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_ Christa Böger
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Kommentierte Inhaltsangabe von Christa Böger


Die Dame in Blau – Altern in Gelassenheit

Mireille ist fünfzig, attraktiv, elegant, dynamisch. Sie ist leitende Angestellte in einer Werbeagentur, effizient, erfolgreich. Sie ist allein erziehende Mutter einer selbstbewussten 21-jährigen Tochter. Sie hat einen gut aussehenden Liebhaber und zahlreiche Verehrer. Kurz ein volles, aber sehr stressiges Leben. Als sie eines Tages wie so oft einen Pariser Boulevard entlang hetzt, bemerkt sie wie der gleichmäßige Strom der Passanten plötzlich ins Stocken gerät: eine alte „Dame in Blau“ ist die „Schrittverderberin“, sie geht spazieren inmitten eiliger Leute, die angespannt dasselbe Ziel zu verfolgen scheinen. Ohne es zu wollen, passt sich Mireille dem gelassenen Schritt der alten Dame an. Und damit ändert sich ihr Leben.1© Sie eilt nicht mehr, sondern schlendert, “stets bemüht, das geruhsame Tempo zu halten, mit sanftem Wiegen des Körpers, schön im Takt, mit wohlbemessenem Druck des Fußes...“ Sie , die bisher vor allem rote, kurze, enge Kleider liebte, trägt fortan ein graues Kostüm, wie es ihre Großmutter getragen hatte. Sie kommt zu spät zur Arbeit und hört schließlich auf zu arbeiten. Sie wirft ihre Kosmetika fort, betrachtet liebevoll ihre ersten grauen Haare und rollt ihre widerspenstigen Haare in einen Knoten. Sie entzieht sich den erstaunten Reaktionen und dem Drängen ihrer KollegInnen und Freundinnen. Sie entlässt ihren völlig erschütterten Liebhaber Jacques und widmet sich voll Genuss ihrem neuen Lebensabschnitt. Sie entdeckt die Menschen, die Straßen, Parks, an denen sie bisher achtlos vorbeigegangen ist. Sie befreundet sich mit den Bewohnern des Altenheims „Bon Repos“ - und ist glücklich. Sie lebt in einer völlig neuen Freiheit und Selbstbestimmtheit. Sie macht sich keine Sorgen mehr über ihr Gewicht und ihre Haut. Sie genießt die Empfindung, einen Körper zu haben, der sich selbst genügt und dem keine Spitzenleistungen abverlangt werden. Angst und Hetze machen einer Langsamkeit Platz, die sie entspannt und beglückt. Sie ist nicht mehr die Freundin ihrer umtriebigen Tochter Delphine, sondern wird zu deren weiser Mutter. Mireille übt sich im Vorwegnehmen des Alters, im Vorgreifen auf das Kommende. Sie tut es bewusst, mit Freude und Eifer. Als sie das Bild ihrer alten Mutter anschaut, „deren Gesicht so aussieht, als habe das Alter ihren Zügen Gewalt angetan, Schmerz zugefügt,....die so schmerzlich vom Alter verraten worden ist“, empfindet sie tiefes Glück, diesem Alter zuvorgekommen zu sein. Eine Idealisierung des Alters, so wie man es sich vorstellt, wenn man mit Mitte fünfzig feststellt, dass die Anforderungen des modernen Lebens nicht mehr so ohne Weiteres zu meistern sind, dass man müde ist? Oder doch eine intelligente, mutige Vorbereitung auf das Unausweichliche? In einem Interview mit dem Nouvel Observateur No 1714 sagt Noelle Châtelet dazu, sie wende sich mit diesem Buch gegen die weitverbreitete Meinung, besonders für Frauen sei es unmöglich ist, den Prozess des Alterns glücklich zu erleben. Sie beklagt den Jugendwahn der Industriegesellschaften, wobei sie nichts gegen den Einsatz von Kosmetik und ästhetischer Chirurgie habe. Allerdings müsse man sich darüber klar sein, ob man einem echten inneren Bedürfnis folge oder nur einer Angst , die von gewissen Gruppen geschürt und ausgebeutet wird. Sie selber (52) wünscht sich gelassen und zärtlich zu altern („J’ai envie de me regarder vieillir avec tendresse, avec tranquillité“.)

In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, dass Noelle Châtelet in ihrem Roman „Die Klatschmohnfrau“(1998) das Thema des Alterns weiter verfolgt und erzählt, wie sich Marthe, die siebzigjährige „Dame in Blau“ in einen noch um zehn Jahre älteren Maler verliebt und dabei die beglückende Erfahrung macht, dass Liebe kein Alter kennt. Diese Bücher sind elegant strukturiert, mit Leichtigkeit, liebevoller Ironie und Humor geschrieben. Noelle Châtelet lädt zu einem Lesevergnügen der besonderen Art und zu einer heiteren Begegnung mit erstaunlichen älteren Damen ein.

Im Übrigen bilden Die Dame in Blau (1997), Die Klatschmohnfrau (1998) mit dem Roman Das Sonnenblumenmädchen (2000) eine Trilogie, wobei in jedem Roman jeweils eine Frauenfigur im Mittelpunkt steht.. Die Dame in Blau, die in dem gleichnamigen Roman nur flüchtig auftaucht, ist die Heldin des Romans des zweiten Romans „Die Klatschmohnfrau“ und die Großmutter der kleinen Mathilde, des „Sonnenblumenmädchens“. Diese Frauen kennen so etwas wie ein „geheimes Einverständnis“, das die Generationen verbindet. Dazu Noelle Châtelet: „Ja, das nennt man weibliche Solidarität, aber es geht noch um viel mehr. Ich glaube, dass Frauen von Natur aus philosophischer sind als Männer. Durch die ständigen Veränderungen ihres Körpers denken sie viel über die Natur nach und über den Weg, den sie vom kleinen Mädchen zur Großmutter zurücklegen, was ja mehr oder weniger das Thema dieser Trilogie ist. Sie hören einander zu, sie verstehen sich, sie versuchen ihre Erfahrungen auszutauschen.“

Abschließend noch eine Bemerkung zu der Autorin: Noelle Châtelet ist Schauspielerin. Universitätsdozentin und erfolgreiche Schriftstellerin. Für ihren Roman „Die Dame in Blau“ erhielt sie den Prix Anna de Noaîlles der Académie franVaise.