Toni Morrison: Liebe

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Erna
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Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Erna »

Hallo, liebe LeserInnen,
hiermit eröffne ich den Strang für das Buch "Liebe". Da ich außer dem Vorspann, der in Schrägschrift ist und das Verhalten der heutigen Menschen kritisiert: "Heute plappern die Zungen von selbst und der Kopf hat Pause." noch nichts gelesen habe, hoffe ich, dass eine von euch uns von ihren ersten Eindrücke berichtet.
Erna
Annemarie Werning
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Annemarie Werning »

Hallo Ihr Lieben,
ich habe jetzt die ersten 90 Seiten - mit Mühe - gelesen, weiß aber noch immer nicht genau, wer wer in dem Buch ist. Klar ist nur, daß Heed die Ehefrau von Bill Cosey, den sie "Papa"n nennt, ist. Gut gefallen hat mir die Schilderung der Jugend und des Umfelds des jungen Mädchens Junior. Ich hoffe, daß es in den amerikanischen Slums nicht so schlimm zugeht, wie es die Verfasserin beschreibt, z.B. daß bei einer schweren Verwundung kein Arzt zugezogen wird. Da hatte es Leyla in der Türkei allemal besser. Jetzt bin ich neugierig, wie es weitergeht. Wer ist wohl Christine?
Viele Grüße Annemarie
Marlis Beutel
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Lesegruppe,

nach dem allerersten Satz hätte ich das Buch am liebsten zurück gegeben. Einen solchen Anfang kann sich nur eine Autorin leisten, die nicht auf Leser angewiesen ist. Als ich dann die ersten 16 Seiten gelesen hatte, fragte ich mich nach dem Inhalt und las alles noch einmal.
Die Autorin macht es den Lesern wirklich nicht leicht. Dabei ist ihre Sprache voller Bilder. Aber beim Lesen habe ich den Eindruck, dass sie zuviel voraussetzt. Es ist mir bisher nicht gelungen, mich in die Handlung hinein zu versetzen.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Erna »

Liebe Marlis,
ich habe zunächst auch so gedacht und die Einführung 2x gelesen. Da musste ich feststellen, dass ich Ähnliches denke, aber nie so ausdrücken würde.
Wir lesen Morrison ja als Pendant zu den beiden männlichen weißen Amerikanern als schwarze Frau. Ist sie vielleicht ihrer Herkunftskultur noch sehr verbunden? Wie groß sind Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den "Minderheiten" in Amerika?
Gruß
Erna
HildegardN
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von HildegardN »

Liebe Mitleserinnen,
nicht anders als hier bereits angesprochen, fällt es schwer, sich in Toni Morrisons Buch "Liebe" einzufinden. Ich habe erst spät begonnen, weil wir ja diesmal viel Lesezeit haben, aber inzwischen zweimal erneut angefangen, weil ich, wie in einem dunklen Wald, keinen Weg erkennen konnte.
Hilfesuchend habe ich einige Rezensionen aufgesucht und im folgenden Text einige Hinweise gefunden:
"Toni Morrison erzählt die komplexe Geschichte nicht linear, sondern sie beginnt mit zunächst unverständlichen Andeutungen und streut nach und nach Hinweise ein, deren Zusammenhang sich erst allmählich erschließt...... Das Geschehen wird aus den Perspektiven verschiedener Figuren geschildert, unter anderem einer Ich-Erzählerin, deren Texte kursiv gedruckt sind und deren entscheidende Rolle erst am Ende zu durchschauen ist."
Jetzt lese ich etwas flotter und auch --gefasster weiter.
Mit herzlichen Grüßen vom Bad Homburger Sommer
Hildegard
Erna
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Erna »

So wie es Hildegard beschreibt, ist es auch mir ergangen. D.h. ,nachdem ich mich durch die Stimme aus dem All gekämpft hatte, fing ich mit dem normal ausgedruckten Text an und muss sagen, ich bin auf Seite 40, mir gefällt das bisher Gelesene. Vielleicht sollte ich nicht so schnell mit der Kritik sein.
Sonnige Grüße
Erna
Marlis Beutel
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Mitleserinnen,
nein, als Kritik kann ich das etwas mühsame Hineinfinden in diesen Text nicht sehen. Hildegards Zitat war sehr hilfreich. Inzwischen fesselt mich das Buch, wenn ich auch noch immer nicht weiß, ob ich die Personen einander richtig zuordne. Ich habe mich gefragt, was das Besondere dieses Romans ist und kam zu der Überzeugung, dass es für die Autorin keinerlei Illusionen gibt, was unser Leben auf dieser Erde betrifft. Ist das die Wahrheit, der wir uns stellen müssen? Es wäre keine angenehme Wahrheit. Aber der Buchtitel ist "Liebe" und nicht "Beziehungen". Also müsste noch etwas in dieser Richtung zu erwarten sein.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Annemarie Werning
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Annemarie Werning »

Liebe Mitleserinnen,
inzwischen sehe ich klarer. Die Erzählerin ist L., L hat mit 14 Jahren begonnen, in dem Hotel zu arbeiten und ist bis zum Tod von Bill" dort geblieben. Sie hat auch manches gesteuert. Die Geschichte betrifft das Verhältnis von Heed - die aus völlig assozialen schwarzen Verhältnissen stammt (die Johnsons) und mit 11 Jahren von Bill (schon über 50) geheiratet wurde. Christine ist die Enkeltochter von Bill. May ist ihre Mutter, die den einzigen, inzwischen verstorbenen Sohn von Bill geheiratet hatte. Beide Mädchen (Heed und Christine) waren gleich alt und richtig gute Freundinnen. Christine fühlte sich durch die Heirat und die neuen Lebensumstände von Heed verraten. May hat die Zwietracht gefördert. Die Schilderung der Lebensverhältnisse der beiden Frauen und ihres Verhältnisses zueinander ist sehr einfühlsam. Das Buch gewinnt ab Seite 90.
Viele Grüße
Annemarie
HildegardN
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von HildegardN »

Liebe Mitleserinnen,
wie so oft, beschäftige ich mich auch diesmal wieder mit dem Titel des Romans, und ich meine, der Titel "Liebe" wird dem Inhalt nicht gerecht.
Wer sich von diesem Titel eine Liebesgeschiche erhofft, habe ich jetzt bestätigend in einer Rezension von Peter Schneck gelesen, und "sich vom plakativen Titel ... eine Liebesgeschichte erhofft, wird bald eines Besseren belehrt. Denn Liebe wird in der Geschichte nur in ihren bedrohlichen, verstörenden, unerfüllten, enttäuschten, illusionären und destruktiven Formen dargestellt -- wenn man so will, als Leidenschaft, die vor allem Leiden schafft."

Es wird viel gelitten in diesem Roman, und daraus ist auch ein nicht enden wollender Hass erwachsen, der den Verlauf der Geschehnisse beeinflusst und schließlich dem tragischen Ende zuführt.
Ich habe den Eindruck, dass die Autorin der realen Liebe keine Chance gibt und dass sie in der Beziehung zwischen den einzelnen Protagonisten eher abwesend ist. Lediglich in der ersten Ehe von Bill Corsey mit seiner früh verstorbenen Frau Julia hatte wohl die Liebe Platz. - Weshalb dann der Titel "Liebe"?
Die noch agierenden Corsey-Familienmitglieder sind durch enttäuschte Erwartungen, zertörte Hoffnungen und umstrittene Erbschaftsentscheidungen miteinander verbunden, vielleicht auch in gewisser Weise aufeinander angewiesen.
Vielerlei und "gefährliche Verstrickungen" sind die Folge.- Vielleicht wäre dies ein angemessener Titel? Was meint Ihr?
Mit herzlichen Grüßen aus Bad Homburg
Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

Du hast natürlich recht. Aber "gefährliche Verstrickungen" würde viel über den Inhalt des Romans verraten. Ich überlege mir, in welchem Ausmaß die Menschen Liebe nur auf eine solche Weise kennen lernen, so illusionslos.
In diesem Roman spielt Bildung keine Rolle. Es geht darum, genug zu essen zu haben, ein Dach über dem Kopf und ein bisschen Vergnügen. Bei den Erbinnen geht es außerdem um Geld und Macht. Nicht einmal Religion spielt eine Rolle. Bei Philip Roth dagegen ging es um einen Intellektuellen, der sich auch ein geistiges Zuhause erwerben konnte. Diese Chance haben die Charaktere bei Morrison nicht.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von HildegardN »

Inzwischen habe ich den Roman zuende gelesen, und da ich ihn, ähnlich wie Annemarie, allmählich immer lesefreundlicher und auch spannend fand, habe ich mein Lesetempo ziemlich gesteigert, ohne gedanklich viel einzuhalten. Nun will ich einige der verbliebenen Lücken füllen und mich mit den einzelnen Protagonisten beschäftigen, bzw. ihre Rolle betrachten.
Die erste und wie ich meine, entscheidende Rolle, räume ich hierbei L, der Köchin und Ich-Erzählerin, ein. L kochte fast fünfzig Jahre lang für Bill Cosey und verließ erst am Tag seiner Beerdigung sein Haus. Sie erlebte in dieser Zeit alle Entwicklungen, Entscheidungen und Veränderungen in der Cosey-Familie sowie Freude und Leid, aber auch manche Irrungen und Verwirrungen.
L misschte sich auch ein, begann Fäden zu ziehen und damit das Schicksal der Cosey-Familie zu beeinflussen und letztendlich in gewisser Weise sogar zu besiegeln.
Zusammenfassend sehe ich L, wie es in einem Faust-Zitat zum Ausdruck kommt, als "Teil von jener Kraft, die stets das Gute will, und ..... das Böse schafft."
Mit sommerlichen Grüßen aus Bad Homburg
Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

sei mir nicht böse, aber ich war sehr unsicher, was das Faust-Zitat betrifft und habe deshalb im Internet nachgesehen: Es muss heißen "Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Hast Du das gemeint oder eher das Gegenteil? Ich bin noch nicht am Ende des Romans angelangt, erst beim Gespräch zwischen Großvater und Enkel, das mich beeindruckt, weil sich der Großvater so sinnvoll verhält.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von HildegardN »

Liebe Marlis,
gut, dass Du mich darauf aufmerksam gemacht hast, dass das von mir angeführte Zitat auch missverständlich sein kann.
Auch ich hatte mich zunächst bei Google über den genauen Wortlaut informiert und habe ihn dann geringfügig verändert, indem ich das zweite "stets" durch Punkte ersetzt habe, weil dies m.E. dem Verhalten der L nicht gerecht wird, deren Einsatz und Bemühungen für die Cosey-Familie ich zunächst als recht positiv gesehen habe.
Herzliche Grüße, Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Lesegruppe,

inzwischen habe ich das Buch zu Ende gelesen und mir fällt ein anderes Faustzitat ein. Es lautet: "Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor." Mit anderen Worten: Ich habe gleich wieder von vorn angefangen, denn jetzt weiß ich, wie ich die Personen der Handlung einzuordnen habe. Womit ich nicht so recht umgehen kann, das sind die zeitgeschichtlichen Bezüge, die ja immer wieder eine Rolle spielen. Da muss ich mich noch informieren. Spannend ist der Roman jedenfalls und es werden Persönlichkeiten lebendig, mit denen sich europäische Leser nicht identifizieren können.

Herzliche Grüße, Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Toni Morrison: Liebe

Beitrag von HildegardN »

Liebe Marlis und liebe Mitleserinnen,
Auch ich will mich weiterhin mit den Personen beschäftigen. Als die schillerndste Person in diesem Roman betrachte ich Junior, eine achtzehnjährige Schwarze, die sich bei Heed auf eine Anzeige meldet. Junior wurde 1975 als uneheliche Tochter geboren und in ihrer frühen Kindheit von ihrem "geilen Onkel" gehetzt. Sie entkam, wurde aber von ihm mit einem Pick-up absichtlich angefahren. Dabei wurden ihre Zehen zerquetscht, und Junior trug fortan stets Stiefel, um ihren deformierten Fuß zu verbergen.
Im Alter von elf Jahren lief Junior von zu Hause weg und kam in ein Kinderheim und später in eine geschlossene Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche. Hier wurde ihr später der Tod ihres Anstaltsleiters zur Last gelegt, weil sie sich gegen seinen Angriff gewehrt hatte. Sie war 18 Jahre alt als sie das Heim verlassen durfte – mittellos und obdachlos.
Junior wurde von Heed angestellt, um ihr, wie Heed behauptete, zur Hand zu gehen, wobei Junior schnell durchschaute, dass ihre Prinzipalin nicht, wie angegeben, ein Buch zu schreiben beabsichtigte, sondern etwas anderes im Schilde führte.
Heed beabsichtigte, ihr Erbe zu sichern und plante – mit Hilfe von Junior – auf einer alten Speisekarte, die sich in einem Karton auf dem Dachboden befand, eine Fälschung vorzunehmen. Christine ahnte, dass Heed Böses beabsichtigte, kam hinzu, und als Heed auf Christine zuging, und stürzte H. - unter Juniors Beteiligung - die Falltreppe hinunter. Sichtlich unbeeindruckt verließ Junior den Unfallort und Heed starb.
Als Romen, der gelegentlich kleinere Tätigkeiten für die beiden Cosey-Damen verrichtete, und Juniors Freund war, erfuhr, dass Junior die beiden Frauen hilflos zurück gelassen hatte, fuhr er sofort los und brachte Christine in Sicherheit. Junior kam hinzu und stürzte auf Christine mit dem Ausruf zu: „... was bin ich froh. Ich hab versucht, Hilfe zu holen, und niemand gefunden .... „ --
Junior ist durch ihre Vergangenheit vorbelastet und wird von der Autorin vor allem als egoistisch, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht, gezeichnet. Wobei ihr jedes Mittel recht zu sein scheint -- und so wird sie schuldig.
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