Es begann mit rosa Strick |
von Ursula Fritzle Machten mich Zöpfe brav und schwarze Rollkragenpullover gesellschaftskritisch? Ein persönlicher Rückblick auf Kleidung in sieben Jahrzehnten. Kinderzeit Filme als Beweisstücke für den Beginn meiner modischen Entwicklung gibt es nicht. Meine ersten Jahre sind durch einige Schwarz-Weiß-Fotografien mit Zackenrand dokumentiert. Richtig modisch wird es erst mit dem kolorierten Porträt, als Kleinkind im rosa Strickkleidchen, mit blitzblauen Augen und gelbblonder Haartolle. Im Vorschulalter haben wir wohl alle ähnlich ausgesehen in gesmokten Kleidchen, beschleiften Zöpfen und dürren langen Beinen. Ein wenig später die Fotos vom „Weißen Sonntag" - ein weißes Kleid mit Stoffblumenkranz im Haar - den frommen Gesichtsausdruck hervorhebend, das Montagskleid aus praktischem blauen Wollstoff, alles von der Hausschneiderin genäht. Ganz anders der wild gemusterte Sommeroverall, der mich dem Spott einiger Spielgefährten auslieferte. Mode kann fromm oder unglücklich machen. Tanzstunde und Folklore Aus der Tanzstunde besitze ich keine Fotos, aber ich erinnere mich noch gut an Mittelball- und Abschlussballkleid. Ersteres war ein geerbtes Stück, letzteres neu gekauft. Schlicht und mit züchtigem Ausschnitt waren beide geeignet für folgende Sommer. Ob es am Kleid lag, dass mich mein Schlussball-Partner versetzt hat? Aber der Herr von der Ersatzbank konnte fast besser tanzen als das Original. Dann war da noch ein Dirndl, das mir meine badische Mutter gekauft hat. Ob es in der hessischen Kleinstadt ein Highlight war? Die Steppjacke gefiel mir, sie konnte auch nördlich des Mains bestehen. Großes Interesse fanden die praktischen Nyltestblusen: „Tropfnass aufhängen und nicht bügeln". Wir hielten sie - nicht ganz zu Recht - für eine wunderbare Errungenschaft. Erbstücke Das Schönste in dieser Zeit war für mich das „Geerbte". Da gab es eine luxuriöse Quelle für einen englischen Gabardine-Mantel mit ausknöpfbarem Futter, für Kleider und Kostüme von bester Qualität und neuestem Schnitt, Buschhemden und Caprihosen, Sandalen, geschnürt bis unters Knie, die jedem römischen Soldaten zur Zierde gereicht hätten. Ich hatte auch keine Bedenken, die Herrenhemden und Pullover meines Bruders auszuleihen. Natürlich gab es auch extra für mich Gekauftes. Ein marineblauer voluminöser Wintermantel wurde am Mantelsonntag in Mainz erworben. Ihm folgte ein schicker Redingote aus einem feinen Geschäft in Wiesbaden. Ich kann also sagen, ich wurde fast ausschließlich in Landeshauptstädten eingekleidet. Schule und Sport Kleidung entschied auch das sportliche Schicksal, vor allem das eines Schulmädchens. Die kurzen Stoffturnhosen waren in der Klosterschule ein Problem. Mir ist die Kombination Hose mit Rock darüber erspart geblieben. Es musste schon klirrende Kälte herrschen, um als weibliches Wesen offiziell Hosen zu tragen. Da nützte auch kein Hinweis auf George Sand oder Coco Chanel. Wenn es im Rheingau schneite, durfte ich in Mutters Vorkriegs-Skihosen und Skistiefel steigen. Einer bedeutenden Skikarriere stand aber bereits der nächste Apfelbaum im Weg. Wie der Badeanzug aus Wolle ausgesehen hat, der mir das Schwimmenlernen im Rhein ermöglichte, habe ich verdrängt. Die den Strick-Kreationen folgenden Lastex-Modelle waren eine große Erleichterung. Selbstgenähtes Schön waren die von Mutter und Tante geschneiderten Sachen. Voraussetzung war eine Bahnfahrt in die benachbarte Stadt. Da waren wichtige Entscheidungen zu treffen. Schnittmuster und Stoff wurden ausgesucht, passend dazu Futterstoff, Knöpfe, Reißverschlüsse und Nähgarn. Dann folgte das Kreideln, Zuschneiden, Abstecken und Anprobieren. Ich höre heute noch das Geräusch der Schere beim Zuschneiden des Stoffes auf dem Stoffbrett oder direkt auf der Tischplatte oder den häufigen Tadel beim Anprobieren: Steh jetzt endlich still! Der schön polierte alte Tisch trägt heute mein Laptop und damit viele virtuelle Modeinformationen. Aber ich glaube, die Zeit des Nähens und des Zuschneidens hat ihm besser gefallen. Salopp Gesittete Spaziergänge im Kreise der Familie, extra fein angezogen und mit Handtasche bewaffnet, fanden mit dem Casual-Stil ein erwünschtes Ende. Diese Mode habe ich freudig begrüßt. Ich gedenke in Rührung der Jeans-Modelle, die ich in meinem Leben besessen habe, sogar eine von Yves Saint Laurent war dabei. Die Haute Couture aus dem Warenhaus machte es möglich. Die heutige Lässigkeit erlaubt es, dass man sich nicht mehr aufbrezelt für einen Sonntagsausflug. Andererseits gibt es auch Gelegenheiten, bei denen ich mir heute etwas mehr Eleganz als geeignet vorstellen kann. Herrenmode „Von der Stange" - das war eine kleine Revolution, die ich als Kind miterleben durfte. Ein Onkel in Süddeutschland hat alle verblüfft mit seinem „Neckermännle", ein veritabler blauer Herrenanzug, der auf Bestellung einfach per Post ins Haus kam. Sehr abwechslungsreich habe ich die Herrenmode nicht in Erinnerung. Höchstens die Hosenbeine enger oder weiter, das Jackett anliegender oder weiter, Einreiher oder Zweireiher, die Krawatte mal breit, mal schmal, aus Seide oder Strick. Innovativ höchstens der weiße Seidenrolli zum Smoking à la Herbert von Karajan. Schwarz macht schlank Nach vielen vergeblichen Diäten und dem mit ihnen verbundenen Jojo-Effekt konnten nur Modefirmen helfen, die sich mit großen Größen nützlich machten. Und natürlich die Kleiderfarben Dunkelgrau bis Schwarz, die als Schlankmacher den floralen Designs haushoch überlegen sind. Üppige Blumen schmeicheln nicht immer. Der Inhaber einer Boutique für große Größen hat mir vor Jahren ein Jobangebot gemacht, nachdem er mein Geschimpfe über die unvorteilhaft großgemusterten Stoffe seiner Schaufenster-Modelle mitgehört hatte. Ich habe abgelehnt. Damals hätten Kleider mein Leben nachhaltig verändern können. Was mir erspart blieb Der Ballon-Look für Cocktailkleider, die Stiefel von Courrèges, das kurze Nachthemd namens Baby Doll, die Hot Pants von Mary Quant, eine Dauerwelle, der Hippie-Look, die Parkas und Zottelfrisuren der 68er. Die ersten Berufsjahre haben das nicht erlaubt. Dankbar bin ich auch dafür, dass ich als Ältere weder gepierct noch rot gefärbt sein muss, und dass jetzt Bequemschuhe die spitzen Modelle der letzten Jahre ablösen dürfen. Mit zunehmendem Alter langweilt mich die mehrfache Wiederkehr von Modetrends. Unterhaltsam finde ich TV-Sendungen mit dem Slogan: mach das Beste aus Deinem Typ. Das Beste ist in Wahrheit oft das Schlimmste. Aber das verbuche ich unter „verschiedene Geschmäcker" oder „ich bin Gott sei Dank zu alt für so etwas". Kleidung wirkt Kleider haben eine Außenwirkung. Sie erzählen etwas über den Träger, über die Zeit, über die vorherrschende Mode, über Geld, über Erziehung. Man will sich anpassen, man will sich absondern, man will sein Erscheinungsbild betonen oder verändern. Mit Mode geht es am einfachsten und schnellsten. Mode lebt. Sie entsteht, verschwindet und kehrt manchmal wieder. Kleidung sagt viel über den Träger aus. Aber es gibt auch viele Komponenten, die sich aus Zwängen ergeben, schlechte Zeiten, Modediktat, Wandel der Normen, Zeitgeschmack, Werbung und Massenmedien. In der kommenden Saison hoffe ich auf Bequemes und Schlankmachendes. Vielleicht tut es auch das alte Outfit noch eine Weile? Die beiden Illustrationen von Thomas Blaser "deine kleider" und "deine schuhe" finden eine Ergänzung durch zwei weitere seiner Kleiderstudien und einen Textbeitrag des Künstlers, den wir unter dem Titel „Deine Perlenkette" in dieser Ausgabe des LernCafes in der Rubrik Meinungen veröffentlichen. Links Mode in den sechziger Jahren. Von Edith Rutmann. Universität Salzburg. 1996 http://www.aurora-magazin.at/wissenschaft/rutmann.htm#6.1%20Minirock Zeitreise. Von den 50ern bis heute: Modefotos aus 50 Jahren Brigitte. 2004 http://www.brigitte.de/ mode/mode_trends/fuenfzig_jahre_mode/index.html?p=1 |
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