Herta Müller: Reisende auf einem Bein

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Erna
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Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Erna »

Wir haben uns vorgenommen, von jeder/m Nobelpreisträger/in nach Möglichkeit etwas zu lesen. Bisher waren es Elfriede Jelinek, Toni Morrison und noch einige. Dieses Mal ist nun Herta Müller dran. Da die "Atemschaukel" über eine längere Zeit als Hörbuch gesendet wurde, haben wir uns ihr erstes Prosabuch ausgesucht: Reisende auf einem Bein. Außerdem hat es das gleiche Sujet wie Julia Francks Buch Lagerfeuer: die Ausreise einer Frau aus einem kommunistischen Land. Der Titel von H.Müllers Buch kündigt schon an, dass es von etwas Unvollständigem erzählt. Wo ist das zweite Bein? Kann eine Übersiedlung vollkommen gelingen?
Mir persönlich, die ich zweimal in ein anderes Land übersiedeln musste, ist sie gelungen. Wir werden lesen und sehen.
Erna
Marlis Beutel
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Mitlesende,

das Buch liest sich nicht schwer. Aber versteht man es auch auf Anhieb? Als naive Leserin hätte ich erwartet, dass die Reisende sich erleichtert fühlt, wenn sie den Terror hinter sich läßt.
Doch dem ist nicht so. In dem neuen Land gibt es keine Familie, keine Institution, die sie herzlich willkommen heißt; sie bleibt allein. Ich empfand Kälte beim Lesen. Jetzt lese ich das Buch noch einmal und hoffe, mich wenigstens ein bißchen damit anzufreunden.

Herzliche Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Annemarie Werning
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Annemarie Werning »

Auf dieses Buch hätte ich gern verzichten können. Es ist das Buch in meinem Leben, das ich am wenigsten gern gelesen habe. Die Beschreibung der Dinge fand ich weit herbeigeholt, die Athmosphäre niederdrückend, die Handlung langweilig. Was sollen die Geschichten mit den drei Männern. Die Beziehungen sind nicht richtig herausgearbeitet. Mit diesem Buch konnte ich absolut nichts anfangen.
Viele Grüße an Euch alle, ich bin gespannt, ob Ihr das Buch positiver beurteilt.
Annemarie
Marlis Beutel
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Annemarie,

es erging mir wie Dir, aber so deutlich wollte ich es nicht sagen. Wenn ich ein Buch lese, das mich anspricht, verschenke ich es auch gern. Dieses Buch kann man nicht verschenken.
Ich lese es jetzt zum zweiten Mal in der Hoffnung zu verstehen, was Autorin und Verlag bewogen haben, den Roman zu veröffentlichen. Es fehlt ihm jede Wärme, auch im zwischenemschlichen Umgang. Wie kann man so leben?

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von HildegardN »

Liebe Mitleserinnen,
"Wie kann man nur so leben", fragt Marlies, und ich pflichte ihr, sowie auch Annemaries Beurteilung unseres derzeitigen Romans bei. - In einigen Rezensionen habe ich gelesen, dass Irene zwar abgefahren, aber im Grunde genommen ja gar nicht angekommen sei. Das sehe ich auch so, aber bemüht sie sich überhaupt "anzukommen" und an ihrem Zielort sesshaft zu werden, sich zu integrieren, ihr Leben in die Hand zu nehmen?
Viele von uns sind einst aufgebrochen, teil zwangsläufig, und sie haben sich ein neues Zuhause und eine neue Existenz gesucht. Das kann man nicht durch Passivität, Desinteresse oder Gleichgültigkeit erreichen.
In diesem Roman hat die Langweiligkeit Vorrang, und Irene verkörpert sie durch ihr Verhalten. Manchmal möchte ich sie aufrütteln, denn ich habe das Buch noch nicht zuende gelesen, aber es ist wohl zwecklos zu hoffen, dass sie eines Tages aufwacht und ihr Leben aktiv in die Hand nimmt. Schade, ich hätte es mir anders gewünscht und es auch anders erhofft.
Euch wünsche ich ein schönes Wochenende und schicke Euch bunte Herbstgrüße aus Bad Homburg
Hildegard
Erna
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Erna »

Mir geht es eigentlich genau so wie meinen Mitschreiberinnen. Ich habe, nachdem ich das Buch erst einmal weggelegt hatte, ein zweites Mal von vorn angefangen. Es ist erschütternd hoffnungslos. So kann ich mir z.B. nicht vorstellen, dass das Bild des Exhibitionisten wohl der Mitnahme ins andere Land, würdig gewesen ist. Denn warum geht man sonst immer wieder hin, vermisst ihn und ist sogar erstaunt, sich ihn nun vor drei jungen Mädchen produzieren zu sehen, wo sie ihn doch vermisst.?
Es werden immer wieder Handlungssplitter an einander gefügt, von denen man meint, dass nichts miteinander zu tun haben. Am Schluss gibt es dann doch so etwas wie einen Bildausschnitt. Mich wundert es eigentlich, dass H. Müller sonst aber noch ganz rege aussieht, wenn man sie im Fernsehen sieht.

Schöne Sonntagsgrüße
Erna
Erna
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Erna »

Liebe Erna,

über den Schlußsatz in Deinem Beitrag zu der "Reisenden auf einem Bein"
mußte ich so sehr lachen, dass ich mich mit Herta Müller fast ausgesöhnt habe. Ansonsten mutet sie dem Leser ja einiges zu. Wenigstens eine richtige Geschichte sollte man doch erwarten können, wenn man sich schon ein Buch kauft! Ich fürchte, wir hätten sie nicht gerade für den Nobelpreis vorgeschlagen.

Schönen Sonntag! Herzliche Grüße, Marlis
Die Mail von Marlis fand ich heute vor und finde, dass Ihr sie auch lesen solltet.
Gruß
Erna
Marlis Beutel
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Erna,

nein, die Mail sollte nicht veröffentlicht werden, deshalb schickte ich sie an Dich. Sie war eine Spontanreaktion. Wahrscheinlich hätten wir besser die "Atemschaukel" gelesen, um die Autorin zu verstehen. Dass sie mit Sprache umgehen kann, ist uns klar geworden. An manchen Stellen dachte ich, die Formulierungen würden in Gedichte passen.
Wogegen wir uns wehren, ist die Sinnlosigkeit des Lebens. Haben wir nicht alle versucht, unserem Dasein Sinn zu geben und tun es täglich? Da stört ein solches Buch ganz massiv. Es dürfte interessant sein zu verfolgen, ob Herta Müllers Romane in Zukunft positivere Impulse an die Leser weitergeben.

Herzliche Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Erna »

Auf Seite 94 fand ich einmal ein paar Seiten, die für mich eine fortlaufende Handlung beschrieben: Irene geht mit Franz durch das Schwulenviertel von Frankfurt.
Da denkt sie dann auch an den Exhibitionisten aus dem anderen Land. Eigentlich gehören die Menschen, die sie erschafft alle zu Minderheiten.
Kaltes Land Kalte Herzen.
Erna
Erna
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Re: Herta Müller: Reisende auf einem Bein

Beitrag von Erna »

Am 12. November hat sich der Literaturkreis wieder getroffen. Obwohl das Buch Accabadora nicht sehr dick war, hat es uns auch dieses Mal wieder beschäftigt. Vor allem die geleistete Sterbehilfe hat uns noch einmal über diesen Tatbestand diskutieren lassen. Für viele von uns, ist doch das sterben wollen von Nicola nicht so einfach hinzunehmen gewesen.
Natürlich wurde auch über H.Müllers Reisende geredet. Ein Punkt war dabei ihre, wie die Protokollantin schrieb, ihre teils "lyrische Sprache" voller Bilder". Zu den Bildern, die H.M. gebraucht, muss ich schon zustimmen. Mir erscheinen sie aber eher sehr gewöhnungsbedürftig. Habe ich am Anfang des Buches die sehr kleinteilige Erzählweise bemerkt, erscheint mir die Autorin dann bei der späteren Erzählung in etwas länger dauerndern Sequenzen zu bleiben. Allerdings kehrt sie dann am Ende wieder zu der Erzählung ganz kurzer Augenblicke zurück.
Erna
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