Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

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Erna
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Erna »

Gerade habe ich bei wikipedia über die Dom. Republik nachgelesen und dabei erfahren, dass Trujillo eine starke kriminelle Enrgie besaß! Schon vor seiner "Wahl" zum Chef hat er zweimal im Gefängnis gesessen.
Über das Attentat, bei dem er 1961 getötet wurde, habe ich bei Wikipedia Folgendes gefunden:

Am 30. Mai 1961 geriet Trujillo zu nächtlicher Stunde außerhalb der Hauptstadt Santo Domingo in einen Hinterhalt und wurde erschossen. Der Tyrann war tot, doch die beabsichtigte Beseitigung der Diktatur misslang. Die Verschwörer wurden verhaftet und hingerichtet, nur zweien gelang die Flucht, sie überlebten. Das gleiche Schicksal ereilte auch Tausende andere Bürger, die einem wahren Blutrausch zum Opfer fielen. Der aus Paris eilends angereiste ältere Sohn Trujillos Ramfis, der schon mit sieben Jahren zum Oberst und mit zehn Jahren zum General befördert wurde, übernahm die Macht im Lande und nahm eigenhändig die Hinrichtung einiger der Attentäter vor.
Doch alle Versuche des Trujillo-Clans, sich an der Macht zu halten, erwiesen sich als erfolglos. Nach einer Militärrevolte im November 1961 wurde die Familie auf Druck von Präsident John F. Kennedy gezwungen, das Land zu verlassen. Auch der zuvor bestattete Diktator wurde exhumiert, außer Landes geschafft und nach Paris verfrachtet, wohin die Trujillos ins Exil gingen.
Nach wikipedia ging es in der Dom. Rep. wirklich so zu, wie es Llosa schildert. Ich hatte zunächst geglaubt, dass er übertreibt.
Erna
Marlis Beutel
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

es freut mich immer, etwas Neues zu lesen, weil damit auch neue Gedanken zu Papier gebracht werden.
Ich wuchs ja unter Hitler auf. Aber einen solch unmittelbaren Kontakt hatte man zu ihm nicht
wie in dem Roman. Er war Teil eines undurchdringlichen Systems, das viele aufrechterhielten.
Man kannte Reden und Fotos von ihm. Er fuhr auch mal im offenen Auto durch eine Stadt, wo die Menschen Spalier standen.
Was mich im Roman erschüttert, ist das, was Erna auch schrieb: Ein Menschenleben ist nichts wert. Man kann es bedenkenlos zerstören, falls der Betreffende einem schaden könnte, weil er etwas weiß, die Wahrheit kennt. Am besten, man zerstört seine ahnungslose Familie gleich mit.
Solche Charakterlosigkeit wirkt sich offensichtlich im ganzen System aus. Wie sollte man sonst verstehen, dass ein Ehrenmann wie Ouranias Vater seine Tochter opfert?

Viele Grüße, Marlis
Marlis Beutel
Marlis Beutel
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Mitlesende,

das Kapitel über die Hinrichtungen der Verschwörer ist entsetzlich. Wie ist solcher Sadismus möglich! Nach allem, was Du schriebst, Erna, hat der Autor solche Einzelheiten nicht erfunden.

Seither habe ich unsere gemeinsamen Bücher immer zweimal gelesen und beim zweiten Mal interessante Details entdeckt. Diesmal schaffe ich das nicht.

Herzliche Grüße, Marlis
Marlis Beutel
Annemarie Werning
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Annemarie Werning »

Liebe Mitlesende,
jetzt habe auch ich das Buch gelesen.
Das Buch hat mich als erstes dazu bewegt, in Wikepedia über die Insel, auf der sich Haiti und die Dom.Rep. befinden, zu lesen. Zuvor wußte ich über deren Geschichte überhaupt nichts.
Haiti ist wohl das erste von Schwarzen bewohnte Land, das bereits etwa um 1800 seine Freiheit erlangt hat. Es ist das einzige Land ohne gewachsene Sprache, da man dort französisch - also die Sprache der Kolonialisten spricht.
Es ist erstaunlich, daß sich auf der Insel ein zweites Staatswesen - die Dom.Rep. gebildet hat, das von Weißen und Mulatten überwiegend bewohnt wird.
Die Geschichte von Trujillo scheint sich tatsächlich so abgespielt zu haben, wie es im Buch beschrieben wird.
Mich hat besonders beeindruckt, wie der Verfasser den Zustand des Generals Roman nach dem Putsch beschrieben hat. Wie er genau wußte, wie er sich hätte verhalten müssen, um den Putsch zu unterstützen, wie er es aber dann doch nicht konnte. Er war eben keine eigenständige Führerpersönlichkeit, was Trujillo eben auch erkannt hatte. Genau so dürfte es vielen unter Hitler gegangen sein, die sich auflehnen wollten, es aber nicht konnten. Auch im Alltag stellt sich oft die Frage, wieviel Zivilcourage man aufbringen kann.
Das was mich dann noch fasziniert hat, war die Person von Balaguer. Ihn gab es tatsächlich (s. Wikepedia). Seine Vorgehensweise nach dem Attentat ist sehr eingehend beschrieben. Er war nach 1962 zwar auch kurz im Exil, danach aber mehrfach Präsident, wobei er die Wahlen manipuliert haben soll. Sogar mit 80 Jahren 1986 (er ist 1906 geboren) wurde er noch einmal Präsident.
Schließlich zeigt das Buch auch, daß die Öffentlichkeit durchaus etwas für die Menschrechte in anderen Diktaturen machen kann, denn wenn es der Dom.Rep. wirtschaftlich nicht so schlecht gegangen wäre, hätte sich eine Zivilregierung kaum durchsetzn können.
Liebe Grüße
Annemarie
.
HildegardN
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von HildegardN »

Liebe Mitleserinnen,
"Charakterlosigkeit wirkt sich offensichtlich im ganzen System aus. Wie sollte man sonst verstehen, dass ein Ehrenmann wie Uranias Vater seine Tochter opfert?", schreibt Marlis, und ich pflichte ihr bei.
Allerdings kann ich nicht verstehen, was ihn genau zu dieser Handlung verleitete. War es der Versuch, seine berufliche Position wieder zu gewinnen? War ihm diese Position so viel wichtiger als seine Tochter? Oder hat er den Diktator so verehrt, dass ihm jedes Opfer recht war, um ihm zu gefallen bzw. seine Gunst wieder zu erhalten?
Was meint Ihr dazu?
Herzliche Neujahrsgrüße, Hildegard
Erna
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Erna »

Genau wie Annemarie habe auch ich mich in Wikipedia über die Dom. Republik informiert. Schon deswegen, um zu erfahren, wie authentisch der Roman ist. Dabei habe ich herausgefunden, dass er sehr wirklichkeitsnah geschrieben ist.
Wir haben eine ganze Reihe von Schriftstellern gelesen, die den Nobelpreis bekommen haben und ich musste feststellen, dass die meisten sehr zeitkritisch geschrieben haben. Ist dies ein Kriterium zum Erlangen des Preises?
Grüße zum Jahresanfang
Erna
Marlis Beutel
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Lesegruppe,

wenn alle mit dem Lesen fertig sind, kann ich Euch fragen, warum das Buch diesen Titel hat.
Warum wird Trujillo "Ziegenbock" genannt und welches ist das Fest? Ich selbst denke, es handelt sich um das Treffen mit Ourania, das so gründlich daneben geht. Trujillo will nicht wahrhaben, dass er ein alter Mann ist wie alle Männer seines Alters.
Das Buch ist wirklich ausgezeichnet und - trotz schlimmer Passagen - sehr lesenswert.

Herzliche Grüße, Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von HildegardN »

Liebe Marlis,
ich teile Deine Meinung und bin überzeugt, dass der Titel "Das Fest des Ziegenbocks" dem verhängnisvollen Treffen des Diktators mit Urania entlehnt ist.
Ich habe das Buch noch vor Weihnachten der Bibliothek zurückgegeben, aber ich erinnere mich, dass Urania der Meinung war, zu einem Fest eingeladen zu sein. Sie fragte mehrmals nach den anderen Gästen, die allerdings nicht erschienen. Urania war getäuscht worden.
Grüße aus Bad Homburg, Hildegard
Klaus Rüger

Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Klaus Rüger »

Liebe Lesegruppe,
vielleicht sollte man, nachdem inhaltlich rezensiert wurde, auch einen Blick auf die Erzählweise des Autoren eingehen :
Die ersten Werke, bis ca. 1973, verfolgen als Ziel den "totalen Roman", der alle Facetten der dargestellten Welt genau abbilden will.
Danach verzichtet er auf dieses Ziel, schreibt Kriminalromane und auch erotische Romane, die leichter lesbar sind. Er bleibt aber immer politischen Themen verpflichtet, schreibt über Themen seiner Heimat Peru und anderen mittel- und südamerikanischen Staaten. In diese Phase fällt auch die Produktion von "Das Fest des Ziegenbocks".
Seit den 80-er Jahren setzt er sich kritisch mit den linken Kräften (Castro !) auseinander und wird zum liberalen Demokraten !
Er muss als realistischer Schriftsteller bezeichnet werden, manche Kritiker verwenden den Begriff "Hyper-Realist" !
Interessant ist in diesem Roman die historische Figur von Balaguer, der seinen Kontrahenten geistig überlegen ist und geschickt einen Regimewechsel einleitet !
Ein Beispiel von Feigheit und Unentschlossenheit bietet die fiktive Figur von General Ramon, der im Roman als "Strafe" von den Schergen Trujillos zu Tode gefoltert wird.

Mfg

Klaus
Marlis Beutel
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Marlis Beutel »

Lieber Klaus,

es leuchtet so sehr ein, dass wir uns nicht nur über den Inhalt der gelesenen Bücher austauschen sollten. Wir sollten uns auch mit dem Schreibstil beschäftigen und mit dem Werdegang des Autors, wie Du es getan hast. Danke für die Anregung! Danke auch Euch anderen für die geschichtlichen Hintergründe!
Ich hatte mir noch einmal das Konzept dieses Romans ansehen wollen, den Aufbau, nachdem ich ihn des Inhalts wegen gelesen hatte. Aber ich schaffe es nicht. Einige Kapitel sind unerträglich.
Das beweist natürlich nur, wie sehr dieser Autor den Leser fesselt mit seiner Schreibkunst.
Warum man Trujillo als "Ziegenbock" bezeichnet, wüsste ich immer noch gern. Bei uns nennt man gelegentlich eine Frau "blöde Ziege". aber den Ausdruck "Ziegenbock" kenne ich nicht als Schimpfwort.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von HildegardN »

Liebe Marlis,
Deine Frage wird von Dieter Wunderlich in einer Buchbesprechung beantwortet. Er schreibt:"Wegen seiner obsessiven Sexualität nannten ihn die Untertanen hinter vorgehaltener Hand 'Chivo' (Ziegenbock)": Wenn ihm eine Frau gefiehl, wollte er sie haben, gleichgültig, ob es sich um eine pubertierende Jungfrau oder die Ehefrau eines anderen Mannes handelte. Um so schlimmer litt der 'Ziegenbock' im Alter unter Impotenz und Inkontinenz. In diesem Zusammenhang gibt ihn Vargas Llosa - der ansonsten ein facettenreiches Bild des Diktators zeichnet -der Lächerlichkeit preis.
Mit Grüßen aus Bad Homburg, Hildegard
Erna
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Erna »

Ich habe endlich "Das Fest" beendet. Die Schilderung der Gefangennahme und Folterung der einzelnen Verschwörungsmitglieder haben dazu geführt, dass ich manche Seite überblättert habe. An die Macht gekommen sind die alten Seilschaften. Viele Einwohner können gar nicht begreifen, dass der Chef nicht mehr da ist. Hat man den Umsturz zu wenig vorbereitet?
Etwas Ähnliches findet jetzt in Tunesien statt. Hoffentlich wird es dort nicht so schlimm wie in der Dom. Republik. Vielleicht auch, weil das Heer auf Seiten der Umstürzler steht?
Dazu ist mir auch das Attentat auf Hitler eingefallen. Was für Folgen hätte es bei einem Gelingen gegeben? Ich habe mir den Verlauf noch einmal durchgelesen.
Viele Grüße
Erna
Erna
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Erna »

Hier noch ein Kommentar von Sigrid, die leider erst aus dem Krankenhaus gekommen ist:
Das Buch von Llosa "Das Fest des Ziegenbocks" habe ich gelesen und fand es sehr spannend.
Llosa hat die einzelnen Erzählstränge so aufgebaut, daß man den Fortgang des Geschehens kaum erwarten konnte. Zum Ende zu fand ich zwar die Beschreibung der ausführlichen Foltermethoden etwas abschreckend und die vielen Namen der Verschwörungsbeteiligten purzelten bei mir durcheinander. Das Buch gibt einen detaillierten Einblick in das Aufkeimen und die (hier nicht ganz durchorganisierte ) Ausübung eines Attentats auf einen Diktator und das anschließende Chaos im Lande. Um so aufmerksamer können wir jetzt die Umbrüche in den nordafrikan. Ländern verfolgen.

Übrigens wurde Trujillo mit seinen Schwächen und Vorzügen dargestellt und seinen familiären Sorgen. Ebenso die anderen Charaktere.

LG
Sigrid
Klaus Rüger

Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Klaus Rüger »

Liebe Lesegemeinde,
ich meine, dass die Besprechung dieses Buches doch zu schnell beendet wurde.Immerhin handelt es sich doch um ein Werk des aktuellen Nobelpreisträgers !
Wenn schon die Form des Buches nicht einer ausführerlichen Analyse unterzogen werden soll, dann hat aber der Inhalt dieses Buches eine ausserordentliche Brisanz durch die Unruhen im arabischen Raum bekommen !
Wie wird man eine Diktatur schnell los, wie nachhaltig sind Aufstände und Protestdemonstrationen , das sind alles Fragen, die nicht nur uns bewegen !
Das soll keine Bevormundung sein, sondern nur ein bescheidener Hinweis !
Mfg
Klaus Rüger
ruegerklaus@web.de
HildegardN
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von HildegardN »

Hallo Klaus,
Danke für Deine Kritik und Anregung. Allerdings erschöpfen sich unsere Beurteilungen und Diskussionen nicht auf die Niederschrift im Forum, sondern werden auch durch mündlichen Austausch bei unseren monatlichen Treffen in Frankfurt - und oft recht intensiv - fortgesetzt.
"Das Fest des Ziegenbocks" hat uns besonders lebhaft bei unseren letzten beiden Treffen an Ernas Rundem Tisch beschäftigt.
Mit freundlichen Grüßen aus Bad Homburg, Hildegard
Gesperrt