Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg
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Stellungnahme zum Projekt: "Gemeinsam lernen - Virtuelle Selbstlerngruppen in
Deutschland"
In einer Lebens- und Arbeitswelt, in der die Zunahme von Wissen sich ständig beschleunigt, kommt Weiterbildung ein höherer Stellenwert zu und gleichzeitig ändern sich auch
Inhalte, Methoden und Formen von Weiterbildung.
Konventionelle Weiterbildung als ein sporadisch wahrgenommenes Angebot einer Institution wird dem Anspruch einer Wissensgesellschaft nicht mehr gerecht. Diese Form des Lernens passt sich zu langsam den Bedürfnissen der Menschen an und reagiert zu unflexibel
auf die Wissensvermehrung. Statt dessen muss Weiterbildung in Zukunft als ein Prozess
begriffen werden, der permanent stattfindet. Diese notwendige Entwicklung setzt voraus,
Weiterbildung immer mehr in den eigenen persönlichen Verantwortungsbereich verlagert wird, dass die Menschen Weiterbildung als etwas begreifen, das in ihrem ureigensten Interesse liegt und für das sie selbst verantwortlich sind.
Weiterbildung als permanenter Prozess wird auch zwangsläufig die Formen der Lehr- und
Lernprozesse verändern. Klassische, von Institutionen angebotene Weiterbildung kann
einen ständig stattfindenden Prozess immer nur begleiten, aber nie voll abdecken. D.h.
Weiterbildung muss sich immer häufiger in Prozessen vollziehen, die nicht institutionalisiert, nicht curricular verankert sind, die auf informellen und selbstgesteuerten Lernprozessen beruhen. In diese Richtung wird sich die Weiterbildung nur entwickeln, wenn die
Menschen durch entsprechende Angebote ihr Lernverhalten in einem dynamischen Prozess zu der beschriebenen neuen Lernkultur hin entwickeln und verändern. Dabei wird
diese neue Lernkultur die "konventionelle" Weiterbildung selbstverständlich mit einschließen.
Chance und Herausforderung für diesen notwendigen Wandel der Lernkultur ist der tiefgreifende demografische Wandel in unserer Gesellschaft. Seniorinnen und Senioren
kommt eine immer größere Bedeutung sowohl politisch wie wirtschaftlich zu, d.h. gerade
auf Menschen, deren Bildungsbiographie am weitesten von dieser geforderten neuen
Lernkultur entfernt ist, kommt die Aufgabe zu, in oft mühsamen Schritten neue Wege des
Lernens zu beschreiten.
Tatsächlich bietet gerade die IT-Technologie starke Hilfen für die Entwicklung einer neuen
Lernkultur. Dabei sind es vor allem drei Punkte, die für die Integration modemer Technik in
die neuen Lernprozesse sprechen.
Zum einen bereichert die Nutzung digitaler Medien in Lernprozessen mit ihren vielfältigen
Möglichkeiten der Interaktivität und der Simulation selbstgesteuerte Lernprozesse in hohem Maße und gestalten sie effizienter, speziell bei komplexeren Themen. Das Spektrum
reicht dabei vom tutoriell begleiteten Einführungskurs in Technikgrundlagen virtuellen Lernens bis zum eigenständig gestalteten Lernprojekt von Seniorstudierenden. Zum anderen
öffnet das Internet unvorstellbare Möglichkeiten der umfassenden Informationsbeschaffung
und macht so eine inhaltliche Arbeit anspruchsvoller und effizienter. Zum Dritten gestalten
die neuen Möglichkeiten der Kommunikation, die von der Technik heute zur Verfügung gestellt werden, Lernprozesse so flexibel, dass sie individuell wie nie zuvor an die Erfordernisse des einzelnen Lerners angepasst werden können. Höhere Motivation, effektiveres
Lernen und Einbettung von Lernprozessen in ein soziales Umfeld sind Ergebnisse dieser
Entwicklung.
Das Projekt "Gemeinsam lernen - Virtuelle Selbstlerngruppen in Deutschland" des Zent-
rums für Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Ulm (ZAWiW) versucht allen diesen hier angesprochenen Aspekten gerecht zu werden und sie als Einheit in Bildungs- und
Weiterbildungsprozesse von älteren Menschen zu integrieren und umzusetzen. Ein Blick
auf die vorliegenden Ergebnisse dieses Projekts zeigt, wie erfreulich dieser schwierige
Prozess gelingt.
Dabei ist der ganzheitliche Ansatz besonders hervorzuheben d.h. die Integration der beschriebenen Aspekte aas Einheit. Es ist gelungen, ältere Menschen für selbständige Lernprozesse zu motivieren und zu aktivieren. Damit gekoppelt ist ein beachtlicher Zugewinn
an Autonomie, Freiheit und Selbständigkeit, der sich den Menschen im Bildungsprozess
neu öffnet. Gerade diese neugewonnene Lernsouveränität wirkt positiv zurück auf die Motivation im Lebenslangen Lernen und führt zu verstärkten Aktivitäten. In diesem sich selbst
verstärkenden Kreislauf ist im Kern das Erfolgsrezept dieses gelungenen Projektes zu sehen.
Natürlich führt zu diesen Ergebnissen kein Automatismus. Voraussetzung ist, dass eine
solide Basis gelegt wurde. Es müssen im Vorfeld erfolgreiche Konzepte zur Vermittlung
neuer Lernkompetenzen umgesetzt werden, dann müssen entsprechende technische
Kompetenzen vermittelt werden, um die Möglichkeiten der Technik sinnvoll in den Lernprozess integrieren zu können und es muss die Überzeugung in den Menschen wachgerufen
werden, dass solche neuen und selbständigen Lernformen durch die Integration der Technik effektiv sind und einen Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität älterer Menschen und
deren Selbstverwirklichung leisten.
Exemplarisch für die Vermittlung von Lernkompetenz und technischer Kompetenz seien
hier die Maßnahmen TvL (Technikgrundlagen für virtuelles Lernen) und AvL (Anwendungskurs für virtuelles lernen) genannt. Hier wird die Basis für gemeinsames Lernen gelegt, hier wird durch eine zielgruppenspezifische Konzeption, die auf die Bedürfnisse
Menschen Rücksicht nimmt, Motivations- und Überzeugungsarbeit geleistet.
Ein Blick in die verschiedenen Lerngruppen und deren Themen, ein Blick in die Themenvorschläge für Lerngruppen zeigt das Interesse, die thematische Breite der einzelnen
Gruppen und vor allem die hohe Autonomie, die den Lernenden zugestanden wird und die
diese dann aber auch sinnvoll zu nutzen wissen. An dieser Stelle ist auch die Gründung
des "Virtuellen und realen Kompetenznetzwerks für ältere Erwachsene e.V." (ViLE) zu
nennen, aus dem heraus selbst gesteuert immer wieder neue Lernimpulse in das Modellprojekt getragen werden.
Die Folge dieses Konzeptes ist der hohe Multiplikationseffekt, den das ZAWiW verzeichnen kann. Überzeugte Teilnehmer/innen werben und aktivieren Teilnehmer/innen. Auch
bildungsfernere Schichten sind damit ansprechbar und erreichbar. Das Prinzip der Multiplikation wird durch die begrüßenswerte Kooperation des ZAWiW mit anderen Bildungsträ-
gern wie zum Beispiel den Volkshochschulen, den Familienbildungsstätten usw. unterstützt. Auch hier geht das ZAWiW mit dem Modellprojekt innovative Wege.
Das ZAWiW zeigt in diesem Projekt einen praktikablen Weg zum notwendigen Wandel der
Lehr- und Lernkultur in unserer Gesellschaft. Bemerkenswert ist vor allem, dass sich die
Erfolge bei Angehörigen einer Generation der man oft fälschlicherweise unterstellt, sie sei für ein solches Unterfangen eine zu schwierige Zielgruppe, da ihr Abstand zur
Technik zu groß sei und die generationentypischen Bildungsbiografien modernen Lernprozessen entgegenstünden. Das ZAWiW hat darüber hinaus bewiesen, dass neue Medien
für Lernprojekte im intergenerationellen Austausch geeignet sind. Erste Alt-Jung-Projekte
und die Zusammenarbeit mit dem Kompetenznetzwerk der Generationen verdeutlichen die
Möglichkeit des Brückenbaus zwischen älteren und jüngeren Menschen. Es ist zu überlegen, inwieweit das Konzept auf weitere Zielgruppen zu überfragen ist.
Zum Schluss sind die Lernmaterialien zu erwähnen, die einen hohen Wert aufgrund ihrer
methodisch-didaktischen Umsetzung besitzen. Die CD-ROM "Internet gewusst wie" ist ein
gutes Mittel, um selbstständig das Internet zu ergründen. Eine weitere CD-ROM über das
gesamte Modellprojekt bietet einen sehr guten Einblick in die neuen Lernformen.
Das ZAWiW stellt hier ein Modell vor, auf das aufgebaut werden kann, um der Forderung
nach dem "Lebenslangen Lernen" in unserer Gesellschaft quer durch alle Schichten und
Altersgruppen gerecht zu werden. Gelingen kann das nur dadurch, dass, wie hier demonstriert, die Menschen das Lernen nicht als gesellschaftliche Notwendigkeit empfinden, der
man sich mehr oder weniger beugen muss, sondern als Bereicherung ihres persönlichen
Lebens, als eine Art der individuellen Selbstverwirklichung, denn nur daraus erwächst ein
wirklicher und nachhaltiger Wandel, von dem wir alle profitieren werden.
Beck
LMR (Referatsleiter Weiterbildung)
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