Ausgabe Nr. 35                         Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung älterer Erwachsener
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Im Büßerhemd nach Canossa
Und noch ein Buch im Jubiläumsjahr über Canossa

                                                                        von Ellen Salverius-Krökel


In diesem Jahr gibt es viele Ausstellungen zum Mittelalter. Dementsprechend viele Ausstellungskataloge natürlich. Auch ein kleines aber feines Buch über Canossa, den legendären Gang Heinrichs IV. nach Canossa ist erschienen. Eine moderne Deutung dieses legendären Gangs für Fachwissenschaftler und breite Leserkreise. Der Autor, Stefan Weinfurter ist Historiker, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Heidelberg.

Jahrestag
Am 7. August diesen Jahres jährte sich nun also zum neunhundertsten Mal der Todestag Heinrichs IV. Sein Name steht für einen epochalen, dramatischen Konflikt zwischen dem römisch-deutschen Königtum bzw. Kaisertum und dem Papsttum, bekannt natürlich auch unter dem Titel Investiturstreit. Dieser Begriff, so wird am Ende dieses Buches klar sein, ist eine unzureichende Bezeichnung für eine Auseinandersetzung, die für eine langwährende und europäische Zäsur sorgen sollte. Eine Auseinandersetzung, die anfangs noch recht begrenzt für Spannungen sorgte, sich  dann aber doch recht schnell zu einer grundsätzlichen Frage nach der rechten Zuordnung von weltlicher und geistlicher Gewalt entwickelte.

Das Thema
Was war geschehen? Eine Antwort auf diese Frage gibt natürlich das hier vorgestellte Buch. Entscheidend scheint mir aber, wie der Autor versucht, weniger die politische Geschichte, als den gesellschaftlichen Wandel der Zeit des Investiturstreits und die dahinter stehenden Ideen zu beschreiben und dem Leser nahe zu bringen. Natürlich erfahren wir auch, was zum Kirchenbann Heinrichs, zur Exkommunikation und zur abenteuerlichen Reise nach Oberitalien, zur Burg Canossa im Winter 1077 führte. Ebenso erfahren wir, dass und wie der König wieder aufgenommen wurde in die Gemeinschaft der Gläubigen und wie er auch wieder seine Stellung im Reich stärken konnte. Es folgen drei Jahrzehnte sich hinziehende wechselvolle Kämpfe. Jedoch, er wird unterliegen. Die Einigung zwischen Reich und Kirche fand ohne ihn statt. Er starb, vom eigenen Sohn aus der Herrschaft gedrängt und, wiederum, unter dem Kirchenbann.

Inhalt
Das Thema wird eröffnet mit einer weit angelegten Darstellung über die Ereignisse 1076/77. Sodann folgen 10 systematisch angelegte Kapitel. Darin beschreibt der Autor die Entwicklung seit Heinrich III., die zerbrechende Einheit unter Heinrich IV., dazu die Wandlungen in der Gesellschafts- und Herrschaftsordnung, das Papsttum unter Gregor VII., dessen Anspruch auf Gehorsam „im gesamten römischen Erdkreis“, das Verhältnis zwischen Heinrich IV. und den Bischöfen, den Wertewandel und das neue Königsideal, den Kampf der Könige und das Ende Gregors VII., das Investiturproblem und seine Entwicklung und schließlich den Verrat Heinrichs V. Es endet in der Schlussbemerkung mit der Aussage, dass „Canossa“ nicht nur das Ereignis vom Januar 1077 bezeichnet, sondern auch eine „historische Chiffre“.

Entzauberung der Welt
Wofür also steht Canossa 1077? Für eine Entzauberung der frühmittelalterlichen Einheitswelt, für einen Prozess der zunehmenden Differenzierung. War bis dahin Kirche und Staat, geistlich und weltlich nahezu eine Einheit, so driftete mit Heinrich IV. und den durch ihn provozierten Konflikt zwischen Königtum und Papsttum das Reich und Europa in eine Trennung hinein, die im 12. Jahrhundert den dann auszumachenden Realitätsschub hervorbringt. In dem Maße wie sich das Papsttum genötigt sah seinen Anspruch auf die Weltherrschaft zu formulieren, entsakralisiert sich das Königtum. So musste unweigerlich eine neue gesellschaftliche Ordnung entstehen. Diese durch eine Rationalisierung von Herrschaft veränderte Welt, lässt sich eben am besten mit dem Begriff von einer Entzauberung der Welt im Sinne von Max Weber beschreiben.

Was auch nicht fehlt
Das, so mag nun die geneigte Leserschaft befürchten, hört sich doch sehr trocken an. Aber mitnichten! Es fehlt nicht an Details um die Alpenüberquerung im frostklirrenden Januar 1077 vor die Burg Canossa, in die sich der Papst vor dem König geflüchtet hat. Auch die Rituale des reuigen Büßers zur Lösung vom päpstlichen Bann bekommen wir Leser auf fesselnde Weise dargestellt, so dass allen am Ende klar wird – dies ist eine erzwungene Vergebung, eine Erpressung, die beide Seiten erkennen und akzeptieren. Ganz nebenbei erkennen die Leserinnen und Leser das politische System der salischen Königsherrschaft  und den überzeitlichen Konflikt zwischen geistlicher Macht und weltlicher Herrschaft. Dies war letztlich das Ansinnen des Autors.

Titelnachweis


Stefan Weinfurter
Canossa. Die Entzauberung der Welt
C.H. Beck Verlag, München 2006, 19,90 €