Philip Roth: Der menschliche Makel

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Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Lesegruppe,

mit großem Interesse habe ich Eure Beiträge gelesen. Es freut mich besonders, dass wir auch einen Beitrag aus Dresden haben. Aber dazu habe ich zwei Randbemerkungen: Philip Roth faßt m.E. den Begriff des menschlichen Makels sehr viel weiter. Das Wort fand ich auf S. 271 im letzten Absatz. Dort äußert sich Faunia (die mich übrigens an eine Art Naturgewalt erinnert, an einen Faun), als sie die Krähe besucht. Es heißt dort: "Die Berührung durch uns Menschen hinterläßt einen Makel, ein Zeichen, einen Abdruck......- der Makel ist untrennbar mit dem Dasein verbunden."
Ich denke auch, dass nicht in erster Linie Coleman den Preis für die Verleugnung seiner Familie bezahlt - das wäre nur folgerichtig. Statt dessen bezahlt die Familie ebenso, vor allem die Mutter.
Mit diesem Buch ist man intensiv beschäftigt und entdeckt immer wieder neue Gedanken und Interpretationen.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von HildegardN »

Liebe Marlis,
ich stimme Dir voll zu: wenn man sich mit diesem Buch beschäftigt, entdeckt man immer neue Gedanken und Interpretationen, aber sie werfen auch weitere Fragen auf.
Mich beschäftigt immer wieder die Frage, weshalb Faunia sich als Analphabetin ausgegeben hat. Zwar gibt es dafür eine Begründung (S.330/331), u.a.: "Sie hat nichts gegen das Lesen an sich - aber so zu tun, als sei sie dazu nicht imstande, erscheint ihr richtig. Es gibt den Dingen den gewissen Pfiff....."
Mit dieser Entscheidung nimmt man doch einen Eingriff in sein Leben vor, der viele Möglichkeiten und Entscheidungen hemmt -und ähnlich, wie bei Coleman, immer wieder Lügen und Anpassungen an die gewählte Rolle, also ständiges Rollenverhalten, erfordert.
Wie denkt Ihr darüber?
Mit herzlichen Grüßen aus Bad Homburg
Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

es freut mich natürlich, wieder einen Beitrag von Dir zu lesen. Ich finde, dass Faunia überhaupt schwer zu verstehen ist, jedenfalls für Menschen wie uns. Wir haben so völlig andere Lebensläufe und können leichter die Handlungen und Gedankengänge Intellektueller nachvollziehen. Faunia würde vermutlich auch einen solchen Roman niemals lesen. Sie hat wohl überhaupt keine Hintergedanken und scheint ganz und gar aus dem Augenblick zu leben. Meistens jedenfalls. Aber wenn ich mir die Tanzszene noch einmal ansehe, dann fällt mir auf, dass sie auch manches versteht und ausdrücken kann. Es heißt sogar dort wörtlich: "Die dumme Faunia zu sein - das ist meine Leistung, Coleman. Das bin ich, wenn ich am vernünftigsten bin."
Habt Ihr Euch in der Gruppe darüber unterhalten, weshalb sie Faunia heißt?

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

bei einem Spaziergang kam mir die Idee, dass Faunia mit ihrer Leseverweigerung vielleicht ein kleines Kind sein wollte, das noch nicht zur Schule ging. Sie war immerhin um ihre Kindheit betrogen worden. Würde das einleuchten?

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von HildegardN »

Liebe Marlis,
auch ich habe, angeregt durch Deine Beiträge, weiter nachgedacht und meine, dass Faunia, indem sie beschloss, sich als Analphabetin auszugeben, "in eine andere Haut schlüpfen" wollte, eine andere Identität erstrebte. Einen ähnlichen Weg, wenn auch unter anderen Voraussetzungen und Zielen, ging ja auch Coleman.
Den von Dir geäusserten "Kind-Gedanken"
kann ich nicht nachvollziehen. Auch der Autor kommt m.E. bei seinen Überlegungen zu einem anderen Ergebnis und schreibt, dass Faunia "Bildung mit einem Wissen übertrumpft, das stärker und urwächsiger ist"... (S.330), während ich den Eindruck habe, dass sie aus einer gewissen Resignation heraus handelt.
Mit herzlichen Grüßen aus Bad Homburg
Hildegard
Erna
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Erna »

Das Buch habe ich nun zu Ende gelesen. Genau wie Roth habe ich den agressiven Les im Kopf gehabt und finde nun am Ende das Gespräch mit einem "normalen" auf jeden Fall nicht agressiven Menschen vor. Allerdings hatte ich nicht angenommen, dass er absichtlich den Unfal von Faunia und Coleman verursacht hätte. Wer oder was war dann aber der Grund dafür? habe ich etwas übersehen?
Gruß aus dem Regen
Erna
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Erna,

Mein Eindruck war, dass Les bis zuletzt unheimlich ist und seinem Gesprächspartner ganz und gar nicht geheuer, wenn er auch im Gespräch "normaler" wirkt, als der Schriftsteller erwartet hatte. Immerhin nimmt sich der Schriftsteller vor, woanders hinzuziehen, sobald das Buch fertig wäre. Dass Les der Mörder ist, beruht nicht auf einem Zufall. Es war Absicht. Davon ist Zuckerman nach wie vor überzeugt.

Herzliche Grüße nach Frankfurt, Marlis
Marlis Beutel
Klaus Rüger

Behandlung der Sexualität in den Werken von Roth

Beitrag von Klaus Rüger »

Um die Diskussion wieder anzuregen, möchte ich etwas zum Thema Sexualität in den Werken von Roth sagen :
Die amerikanische japanisch-stämmige Lieraturkritikerin Kakutani sprach zu der , na sagen wir oft etwas überbordenden Behandlung sexueller Themen bei Roth und Updike von einer "lüsternen Altherrenriege", die sich da äussere !
Soweit möchte ich bei diesem Werk hier nicht gehen, aber bei den Romanen von Roth wie "Sabbath's Theater" und "Professor der Begierde" könnte man schon zu so einer Meinung kommen !
Ich erinnere an den damaligen Streit zwischen Ranicki und Frau Löffler im "Literarischen Quartett" und an Kritiken zu Romanen von Martin Walser bezüglich dieses Themas !

Man muss nicht prüde sein, in den modernen Romanen sollte Sexualität nicht ausgeklammert werden, aber ist nicht ein gewisses Mass dabei zu beachten ?
Vielleicht könnt Ihr etwas dazu sagen !!?

Mfg
Klaus
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Lieber Klaus,

es freut mich, wieder von Dir zu lesen.
Roths lange Passagen über Colemans und Faunias Sexualität habe ich pflichtschuldigst und nicht gerade mit Begeisterung gelesen. Da ich aber mit anderen Romanen nicht vergleichen kann, weil ich sie nicht kenne, kann ich mir auch kein Urteil erlauben.
Andererseits frage ich mich, was sonst zwei so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Coleman und Faunia zusammenführen könnte. Ist es in den anderen Romanen auch so, dass sich die Akteure nur auf diesem Gebiet verständigen können? Ich fange gerade den Roman "Indignation" an zu lesen und bin neugierig, was Roth hier zu sagen hat.

Herzliche Grüße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Erna »

Liebe Marlis, lieber Klaus,
die Ansicht über die auffällige Sexualität in Roths Romanen habe ich zuvor schon in manchen Rezessionen gelesen. Vor allem von seinem letzten Buch wurde es gesagt. Ich habe auch noch eine anderes Buch von ihm, Amerikanisches Idyll, da liegen, aber im Augenblick muss ich mich erst einmal mit einem Krimi beschäftigen.
Außerdem halte ich mich bei Sexualität auch immer etwas zurück, denn ich meine, dass man im Alter vielleicht etwas allergisch gegen zu genaue Beschreibung von Sexualität ist.
Erna
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