Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Hier diskutieren wir über belletristische Bücher.
Erna
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Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Erna »

Liebe Leserinnen,
ab 01.07.2011 beginnen wir mit unserem neuen Buch: Siri Hustvedt- Ein Sommer ohne Männer. - Da es nicht sehr dick ist, scheint es uns angemessen, dafür nur 6 Wochen angesetzt zu haben. Ich habe gerade einmal hineigeschaut, es fängt mit einem Nervenzusammenbruch der Protagonistin an.
Ein schönes Lesevergnügen wünscht Euch
Erna
Erna
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Erna »

Die ersten Seiten vom "Sommer ohne Männer" sind gelesen.
S. Hustvedt geht bereits auf der ersten Seite den Anlass ihres Nervenzusammenbruchs ein und beschreibt die Zeit nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus. Sie flüchtet an den Ort ihrer Kindheit und hofft, dort ihre psychische Stabilität wiederzufinden. So kommt sie dann auch mit den Freundinnen ihrer Mutter in Berührung, fünf Frauen im Alter von über 80 Jahren, die älteste ist bereits 102 Jahre. Ich erinnerte mich sofort an J. Updicks Buch "Die Witwen von Eastwick". allerdings sind diese Witwen wesentlich harmloser, sie lesen nur gemeinsam.
Die Art das Buch zu beginnen, sprach mich sehr an.
Erna
Marlis Beutel
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Mitleserinnen,

ich freue mich, dass wir dieses Buch lesen. Es liest sich leicht durch die sichtbaren Abschnitte, in die es gegliedert ist. Zum Glück geht es aber keineswegs nur um alte Frauen. Ein Lyrikkurs mit pubertierenden Mädchen ist ein reizvoller Kontrast, der genauso ernst und verständnisvoll behandelt wird. Zudem spielt eine ganz normale Familie mit zwei kleinen Kindern eine wichtige Rolle. Und dann ist da noch das Nachdenken über Frauen und Männer und über das Leben und die eigene
Lebensgeschichte, mit dem sich die Protagonistin auseinandersetzt.
Insgesamt ist es ein sehr intelligent geschriebenes Buch in positivem Grundton.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Erna »

Liebe Marlis,
ich habe auch schon die Hälfte dieses Buches gelesen und es gefällt mir sehr gut. Zwar zerfällt es in zwei Teile oder vielleicht sogar drei, da es aber sehr klar gegliedert ist, kann man es leicht lesen. Wir haben es in diesem Buch, wie es der Titel sagt, mit einer Zeit ohne Männer zu tun. Dabei ist es gar nicht möglich sie draußen zu lassen, denn Boris bringt sich immer wieder in Erinnerung, die Mutter erzählt von ihrem Ehemann, bei der jungen Nachbarin tritt der Mann auf, anscheinend sind die Geschlechter nicht zu trennen.
Es lohnt sich auch, einmal die Rezensionen zu dem Buch zu lesen. Die von der Süddeutschen gefällt mir sehr.
Noch etwas, ich finde den Einband so interessant.
Liebe Grüße
Erna
Marlis Beutel
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Mitlesende,

was mich in unserem Roman sehr betroffen gemacht hat, das sind Siri Hustvedts Schilderungen der Gruppendynamik bei pubertierenden Mädchen. Sie schreibt über eigene Erinnerungen S. 56 ff. und später über Alices Probleme im Poesiekurs ab S. 178.
So einleuchtend die Schilderungen sind, ich kann mich nicht an eigene ähnliche Erfahrungen erinnern. Wir waren nur ganz wenige Mädchen in einer Jungenschule, hatten nur männliche Lehrer. Vermutlich orientierten wir uns teilweise an den Jungen, aber wir prügelten uns nicht.
Vielleicht spielte der Krieg eine Rolle mit nächtlichen Luftangriffen, Lebensmittelkarten und schlimmen Nachrichten von der Front für so viele Familien. Allerdings "rächten" wir uns bedenkenlos an jedem Lehrer, der sich nicht mit einer Aura an Autorität umgeben konnte, spielten ihm Streiche, legten ihn herein. Warum taten wir das? Es gab keinen vernünftigen Grund, auch keine Solidarität im Kollegium. "Homo homini lupus est", sagte uns ein Lateinlehrer. Schlimm auch die Schilderung von Ostrakismos S. 57/58. Wir Menschen sind nicht anders als Tiere, wenn wir in dieser Richtung nachdenken.

Viele Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Erna »

Liebe Marlis,
die Diskussion über das Buch hat noch nicht so richtig angefangen. Viele sind wohl noch im Urlaub. Hildegard sagte mir, dass sie demnächst sich wieder äußern wird. Sie hatte mit einem Vortrag über Wiesbaden viel zu tun.
Mich überrascht das Verhalten der Mädchen, die den Literaturkreis besuchen, nicht. Wenn Du früher in der Klasse ein Soziogramm erstellt hast, gab es auch immer Jungen oder Mädchen, die von keinem genannt wurden. Sie waren Außenseiter. Was aber sehr stark zugenommen hat, ist die Gewalt und die ist für mich unbegreiflich. Wie hier die Mädchen verbal und durch eklige Handlungen die Außenseiterin peinigen.
Diese Haltung ist aber jetzt oft zu finden. Vor 2 Tagen habe ich gelesen, dass acht Jugendliche einen Mann um die 40, den sie nicht einmal kannten, krankenhausreif geschlagen haben. Sie wußten nicht anzugeben warum.
Die Mädchen aber gaben als Grund an, dass sie das Verhalten von Alice als angeberisch empfanden.
Schöne Grüße aus Frankfurt
Erna
HildegardN
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von HildegardN »

Liebe Mitleserinnen,

nach mehreren Anläufen hat mich das Buch gestern erreicht, und ich habe mit zunehmendem Ineresse die ersten 100 Seiten gelesen. „Es liest sich leicht“ wie Marlis schreibt, „ durch die sichtbaren Abschnitte, in die es gegliedert ist“, und auch ich habe das empfunden. Die einzelnen Abschnitte, die zumeist wiederkehrenden Themen gewidmet und durch großzügige Zwischenräume voneinander getrennt sind, geben dem Leser Gelegenheit zum Innehalten und das Gelesene auf sich wirken zu lassen.

In dem Roman geht es um Trennung, Verlassenwerden und auch um den Zusammenbruch der Protagonistin, und wie sie mit diesem Schicksalsschlag umgeht. Mia, die Protagonistin, reist Erholung suchend, zu ihrer Mutter, die zusammen mit anderen alten Damen in einer Einrichtung des Betreuten Wohnens lebt. Die Autorin (in der Person der Mia) beschreibt die „Fünf Schwäne“, wie sie die alten Damen im Wohnheim insgeheim nennt, detailliert, geht auf ihre Eigenheiten, aber auch auf ihre Erschwernisse ein und schildert, wie sie z.B. mitttels Geh- und Hörhilfen ein Leben in geistiger Frische und Autonomie führen.
Die beschriebenen alten Damen im Heim könnten, so empfinde ich, auch einige meiner Mitbewohnerinnen sein, so lebensnah hat die Autorin sie dargestellt.
Einen Kontrast zu den alten Damen im Heim bildet die Beschreibung der sieben jungen Mädchen in Mias Lyrikkurs. Die Autorin porträtiert jedes Mädchen, schildert viele Details und auch die eigenen (Mias) Empfindungen, die anschließend in persönliche Beurteilungen münden. -

Soweit meine bisherigen Eindrücke aus dem Roman „Der Sommer ohne Männer“ . Ich werde mit Interesse weiterlesen.
Mit herzlichen Grüßen aus Bad Homburg
Hildegard
Erna
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Erna »

Fein, dass Hildegard sich wieder an der Diskussion beteiligt. Ich habe gerade einen Beitrag geschrieben, habe ihn hochgeladen und schwupp war er weg. Vielleicht hat Hildegard da auch gerade ihren hochgeladen.
Natürlich bekomme ich meinen Text nicht mehr richtig zusammen. Das, was ich sagen wollte, war, dass in diesem Buch Frauen jeden Alters vorkommen, angefangen von den Töchtern von Lona über die pubertierenden Mädchen, die Tochter von Mia, bis hinauf zu der Hundertzweijährigen im Altenheim. Sie werden beschrieben mit ihren Eigenheiten, z.T. ihrer Biografie und geben so ein Bild eines langen Frauenlebens.
Mia hilft die Reflektion vielleicht über ihre eigene Kränkung hinweg.
Einen schönen Sommertag wünscht Euch
Erna
HildegardN
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von HildegardN »

"Er soll zu mir kommen", antwortet Mia ihrer Tochter Daisy, als Boris nach seiner gescheiterten "Pausen"-Beziehung bei seiner Ehefrau Einlass begehrt -- und damit endet der Roman und wohl auch die lange offene Frage mancher Leser nach der Zukunft einer durch eine Pause unterbrochenen über 30jährigen Ehe.
Mia erklärt ihre Bereitschaft Boris zu empfangen, vor allem mit der Zeit, "die ganze miteinander verbrachte Zeit und die Tochter, die geboren und geliebt wurde". Und sie fügt hinzu: "da war auch noch die Geschichte selbst, die Geschichte, die Boris und ich zusammen geschrieben hatten", und die Erinnerungen, Gedanken und Körper der Ehegatten eng miteinander verknüpfte(S.299).
Ich habe das Buch sehr schnell zuende gelesen, zwar immer wieder innegehalten und die geschilderten Ereignisse, Personen und Charakteure auf mich wirken zu lassen. - Nun ist es an der Zeit Rückblick zu halten, Eindrücke zu sammeln, aufzuzeigen und mich im Diskussionskreis einzubringen.
Bis bald - und mit herzlichen Grüßen aus Bad Homburg
Hildegard
HildegardN
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von HildegardN »

Besonders beeindruckt hat mich Mias Verhältnis zu alten Menschen, das von Wissen und Verständnis geprägt ist. Mias Beziehung zu ihrer fast 90jährigen Mutter mag auch dafür verantwortlich sein. Mia selbst befindet sich erst in der Lebensmitte, also noch weit entfernt vom Altsein, das heute i.d. Regel 'um die Achtzig' angenommmen wird.
Als Mia erfährt, dass einer der hochaltrigen Mitbewohnerinnen ihrer Mutter einen schweren Schlaganfall erlitten hat, äußert sie: "Greise ermatten und sterben. Sie leben in einer Welt ständigen Verlustes" (S.286). -
Das entspricht nicht der Realität! Es ist nir nicht bekannt, in welchem Alter man als Greis eingestuft wird (außerdem gebraucht man heute andere Bezeichnungen, wie hochaltrig oder hochbetagt), aber ich kenne viele alte Menschen mit weit über 90 Jahren, die zwar unter körperlichen Beschwerden leiden, sich aber dennoch ihres Lebens erfreuen, interessiert sind, teilnehmen, mitmachen und sich teils auch noch engagieren.
Grüße aus Bad Homburg, Hildegard
Marlis Beutel
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Hildegard,

was Du über hochbetagte Menschen geschrieben hast, klingt sehr ermutigend. Ich mache aber auch die Erfahrung, zu keiner Gruppierung von Menschen mehr zu gehören und mich dadurch allein zu fühlen. Es ist einfach auch eine Tatsache, dass man im fortgeschrittenen Alter bereits die besten Freunde verloren hat, mit denen man sich früher austauschen konnte. Frauen, die heute über 80 Jahre alt sind, hatten in ihrer Jugend sehr viel geringere Bildungschancen als man sie jetzt hat. Das bedeutet leider, dass man zwar immer über Krankheiten reden kann, nicht aber über das, was einen wirklich interessiert, zum Beispiel über Literatur (wie wir das hier glücklicherweise tun).
Ich habe das Buch zweimal gelesen und schaue gern immer wieder hinein, weil es mir so gut gefällt. Die Autorin hat sich intensiv und ehrlich mit allem auseinandergesetzt, was sie zu Papier bringt. Vielleicht ist sie nach einem solchen Roman erschöpft und erleichtert.

Herzliche Grüße von der Bergstraße, Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Erna »

Hildegard hat natürlich recht, wenn sie sagt, dass sie nicht weiß, wann das Greisenalter beginnt. Wenn ich das Wort Greis-Greisin- höre, fällt mir das Bild ein, dass Dürer von seiner Mutter gemalt hat. Aber können wir vielleicht nicht mehr "Greisin" werden, weil wir den Tod doch sehr tabuisiert haben? Eigentlich müssten wir doch stolz darauf sein, zur Greisin geworden zu sein. Was macht uns dem Ende gegenüber so abweisend? Angst?
S. Hustvedt hat aber auch die anderen Lebensalter sehr realistisch geschildert. Ich denke an die pubertierenden Mädchen und an die leicht überforderte Lona, in der ich mich manchmal an an den Beginn meiner Ehe zurückversetzt fühlte.
Es regnet nicht mehr in Frankfurt
Erna
HildegardN
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von HildegardN »

Marlis und Erna haben sich bereits zu den Angriffen der Lieraturkreis-Mädchen gegen Alice geäußert. Alice wurde aufgrund ihres Verhaltens von ihren Mitschülerinnen als Außenseiter gesehen und von ihnen ausgegrenzt, angegriffen und gedemütigt. Als Alice zusammenbrach, hat Mia das Ausmaß dieser Reaktionen erkannt und versucht, helfend einzugreifen. Mia, die sich durch viel Einfühlungsvermögen und Verständnis für ihre Schülerinnen auszeichnet, hat mich gerade in dieser Situation durch ihr entschlossenes Eingreifen besonders beeindruckt. Hier wurde dem "Mobbing", wie wir es heute immer wieder hören und erfahren, wirksam Einhalt geboten.
Hildegard
HildegardN
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von HildegardN »

Schon oft hat uns der Titel des in unserem Literaturkreis gelesenen Buches beschäftigt. Diesmal war es m.E. ganz leicht, ihn schon beim Lesen bestätigt zu finden. Aber trifft der Titel "Der Sommer ohne Männer" wirklich im vollen Umfange zu? Ich meine nicht ganz!
Es erscheinen im Roman zwar keine Männer real, aber Boris beherrscht nahezu während der ganzen Handlung das Denken, Fühlen und auch das Verhalten seiner ihm angetrauten Frau, fordert Antworten und auch Entscheidungen von Mia.
Aber auch in anderen Situationen werden immer wieder Männer miteinbezogen, z.B. bei Betrachtungen und Beurteilungen, wie bei Mias Gesprächen mit ihrer Mutter über die unterschiedlichen Wiederverheiratungschancen von Witwen und Witwer, und als die Mutter einige kürzlich erfolgte Begegnungen mit Männern erwähnt (S.105/106). Und in der Diskussion über Belletristik (S.244) spielen die Männer eine beachtliche Rolle.
Es geht also wohl nicht "ganz ohne die Männer" -- und das bezieht sich nicht nur auf diesen Roman.
Mit herzlichen Grüßen aus Bad Homburg
Hildegard ,
Erna
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Re: Siri Hustvedt: Ein Sommer ohne Männer

Beitrag von Erna »

Der Sommer ohne Männer war wirklich kein Sommer der Frauen. Denn außer Boris, der ja die Gedanken von Mia sehr beherrscht,es im Buch erzählt ihr die Mutter Ereignisse von ihrem Vater, die sie nicht kennt. Es spielt der Mann von Lona eine Rolle, auch die alten Damen vom Literaturzirkel erwähnen Männer. Leider kann ich es nicht überprüfen, da ich das Buch nicht da habe.
Erna
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