Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

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Erna
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Erna »

Lieber Klaus,
Du hast natürlich vollkommen recht, wenn Du meinst, über den "Ziegenbock" ließe sich noch sehr vieles sagen. Vor allem in der letzten Zeit kann man unterschiedliche Palallelen ziehen. wäre schön, wenn du es versucht hättest. Leider sind wir ja nur einige wenige die schreiben, die meisten reden ja beim Runden Tisch darüber. Da fehlt natürlich etwas. Aber vielleicht regst D u damit etwas an. Das wäre schön.
Bei diesem Buch haben einige von uns Seiten überblättert, denn sie mochten die schrecklichen Verhältnisse nach dem Tod de Ziegenbocks nicht mehr lesen.
Erna
Erna
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Re: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Beitrag von Erna »

Ein später Beitrag von Sigrid. Von Llosa gibt es ein neues Buch.
Erna
Sigrid Peicke
Einige Gedanken zu : Mario Vargas Llosa - Das Fest des Ziegenbocks
Suhrkamp Verlag 2002

Dies ist wahrscheinlich das politischste Buch des peruanischen Autors Mario V. Llosa. Auf 538 Seiten beschreibt der Autor die Zeit vor und nach dem Attentat im Jahr 1961 auf den dominikanischen Diktator Rafael Leonidas Trujillo. Geschickt ver-
knüpft Llosa mehrere parallel entwickelte Handlungsstränge, die es ihm erlauben, das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.

Eingerahmt ist die Handlung von Urania Cabals persönliche Geschichte. Sie ist die Tochter des verwitweten Senators und Trujillo Günstlings Agustin Cabral. Mit 14 Jahren erhielt sie ein Stipendium in den USA, promovierte in Harvard und arbeitet als Juristin bei der Weltbank in New York.

Mit 49 Jahren 1996 kehrt sie nach 35 Jahren erstmals in ihre Heimat zurück. Warum sie als Vierzehnjährige fluchtartig die Insel verließ und ihren Vater seit damals haßt, erschließt sich uns erst im Laufe des Romans.

Der Autor springt zwischen dem Augenbick von Uranias Rückkehr und dem Zeitpunkt des Attentats auf den verhaßten Diktator durch verschiedene Zeitebenen und Rückblenden hin und her. Er schildert die Angst der Menschen vor Verhaftungen, Folterungen und Morde. Auf der anderen Seite führt Trujillo, der sich selbst "Wohltäter des Vaterlandes" nennt, mit seinen beiden Söhnen und einer Reihe von Günstlingen ein Leben im Überfluß. Trujillo frönt einer obsessiven Sexualität, weshalb er beim Volk der Ziegenbock heißt.

Dann wieder erfahren wir die Biographien der sieben Verschwörer, die Vorbereitung und Durchführung des Attentats auf den Diktator. Die Verschwörer - zum Teil frühere Günstlinge - sind durch persönliche Demütigungen motiviert und haben sich kaum Gedanken darüber gemacht, was nach dem Tyrannenmord geschehen soll. Ihr Hauptunterstützer, General Jose Roman Fernandez, Kommandeur der Streitkräfte, verleugnet nach der erfolgreichen Durchführung des Attentats seine Mitwirkung. Er wird ebenso wie die gefaßten Attentäter grausam gefoltert und ermordet. Die Folterszenen werden über viele Seiten detailgetreu und abschreckend wiedergegeben.

Joaquin Balaguer, nachfolgender Präsident, verkündet nach der Ausreise der beiden Söhne von Trujillo, die den Tod des Vaters auf grausamste Weise rächten, eine Amnesty für politische Häftlinge und versucht das Ausland von der Demokratisierung der Dominikanischen Republik zu überzeugen.

Wer wissen will, wie lateinamerikanische Diktaturen funktionieren, sollte dieses Buch lesen. Die USA hatten zunächst über Jahrzehnte Trujillo hofiert, ebenso die katholische Kirche; bis sie die Augen vor den Grausamkeiten des Regimes nicht mehr verschließen konnten.

Was den Roman zusammenhält, ist die Auflösung der Fragen um Urania. Als ihr Vater wenige Monate vor dem Attentat in Ungnade fiel, hoffte er durch das Opfer der Jungfräulichkeit seiner Tochter seinen Wohltäter Trujillo umzustimmen. Das Erlebnis mit dem alternden Diktator, der bereits an Inkontinenz und Impotenz litt, war ein derartiger Schock, daß sie sich schwor, ihren Vater nie mehr zu sehen. Sie betrachtete es als gerechte Strafe, daß ihr Vater seit zehn Jahren nach einem Gehirnschlag gelähmt im Rollstuhl sitzt. Durch ihre Rückkehr will sie die Vergangenheit aufarbeiten und ihren Vater "zur Rede stellen".

Als die aktuellen Ereignisse in Ägypten und anderen arabischen Ländern eintraten, mußte ich oft an den Roman denken und konnte vieles besser verstehen, z. B. wie kann sich eine Diktatur über die Jahrzehnte halten durch den Aufbau eines
eingeschworenen Militärs, durch Vetternwirtschaft, Korruption, Vergünstigungen für Regimetreue etc. die Unterdrückung der verarmten Bevölkerung und die Verfolgung von Regimegegnern. In dem Roman bekommen alle Menschen ein Gesicht, haben ihre Geschichte und bekommen ihre Identität.
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