Zurück zur Zeitzeugen Homepage

 

Elfi Böller, Jg. 1925 

Er hat Leben anderer gerettet und mußte gehen,

um sein eigenes Leben zu bewahren

Das ist in Ulm während den 30-ger Jahren geschehen, man kann das heute fast nicht mehr verstehen.
Meine persönliche Geschichte ist damit verknüpft.
Der in Ulm bekannte jüdische Kinderarzt Dr. Neuhaus wurde von meinen Eltern gerufen. Er erkannte sofort die große Gefahr für mein Leben. Damals gab es noch keine Antibiotika. Er wollte mich nicht in ein Krankenhaus einliefern, sondern versicherte meinen Eltern:
"Ich werde meinen Bestes tun um ihr Kind zu retten."
In aufopfernder Weise kam er jeden Tag ins Haus, überwachte die Anwendung seiner Behandlungsmethode und hatte in 4 Wochen die Krankheit im Griff. Die hohen Fieber sanken, mein Leben war gerettet. Meine Eltern waren diesem wunderbaren Arzt von Herzen dankbar. Für ihn war sein Einsatz selbstverständlich, er wollte dafür nicht gelobt werden.
Ein Jahr war vergangen. Eine Routineuntersuchung in seiner Praxis war angesagt. Die Praxisräume befanden sich in der Neutorstraße, wo heute das Theater steht. Vor wir uns von ihm verabschiedeten, war er plötzlich sehr bedrückt und sagte:
"Wir sehen uns heute zum letzten Mal, ich gebe meine Praxis auf und gehe nach Amerika."
Meine Mutter erschrak über diese Mitteilung so sehr, daß sie rief:
"Sie können doch Ihre Patienten nicht einfach im Stich lassen, das dürfen Sie uns doch nicht antun!"
Er antwortete betroffen:
"Wissen Sie, das richtet sich nicht gegen meine Patienten. Sie werden mich später verstehen, warum ich das tun muß.
Wenn eine andere Flagge über Deutschland weht, werde ich wiederkommen, das verspreche ich Ihnen. Ich gebe Ihnen meine Adresse, schreiben Sie mir."
Das geschah 1935 und ich habe mir diese Szene damals ganz stark eingeprägt.
Später fragte ich immer wieder meine Mutter: "Hast du Dr. Neuhaus geschrieben?"
Sie behauptete, sie würde die Adresse nicht mehr finden.Erst nach dem Krieg gestand sie mir, daß sie sich nicht getraut hätte nach Amerika zu schreiben, da solche Post zensiert wurde.
Noch heute bedaure ich, daß ich keine Möglichkeit mehr hatte, einen Kontakt zu meinem Wohltäter aufzunehmen.

Anmerkung:

Aufgrund dieses Textes und der Diskussion in unserer Gruppe habe ich versucht, herauszufinden, was aus Dr. Neuhaus und seiner Familie geworden ist. Hier ist das vorläufige Resultat meiner Recherche:  Informationen zu Dr. Neuhaus und seiner Familie


Elfi Böller, Mai 1999 , Boeller@aol.com        Zeitzeugen@lists.uni-ulm.de