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Werner Toporski |
Meine erste Berührung mit den Engländern war eigentlich eher komisch. Natürlich konnte sie erst nach 1945 stattfinden, als wenige Tage nach meinem elften Geburtstag der Krieg zu Ende gegangen war. Wir stammten aus der Umgebung von Berlin und waren gerade glücklich den Russen entkommen Stunden nur, bevor sie den Ring um Berlin geschlossen hatten -, und diese Flucht war, so unglaublich das klingen mag, in einem Bus der Waffen-SS geschehen, der, auf welche Weise auch immer, sich den Befehl verschafft hatte, Frauen und Kinder aus der Gefahrenzone zu bringen. So waren wir nach Schleswig-Holstein gekommen, dem nördlichsten und daher zuletzt besetzten Teil Deutschlands, wo wir für etwa eine Woche in einem Gasthof untergebracht waren und abwarteten, was die Zukunft uns wohl bringen würde. Währenddessen waren unsere Fahrer damit beschäftigt, sich Zivilkleidung zu beschaffen und das SS-Zeichen von den Nummernschildern zu schmirgeln, das sie sorgfältig mit schwarzer und weißer Farbe durch eine Berliner Nummer ersetzten. Laken hingen als weiße Flaggen in Erwartung der Engländer aus den Fenstern. (Nur Tage zuvor wäre das extrem gefährlich gewesen, denn die SS erschoss oder erhängte jeden, der die Bereitschaft zur Kapitulation zeigte aber das wusste ich damals noch nicht).
Und dann sah ich sie! Was mich zuerst überraschte, waren ihre Dudelsäcke! Gewöhnt an deutsche Marschmusik hatte ich nie etwas anderes gesehen als Militärkapellen mit Trompeten, Pauken und Posaunen. Und jetzt Dudelsäcke... Worüber ich dann aber endgültig baff war, das war ihre Kleidung: Sie trugen wie ich das damals genannt hätte Röcke! Soldaten in Röcken: unglaublich! Gut, obwohl ich das Wort "Kilt" nicht kannte, hatte ich natürlich schon gehört, dass die Schotten so etwas trugen, aber in einer Armee...? Es war ein eigenartig friedfertiges Bild, was ich da sah, und so enthielt mein erster Eindruck von den Briten eine tiefe Symbolik: Sie waren diejenigen, die uns den Frieden brachten, in der Tat!
Und dann die ersten "richtigen" Soldaten. Sie trugen Gewehre mit zwei Läufen, während die deutschen bloß einen gehabt hatten: Offenbar besser ausgerüstet, und das war es - na klar! warum sie den Krieg gewonnen hatten.
Weitere Eindrücke: Auf der Weiterfahrt (keine Ahnung, woher der Fahrer sich eine Fahrerlaubnis organisiert hatte) hatten wir zwei junge Burschen von 17, 18 Jahren mitgenommen, die sich von der deutschen Marine abgesetzt hatten und nun, um der Gefangenschaft zu entgehen, zivile Hemden trugen und ihre Hosen, um jünger zu erscheinen, zu Shorts zurückgestutzt hatten. Und ausgerechnet da, es war in der Nacht, gerieten wir in eine Kontrolle. Die zwei taten so, als ob sie schliefen. Der englische Offizier, der durch den Bus streifte, sah die zwei, legte dem einen seine Hand aufs Haar, und mit einem (unhörbaren) Seufzer der Erleichterung hörten wir: "Nice boy".
Sesshaft wurden wir auf einem Bauernhof in Niedersachsen, etwa 30 km von Hannover entfernt. Eine der Kühe stand kurz vor dem Kalben. Normalerweise war das kein Problem, was aber, wenn wir einen Tierarzt brauchten? Kälber haben die Gewohnheit, nachts auf die Welt zu kommen, aber es bestand Ausgangssperre, und die wurde strikt kontrolliert! Man überlegte, was man der Streife erklären sollte, wie der einfache Satz "Wir bekommen ein Kalb" zu übersetzen sei. Schließlich entschied man sich für die Formulierung: "We become a calf..."
Jahre später, als ich so 16, 17 war, waren es zwei Einrichtungen, die uns wirklich (wenigstens mir) halfen, Demokratie zu verstehen und zu lernen, was eine offene und freie Kultur ausmachte: die englische "Brücke" und das "Amerikahaus" der Vereinigten Staaten. Es waren wirklich Brücken zwischen unterschiedlichen Denkweisen, die uns auf dem Weg zu einem freien und demokratischen Staat beistanden.
Werner Toporski, März 00