Feridun Zaimoglu: Leyla

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Erna
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Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Erna »

Da einige schon mit dem Lesen von Feridun Zaimoglus Buch "Leyla" angefangen haben, will ich auch den Strang öffnen, damit etwas hineigeschrieben werden kann. Eine Einführung in die Türkei dieser Zeit werde ich Euch bei unserem Treffen geben.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Euch
Erna
Marlis Beutel
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Lesegruppe,

dieses Buch zu lesen macht tatsächlich Spaß. Man liest nicht nur deshalb weiter, weil man denkt, man müsste. Ich staune, was dem Autor alles einfällt, um das Leben der heranwachsenden Leyla zu erzählen. Die Moralvorstellungen und Gebräuche der handelnden Personen werden dem Leser nahe gebracht und zwar so, dass er sich das Leben damals in der Türkei richtig vorstellen kann. Wenn ich zurückdenke, dann hatten auch die Erwachsenen in meiner Kindheit Einstellungen, die sich beim genaueren Hinsehen als Luftblasen entpuppten, aber wie ernst wurden sie genommen!
Frage an Erna: Ist "Feridun" ein türkischer Männer- oder Frauenname?

Herzliche Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Erna »

Eben ist mir mein ganzer Abschnitt zu diesem Buch verschwunden und ich kann ihn jetzt nicht noch einmal schreiben.
Gruß
Erna
Feridun ist ein türkischer männlicher Vorname, kommt wahrscheinlich aus dem Arabischen und hat etwas mit dun - din - Religion zu tun.
HildegardN
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von HildegardN »

Liebe Marlis,
Deinem Urteil stimme ich voll zu und wahrscheinlich auch die meisten (oder alle? der anderen aktiven Leserinnen. "Das Buch gefällt und ist leicht zu lesen" lautete die fast übereinstimmende Bewertung der Teilnehmerinnen des Literaturkreistreffens am Freitag, und auch "Sprache und Stll" fanden viel Anerkennung.
Schlimm fand ich allerdings die Brutalität des Vaters, der als Tyrann dargestellt wird. Er fordert absoluten Gehorsam, eher eine Unterwerfung, schikaniert und schlägt seine Familie grausam. Das hat mir das Weiterlesen manchmal etwas verleidet.
Herzliche Sonntagsgrüße aus Bad Homburg
Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

ja, die Grausamkeit des Vaters hat mich auch beschäftigt. Bemerkenswert scheint mir aber, dass er niemals "Vater" genannt wird, sondern "Halid" oder "der Mann meiner Mutter". Die Familie hat sich anscheinend an seine Grausamkeit gewöhnt und nimmt ihn nicht wirklich ernst.

Herzliche Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Erna »

Liebe Marlis,
Kinder waren zu dieser Zeit das Eigentum der Eltern, manche Eltern denken ja heute noch so darüber. Allerdings ist die Graussamkeit dieses Halid extrem. Vielleicht weil er selber so erfolglos ist? Alle seine Vorhaben gehen doch daneben und dabei ist er doch so ein stolzer Tschetschene.
Wenn ich mir nur vorstelle, dass er das Essen, das seine Kinder entbehren müssen, weil es ihm nicht schmeckt, zum Fenster hinauswirft.
Die Beschreibung der damaligen ökonomischen Zustände in der Türkei gibt, wenn natürlich überzeichnet, gibt eine gute Darstellung des Landes. Zu diesem Zeitpunkt war die Türkei noch ein Agrarstaat, dessen Menschen zu 75% von der Landwirtschaft lebten. Die Bevölkerung wuchs ständig, und es gab keine Arbeit mehr auf den Dörfern. Der Zug in die kleinen Städte setzte ein, aber auch da gab es kaum Verdienstmöglichkeiten. Als man dann von der Anwerbung hörte, ging man nach Istanbul und hörte vom Anwerbebüro. Zwei Komponenten, die gut zusammenpassten. Man ließ sich anwerben und hoffte in einigen Jahren wieder zurück zu können. Ich glaube, daran krankt die Integration bis heute.
Was mir an diesem Buch gefällt, ist die Erzählperspektive aus Sicht von Leyla.
Erna
Marlis Beutel
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Lesegruppe,

im allgemeinen bin ich nicht so schnell, aber dieser Roman ist so faszinierend, dass ich ihn schon zu Ende las. Er bleibt spannend bis zuletzt! Aber ich will noch einmal hineinschauen und freue mich auf den Gedankenaustausch mit Euch.

Herzliche Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Erna »

In der FAS vom 01.11.09 war ein langer Artikel über das Verhältnis eines in Deutschland lebenden türkischen Mädchens zu ihrenEltern. Leider weiß ich nicht, wie ich ihn online erhalte. Er ist nämlich äußerst interessant, ist Realität im 21. Jahrhundert und beleuchtet das Eltern-Kind-Verhältnis in dieser ethnischen Gruppe. Natürlich darf man es nicht verallgemeinern, aber es ist vorhanden. Der Artikel heißt: Semiras Brief und ist von ihrem Lehrer geschrieben. Vielleicht könnt Ihr ihn Euch besorgen?
Es bestätigt die Glaubwürdigkeit des Buches.
Erna
Zuletzt geändert von Erna am Montag 9. November 2009, 18:46, insgesamt 1-mal geändert.
Annemarie Werning
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Annemarie Werning »

Hallo Ihr Lieben,
eben gerade habe ich das Buch bendet.
Es war interessant, von dem Leben in der Türkei der 50er Jahre zu erfahren.
Entsetzt hat mich, wie sich die Familie dem Vater untergeordnet hat, vor allem aber, daß sich die Ehefrauen - auch Leyla - nur als Dienende empfunden haben. Die Mutter auf die Frage, wie es ihr geht: mir geht es nicht schlecht, mir geht es nicht gut, ich atme..." Leyla nach ihrer Abtreibung kann sich nicht, wie der Arzt empfohlen hat, hinlegen, sondern wirtschaftet weiter herum. Kein Gefühl des Mannes dafür, daß seine Frau entlastet werden müßte. Tröstlich fand ich, daß sich zwischen den Eheleuten Liebe entwickeln konnte, obwohl sie ja keine Chance hatten, sich vor der Eheschließung kennenzulernen.
Die Familie von Leyla scheint aber auch besonders konservativ gewesen zu sein, denn andere Frauen, wie die Großtante oder die Klassenbeste in Leylas Klasse haben ja einen anderen Lebensweg gefunden. Keine der Frauen aber hatte die Idee, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, also zu arbeiten, Geld zu verdienen und unabhängig zu werden. Jede ging davon aus, irgendwann einen Ehemann zu finden, der für ihren Unterhalt aufkommt.
Nach dem Vorspann handelte es sich bei Leyla um die Mutter des Verfassers. Sie war somit in der Lage, ihren Sohn so zu erziehen, daß er sein Abitur als Bester bestehen und studieren konnte. Sie und ihr Mann haben sich ja auch bewußt für ein Leben in Deutschland entschieden.
Mein Fazit: Es hat sich gelohnt, das Buch zu lesen, aber ein Genuß war es nicht .
Annemarie
HildegardN
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von HildegardN »

Liebe Annemarie,
"Es hat sich gelohnt, das Buch zu lesen, aber ein Genuß war es nicht", schreibst Du. Ich pflichte Dir bei, denn meinen Gewinn dieser Lektüre sehe ich darin, dass ich neue Erfahrungen gewonnen habe, aber ich habe das Buch auch sehr gern gelesen.
Beschäftigt hat mich etwas, dass in der Beurteilung der Leserinnen zunächst der Vater eine besondere Aufmerksamkeit fand, während doch Leyla als Ich-Erzählerin und Hauptperson scheinbar weniger Beachtung fand. Liegt es an der altbekannten Tatsache, dass schlimme Ereignisse mehr Aufmerksamkeit in den Medien erhalten als gute Nachrichten? Das Verhalten des Vaters bietet sich hierzu ja gerade an.
Leyla "will ihr Leben selbst in die Hand nehmen", schreibst Du weiterhin. M.E. gelingt es ihr nur sehr zögerlich, denn ein so selbstbestimmtes Leben, wie wir es führen, scheint mir trotz ihrer Übersiedlung nach Deutschland für sie noch in weiter Ferne zu liegen. Liegt es daran, dass sie "ihrer Welt doch nicht ganz entkommen kann", weil sie zu viele Fäden in ihrer Tradition, Herkunft und Familie festhalten? Diese Frage hat mich sehr nachdenklich gemacht.
Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Annemarie und liebe Hildegard,

das Buch habe ich ausgesprochen gern gelesen, es war an keiner Stelle langweilig. Ich habe auch gestaunt, wieviele Einzelheiten dieser in Deutschland lebende Autor über seine Familie und die türkischen Traditionen weiß.
Überrascht hat mich, dass die heranwachsenden Mädchen sich vorstellen, einen liebenswerten Mann zu finden, obwohl sie doch in der Ehe ihrer Eltern etwas ganz anderes erleben. Ich hatte als Kind keine solche Phantasie, sondern wollte lieber Lehrerin werden. Diese Mädchen gehen doch auch zur Schule.
Ich denke, die Familie bereitet die Töchter systematisch auf die Ehe vor. Eine Alternative existiert überhaupt nicht. Diese Familie gibt auch die nötige Geborgenheit. Leylas Schwestern schaffen es trotz Auslandsaufenthalt nicht, außerhalb ihrer Familie selbständig zu werden.
Dass Leyla den Vater ablehnt, ist schon ein Zeichen ihrer Fähigkeit, sich von der Familie zu lösen und etwas ganz Neues zu wagen, wenn auch in winzigen Schritten.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Erna »

Liebe Schreiberinnen,
ich finde trotz allem, dass Leyla anfängt, die Bräuche und Sitten der Familie in Frage zu stellen und sich innerlich dagegen zu wehren. Was wäre aus Leyla geworden, wenn sie gesagt hätte, ich möchte einen Beruf ergreifen und z.B. in einem Büro arbeiten. Die intellektuellen Fähigkeiten hätte sie dazu gehabt. Der Vater hätte sie wahrscheinlich an den Haaren wieder in den Schoß der Familie geholt.
1970 habe ich einem türkischen Mädchen in Frankfurt eine Lehrstelle in einem Frisörsalon verschafft. Jeden Abend wurde sie vom Vater abgeholt. Nach einigen Wochen verbot der Vater ihr, weiterhin hinzugehen, da die Betreuung für ihn zu aufwändig war.
So bleibt als letzter Ausweg nur die Heirat mit einem vielleicht nicht so schlimmen Macho, wie es der Vater war. Oder man müsste die Kraft haben, das Leben als Außenseiterin zu ertragen, wie es ja eine der Freundinnen tut.
Erna
Erna
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Re: Feridun Zaimoglu: Leyla

Beitrag von Erna »

Hallo, Ihr Lieben,
nach unserem ausführlichen Gespräch beim Treffen am 22.11.09 habe ich angenommen, dass doch die eine oder andere Leserin etwas in das Forum schreiben würde.
Ich fand es sehr interessant zu sehen, dass manche der in dem Buch geschilderten Verhaltensformen immer noch in den türkischen Migrantenfamilien anzutreffen sind. Dabei denke ich an den Brief der Samira an ihren Lehrer und die Ansichten von Leylas Vater, die sich ähneln, obwohl 50 Jahre dazwischen vergangen sind. Oder die Ergebenheit der beiden Mütter in ihr Los und ihr Bemühen, den Mädchen die Zukunft dadurch leichter zu gestalten, dass sie sie für ihre spätere Rolle vorbereiten. Dabei überlegen sie nicht, dass es besser wäre, die Mädchen in ihren Wünschen zu unterstützen und dadurch das in den Familien herrschende Patriarchat zu beenden.
Erna
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