besuchten alle hier im Dorf die achtklassige Grundschule und später dann in der Kreisstadt Beeskow fünf Km. entfernt die Oberschule. Meine vier Brüder nahmen ein Studium auf. Ich selbst absolvierte die zehnjährige mittlere Reife mit späterer dreijähriger Ausbildung zu Bankkaufmann. Die ganze Schul- und Studienzeit für uns alle wurde von der damaligen DDR getragen und finanziert. Das hätte unsere Mutter nie bezahlen können .Sie bekam eine kleine Pfarr-Witwen-Pension und verdiente sich ansonsten unseren Lebensunterhalt bei den Bauern auf dem Feld mit schwerer körperlicher Arbeit. Wir alla gingen unseren Beruf nach und gründeten unsere Familien. Meine vier Brüder wohnten in Städten, wie Franfurt/Oder, Dresden und Wrizen und hatten schöne Wohnungen mit Fernheizung. Miete monatl 60.00 bis 80.00 DDR Mark.. Ihr Einkommen erarbeiteten generell auch die Ehefrauen 1.200.00 DDR Mark. Wir besaßen unser kleines ganz primitives Häuschen und hatten es wesentlich schwerer als unsere Bruderfamilien. Ofenheizung, dann später 1973 Zentralheizung, es gab Kohlenzuteilung ( kein Koks ) . Alles was man erneuern und investieren wollte, war nur unter der Hand und Beziehungen möglich und es war ein Glück, dass mein Mann auch Handwerker war. So wurde auch unser Häuschen nach DDR Möglichkeiten modernisiert. Studienplätze für unsere Kinder oder Ausbildungsplätze waren sehr begrenzt, bevorzugt natürlich linientreue Bürgerfamilien. Kirchliche Bindungen waren völlig unerwünscht. Wir, die Pfarrkinder konnten nur durch gute Leistungen auf einen Platz hoffen und erreichten ihn auch , Gottlob. Wer zur Kirche stand, war benachteiligt.
Jugendweihe mit vierzehn Jahren war angestrebt. Ich selbst in der Schule unserer Kinder, in der Elternschaft war nicht akzeptiert. Die wirtschaftliche Lage hatte in den sechziger bis Mitte siebzige Jahren einen Aufschwung zu verzeichnen. Die Leute waren fleißig und erwirtschafteten durch
eigene zusätzliche Arbeiten einen mittleren Lebesstandart.
Viele Erzeugnisse wurden subventioniert und viel zu billig verkauft, z.B. ein Brot 0.45 oder ein Brötchen 0.05 DDR Mark. So schusterte der Staat ständig zu und das in allen Bereichen. In der Produktion fehlte es an Material, so wurde ständig improvisiert Dazu kam die abnorme hohe Solidarität zu unseren Bruderländern, vorrangig Russland. Politisch wollte man stark sein. Man setzte alles dran um es zu demonstrieren. Die Leute wurden immer unzufriedener und versuchten es auch kundzutun. Bis die Spitze des Eisberges erreicht war. Sozial gesehen waren wir gut behütet. Jeder hatte seinen Arbeitsplatz das Gesundheitswesen war abgesichert. Die Kosten für den Kindergarten und den Krippenplatz übernahm der Staat. Die Wende wurde herbeigesehnt, besonders wegen der eingeschränkten Freiheit. Als es dann soweit war wurden die Menschen zuversichtlich und hofften das bisher Entbehrte zu erlangen. Es gab nun alles Autos, bisher zwanzig Jahre Wartezeit, Lebensmittel usw. Wer Arbeit hatte konnte investieren das Neuste und Feinste. Im Wirtschaftsbereich wurde umstrukturiert und kostete Arbeitsplätze. Durch die Privatisierungen stieg die Arbeitslosigkeit enorm. Das Erziehungs- und Sozialsystem war für uns DDR Bürger besser als heute. Wir hatten
ein gutes Bildungssystem Trotz allem, die Wende war notwendig. Ich war fünfzig und hatte noch Arbeit und konnte noch nach und nach in unser Haus investieren. Ein Auto, wenn auch gebraucht war inzwischen auch angeschafft. Heute sind wir als Eigentümer eines kleinen Hauses besser dran als die Mietwohner. Für uns kam die Wende gerade zur rechten Zeit vom Alter her..Unsere Kinder und Enkelkinder werden es in Zukunft nicht leicht haben. Es steht ihnen eine schwere Zeit bevor.
oelgaard
Beiträge: 11
Registriert: Sonntag 8. Februar 2009, 22:06
Wohnort: Lübeck

EIN WENDEGEWINNER

Beitrag von oelgaard »

Aus FAZ.NET vom 12. Februar 2009
:lol:

Ein Wendegewinner[/b]
Das offenkundig harmlose West-Sandmännchen wurde 1989 abgesetzt, wenig später sollte das Ost-Sandmännchen folgen. Wegen der Proteste von Eltern und Kindern wurde es zu einem „der ganz wenigen Wendegewinner im Osten“ (Das Fernseh-Lexikon). Allabendlich im KIKA, RBB und MDR läuft nun mit dem Ost-Sandmännchen nur noch das ehemalige politische Symbol im Kinder-Klassenkampf. Es kommt, wie gehabt, ohne Mund aus und streut nach wie vor den Kindern nach dem Abendgruß Sand in die Augen, reckt jedoch nicht mehr den erhobenen Zeigefinger in die Höhe.
Das andere freundliche Männchen, das mit dem breiten Kapitänsgesicht und dem Kinnbackenbart, das meistens auf einer Wolke angesegelt kam, kennt man dagegen kaum noch. Bald wird man nicht mehr wissen, dass es auf das Sandstreuen konsequent verzichtete, aber den Schlüssel zum Fernseher besaß, den es nach jeder Zubettgeh-Geschichte sorgfältig
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