Philip Roth: Der menschliche Makel

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Erna
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Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Erna »

Sicherlich habt Ihr schon bemerkt, dass man ein paar Tage nicht das Forum öffnen konnte. Da A. Bias heute schrieb, dass es wieder zu gebrauchen ist, will ich nur den Strang eröffnen, damit Ursel ihre Arbeit fortsetzen kann.
Zum Buch will ich nur sagen, dass es ganz anders ist als der "Aufbruch". Manchmal in seiner sprachlichen Form für alte Leserinnen etwas gewöhnungsbedürftig. Nicht desto trotz finde ich es sehr gut, so weit ich es bei 80 Seiten beurteilen kann.
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Erna
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Lesegruppe,

unser neues Buch "Der menschliche Makel" liest sich ganz hervorragend. Vielleicht muss man sich erst einlesen nach dem "Aufbruch".
Wie Roth die Menschen beschreibt in ihren Entwicklungen und verschiedenen Denk- und Handlungsweisen, das ist ebenso faszinierend wie nachvollziehbar. Auf der Seite 32 oben hat mich der erste Abschnitt besonders angesprochen. Es geht um eine Tätowierung. Roth fährt fort: "Ein kleines Symbol, wenn es eines Symbols bedurfte, für die unzähligen Umstände im Leben eines anderen Menschen, für diesen Schneesturm von Details, die eine Biographie durcheinanderwirbeln - ein kleines Symbol, das mich daran erinnerte, dass unser Verständnis anderer Menschen im besten Fall nur ein bißchen falsch ist."
Es ist erstaunlich, wie differenziert sich Roth ausdrücken kann! Wenn man etwas aussagt, legt man sich damit ja auch fest. Was aber, wenn diese Festlegungen gar nicht stimmen bzw. "nur ein bisschen falsch" sind? Roth kann damit umgehen und überrascht damit im Verlauf deieses spannenden Romans seine Leser.
Viel Lesevergnügen Euch allen! Marlis
Marlis Beutel
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Lesegruppe,

unser neues Buch "Der menschliche Makel" liest sich ganz hervorragend. Vielleicht muss man sich erst einlesen nach dem "Aufbruch".
Wie Roth die Menschen beschreibt in ihren Entwicklungen und verschiedenen Denk- und Handlungsweisen, das ist ebenso faszinierend wie nachvollziehbar. Auf der Seite 32 oben hat mich der erste Abschnitt besonders angesprochen. Es geht um eine Tätowierung. Roth fährt fort: "Ein kleines Symbol, wenn es eines Symbols bedurfte, für die unzähligen Umstände im Leben eines anderen Menschen, für diesen Schneesturm von Details, die eine Biographie durcheinanderwirbeln - ein kleines Symbol, das mich daran erinnerte, dass unser Verständnis anderer Menschen im besten Fall nur ein bißchen falsch ist."
Es ist erstaunlich, wie differenziert sich Roth ausdrücken kann! Wenn man etwas aussagt, legt man sich damit ja auch fest. Was aber, wenn diese Festlegungen gar nicht stimmen bzw. "nur ein bisschen falsch" sind? Roth kann damit umgehen und überrascht damit im Verlauf dieses spannenden Romans seine Leser.
Viel Lesevergnügen Euch allen! Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von HildegardN »

Liebe Marlis,
Dein Beitrag hat mich nicht nur angesprochen, sondern auch motiviert, den von Dir begonnenen Reigen der Diskussionen gleich fortzusetzen.
Ich habe das Buch bereits zuende gelesen, will heute jedoch nicht vorweg greifen und deshalb nur eine kurze Anmerkung ins Forum stellen.
Auch ich habe Philip Roths Roman - bis auf einige Passagen - gern gelesen. Besonders beeindruckt hat mich die Vielzahl der Themen, die der Autor aufgreift und behandelt, darunter vor allem der Rassismus und seine Auswirkungen sowie die Spätfolgen des Vietnamkrieges und die Therapie - hier am Beispiel eines beteiligten Soldaten geschildert.
Mehr hierzu und zu anderen "Geschichten" im nächsten Beitrag.
Mit herzlichen Grüßen aus Bad Homburg
Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

es stimmt natürlich, dass sich nicht alle Passagen des Buches gleichermaßen gut lesen. Was mich besonders fasziniert, ist die Beziehung zwischen Coleman Silk und Delphine Roux. Ich denke nicht, dass ich vorgreife, denn von ihr ist schon im ersten Kapitel die Rede. Genaueres erfährt man aber erst wesentlich später. Beide sind hoch begabt und haben ihre Individualität auf die Spitze getrieben. Sie eignen sich wunderbar als erbitterte Feinde, wären aber auch als ebenso leidenschaftliche Liebhaber denkbar.
Mein Sohn machte mich auf Silks Vornamen aufmerksam, Coleman. Gut, nicht wahr? Er spricht sich wie coalman. Im Englischen heißt das Buch "The Human Stain". Ich habe das Wort "Makel" bei Langenscheidt nachgesehen. Da ist die Übersetzung aber nicht "stain", sondern flaw, blemish, stigma. Umgekehrt findet sich bei "stain" allerdings auch die Übersetzung "Makel". Es scheint ein dunkler Fleck zu sein, den man immer wieder im Roman entdeckt und in verschiedenen Zusammenhängen.

Herzliche Grüße an alle, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Erna »

Liebe Marlis,
wir haben auch beim Treffen etwas über den Namen und den Titel des engl. Buches diskutiert, denn Renate liest es auf Englisch.
Was ich so interessant finde, eigentlich stoßen hier zwei Minderheiten aufeinander, die beide nicht gerade im Amerika dieser Zeit zu den angesehensten zählen. Um so eigenartiger finde ich das Ansinnen des jüdischen Arztes, dass Coleman doch schlechtere Noten erzielen sollte, damit sein Sohn auch Arzt werden könnte. C.'s Vater war ja kein Akademiker. Anscheinend waren bestimmte Bildungsgänge kontingentiert.
Die Freiheit, die der Tod des Vaters für C. bedeutet, ist auch sehr bemerkenswert. Obwohl C. nicht klein ist, immerhin 1.75m, verliebt er sich in ein weißes Mädchen, das 8 cm größer ist!
Das nächste Mal mehr von den Eigentümlichkeiten, di mir aufgefallen sind.
Erna
HildegardN
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von HildegardN »

Die Vielzahl der "Geschichten", die Philip Roth in seinem Roman eingeflochten hat, machen es schwer, eines der Themen zuerst herauszugreifen.
Marlis hat in ihrem Beitrag auf die Beziehung zwischen Coleman Silk und Delphine Roux verwiesen und auf deren ausgeprägte Individualität, die für beide zwar unterschiedliche, aber entscheidende und schließlich nahezu katostrophale Folgen hat.
Für Coleman ist es die Annahme, aber auch die Auseinandersetzung mit einer neuen Identität, ungeachtet der dadurch verursachten Grausamkeit gegenüber seiner Mutter und der vielen Verletzungen, die er anderen zufügt.
Delphine muss mit einer sie belastenden Einsamkeit leben. Um ihr zu entfliehen, beschreitet sie Wege, die - wie im Falle der Intrige und Täuschung - ihrer nicht nur unwürdig, sondern auch als kriminell zu beurteilen sind.

Das Leben der beiden hochbegabten und beruflich erfolgreichen Wissenschaftler führt zunehmend über steinige Wegstrecken. Ihre Zukunft ist - wenn auch unterschiedlich - belastet, teils sogar blockiert. Colemans Zukunft wird durch einen Unfall abrupt beendet, und wie Delphine ihre Zukunft, auch angesichts ihrer Schuld, erleben wird, bleibt offen.

Herzliche Wochenendgrüße aus Bad Homburg
Hildegard
Erna
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Erna »

Im Augenblick lese ich gerade die Episode, die Coleman mit Ellie hat. Ellie hat erkannt, dass er ein sehr weißer "Schwarzer" ist, sie weist ihn darauf hin, dass es außer ihm noch viele andere gibt, die er gar nicht als Farbige erkennt, die sich auch nicht als solche zu erkennen geben. Ellie erkennt sie aber sofort. Das erste Mal wird er übrigens von der Prostituierten als farbig erkannt, worauf sie ihn nicht bedient!
Die Freiheit und Leichtigkeit mit Ellie, die sich in einer Fröhlichkeit ausdrückt, sie lachen sehr viel, reicht ihm aber nicht. Warum? Warum muss er wieder eine "weiße" Frau suchen? Dadurch verleugnet er seine Familie, will seiner Frau nicht seinen Angehörigen vorstellen, erklärt sie für tot und kränkt seine Mutter. Ich glaube, das könnte ich nicht.
Erna
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

nein, liebe Erna, der Familie solche Kränkungen zufügen wie Coleman das getan hat, könntest Du sicher nicht. Warum hat Coleman kein schlechtes Gewissen? Er wird bedingungslos von seiner Mutter geliebt und hat offenbar die soziale Seite seines Wesens kaum entwickeln müssen. Ganz anders sein Bruder, der älteste in der Geschwisterreihe. Er fühlt Verantwortung gegenüber der Familie und ausreichend Zorn, den Bruder zu bestrafen.
Die Schwester empfindet Verantwortung und hält Kontakt zu beiden Brüdern. Wie die Mutter den Konflikt erlebt, wird einfühlsam beschrieben S.159/160. Aber ich habe mich auch gefragt, wie ich eine solche Vernachlässigung ertragen würde.
Coleman unterhält später auch nicht viel Kontakt zu seinen eigenen Kindern. Ein Sohn scheint die Unstimmigkeit im Leben seines Vaters zu spüren und kommt selbst nicht zurecht.
Es ist eine ganz raffinierte Idee des Autors, dass ausgerechnet Coleman Negerfeindlichkeit vorgeworfen wird, so dass er das College verlässt und damit seinen Lebensinhalt verliert. Oder ist es einfach nur logisch, dass er für den Verrat an seiner Herkunft büßt?

Ich freue mich über Eure Beiträge und grüße herzlich von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Erna »

Ich freue mich über die schnelle Antwort! Leider habe ich noch nicht weitergelesen.
Schöne Sonntagsgrüße
Erna
HildegardN
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von HildegardN »

Unser Literaturkreis ist bereits recht aktiv in den Wonnemonat Mai gestartet, da will ich mich nicht ausschließen.
Besonders beeindruckt haben mich in Philip Roths Roman die Passagen über die Erlebnisse und Belastungen des ehemaligen Soldaten Les Farley im Vietnam-Krieg - und wie der Autor damit umgeht, sie verarbeitet. Hier kommt deutlich zum Ausdruck, wie ein längerer aktiver Kriegseinsatz die Kämpfenden belasten, verändern und manchmal auch fast zerstören kann.
Die zumeist noch sehr jungen Menschen lernen sich zu wehren, aber auch zu töten und zu vernichten -- allerdings nur, solange sie am Krieg teilnehmen. Danach müssen sie sich wieder in die "Normalität" einfügen. Wie sie nach ihrer Heimkehr mit ihren Verletzungen und Aggressionen, aber auch mit ihren Ängsten umgehen sollen, dafür erhalten sie kein Konzept.

Es ist deshalb m.E. kein Wunder, dass Farley überfordert ist und ausrastet, aber er leidet auch und entscheidet sich für eine Therapie, die ihm wohl etwas hilft, aber nicht heilt.
Die Kriegsfolgen und ihre Therapie sind heute ein Thema, das durch den Krieg in Afghanistan eine aktuelle Bedeutung gewonnen hat. Ich finde es gut, dass Philip Roth dieses Problem in seinem Roman berücksichtigt und am Beispiel eines betroffenen ehemaligen Vietnam-Kämpfers den Lesern deutlich gemacht hat.
Mit etwas feuchten Maigrüßen aus Bad Homburg
Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

die Geschichte über Lester Farley ist so ungeheuerlich, dass ich sie am liebsten nicht so genau gelesen hätte. Immerhin wuchs ich in einer Familie auf, deren Vater mit 18 Jahren im Ersten Weltkrieg so schwer verwundet wurde, dass die Ärzte ihm nur eine kurze Lebenszeit voraussagten. Aber er wurde ziemlich alt, als Behinderter und Kettenraucher.
Colemans Bruder kämpfte in Italien gegen Hitler. War das harmloser als Vietnam? Ich habe keine Ahnung und will es auch nicht so genau wissen.

Herzliche Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Klaus Rüger

Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Klaus Rüger »

Man muss schon mehrere Werke von Roth gelesen haben, um auch dieses Buch entsprechend bewerten zu können. Roth schreibt über Probleme des Älterwerdens, Rassenprobleme und menschliche Schwächen in der amerikanischen Gesellschaft. Auch der Held dieses Romans hat die menschliche Schwäche, den menschliche Makel, seine Herkunft zu verschleiern, um Karriere und Heirat erfolgreich zu gestalten. Er zahlt einen hohen Preis dafür, nämlich den Bruch mit seiner Familie !
Gerade er wird nun an seinem College, wo er lehrte, wegen einer harmlosen Bemerkung des Rassismus verdächtigt. Man erfährt nun vom charakterlosen Verhalten seiner Kollegen, die sich zu dieser Beschuldigung äussern !
Kaltes Entsetzen erfasst einem oder sollte jeden erfassen, wenn der Leser über den Vietnamveteranen Les Farley liest. Gerade uns Deutschen sollte dies jetzt und heute etwas sagen, wenn wir irgendwas am Hindukusch verteidigen wollen !!!
Es ist noch Zeit zur Umkehr !

Mfg

Klaus
Erna
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von Erna »

Im Augenblick lese ich gerade den Teil, in dem Roth die Therapie von Les beschreibt. Manchmal frage ich mich, hat der Vietnam- Krieg bei allen Teilnehmern diese Folgen gehabt? Führen alle Kriege letzendlich zu diesen Folgen? Hatten frühere Kämpfe, da diese ja bestimmten Regeln unterworfen waren, nicht auch ähnliche Auswirkungen? Immerhin habe ich den zweiten Weltkrieg als Jugendliche und Flüchtling miterlebt.

Eine andere Stelle habe ich gar nicht nachvollziehen können: Den Tanz und die Gespräche zwischen Colman und seiner Geliebten und ihre Gedanken dabei. Aber vielleicht muss man dazu Mann sein oder der Tanz ein besonderer Teil des Lebens bedeuten. Siehe auch den Tanz mit Roth!
Erna
HildegardN
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Re: Philip Roth: Der menschliche Makel

Beitrag von HildegardN »

"Der menschliche Makel" ist das erste Buch von Philip Roth, das ich mit Interesse gelesen habe, und das mich immer noch beschäftigt. Das darin beschriebene Schicksal von Les Farley, durch seine Teilnahme am Vietnam-Krieg verursacht, hat mich, wie ich bereits angemerkt habe, besonders beeindruckt.
Dabei bin ich nicht der Ansicht, dass der Vietnam-Krieg vergleichsweise viel grausamer war. Vielleicht waren es andere Grausamkeiten als sie in den Kriegen in Europa bekannt geworden sind.
Die durch die Kriegsteilnahme verursachten psychischen Belastungen wurden in früheren Zeiten wohl kaum oder wenig zur Kenntnis genommen oder einfach ignoriert und blieben wahrscheinlich unbehandelt.
Heute werden auch die durch Kriegführung und Kriegseinwirkung verursachten psychischen Belastungen und Erkrankungen erkannt und berücksichtigt.
In der Literatur werden die Folgen des Zweiten Weltkrieges zunehmend beschrieben und kommentiert. Und besonders wir, die Zeitzeugen dieser Jahre und Ereignisse, werden noch heute mit den Auswirkungen der Kriegshandlungen konfrontiert, wenn wir mit Menschen zusammen treffen, die ihre Erlebnisse nicht verarbeiten oder verkraften können.
Hildegard
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