Wer nicht surft, ist dumm?
                                     von Ursula Fritzle
Elke Heidenreich hat mich zu diesem Titel angeregt. Allerdings lautete er bei ihr: Wer nicht liest, ist doof. Bei der Lektüre ihres Vortrags¹ fand ich viele Parallelen zur Welt der Onliner.

Lesen ist gut, surfen nicht?
Lesen Sie einmal die Heidenreich'schen Ausführungen und ersetzen Sie dabei das Lesen durch Surfen. Da gibt es vieles, das auf Onliner ebenso zutrifft wie auf Leser: „Du verdirbst Dir noch die Augen... Draußen scheint die Sonne... Wie kommen Nichtleser überhaupt lebend über die Runden?... Wer keine Lust am Lesen hat, soll es eben lassen... Er (der Leser) pickt sich jeweils heraus, was er braucht." Bücher können auch eine zweite Welt sein, denn sie haben nicht immer mit dem realen Leben zu tun. Sie prägen uns.

Illustration
Frau und Herr NochNicht - Frau EigentlichAber Quelle: BAGSO*


Das gilt heute genauso für Computer. Fürs Lesen braucht man eine Begabung, fürs Surfen ebenso. Aufs Lesen gemünzt sagt Elke Heidenreich: „Wer es braucht, tut's auch, so einfach ist das. Wer es nicht braucht, tut's nicht und ist und bleibt - na ja: ziemlich doof."

Nicht süchtig, nur begeistert
„Du sitzt zu lang vorm PC. Du vernachlässigst Deine sozialen Kontakte!", das war der Arbeitstitel meines Beitrags. Ich höre sie oft, die These vom Beziehungsverlust. Habe ich mich tatsächlich ins Internet verkrochen oder hat es mich gar verschlungen? Viele meiner Bekannten denken das. Überwiegend diejenigen, die zu den Offlinern, den Computer-Ablehnenden zählen. Als Online-Fan widerspreche ich - wie alle Junkies. Und gerade das macht mich erst recht unglaubwürdig. In Beruf, Familie, TV und in Bücher darf man sich vergraben, aber nicht in den PC.

E-Pausen
Was die realen Kontakte und die körperliche Bewegung betrifft, bin ich vielleicht nicht aktiv genug. Beruflich habe ich sicher Tausende Menschen kennen gelernt. Aber intensivere Kontakte waren doch selten. Schon in der Vor-Internetzeit war ich ein Bewegungsmuffel. Zu meiner Verteidigung führe ich dann meinen elektronischen Pausenerzwinger an. Dieses kleine Programm ist gut für meinen Körper, ich kann die Augen schließen, mich strecken oder aufstehen. Abstände und Dauer der Pausen kann ich selbst bestimmen. Eine feine Sache und eine winzige Rechtfertigung.

Freunde nicht vergessen
Es stimmt: Ich arbeite in der Tat täglich längere Zeit am PC. Ich bin nicht so viel unterwegs wie andere Ältere, das hat zum Teil gesundheitliche Gründe. Ich sehe nicht allzu viele Menschen. Die Familie wird leider kleiner. Warum sagen meine Online-Kritiker nicht einfach: „Toll, wie Du durch das Internet Deinen Horizont erweiterst und neue Leute kennen lernst!" Sie könnten ja noch ergänzen: „Vergiss aber nicht, Freunde und Bekannte real zu treffen."

Die realen Kontakte
Es soll wissenschaftlich erwiesen sein, dass Ehepaare nur wenige Minuten des Tages miteinander reden. Da scheint der allein lebende Onliner nicht viel Verbales zu versäumen. Ich kann aber gut  Beziehungen pflegen durch E-Mail-Korrespondenz, Internet-Telefonie oder Blogs. Es gibt Kontakte in der realen Welt, die mich eher nerven und mir gar nicht so erstrebenswert erscheinen, z.B. übervolle Hörsäle oder Essenseinladungen mit vielen Personen, die ein vernünftiges Gespräch unmöglich machen. Hier wird es schwer, das stundenlange Sitzen mit Pausen bekömmlicher zu machen. Natürlich gibt es Begegnungen, bei denen der Computer den verbalen Austausch und  die direkte Kommunikation zwischen Menschen nicht ersetzen kann. Dem Himmel sei Dank.

Mein E-Mail-Aufkommen boomt
Ich sitze viele Stunden vorm Computer. Wie sollte ich sonst lernen, mit der virtuellen Welt umzugehen? Von nichts kommt nichts. Aber was geschieht dann mit den Sozialkontakten? Die virtuellen haben sich doch vervielfacht. Sind die nichts wert? Meine schriftliche Kommunikation - vor dem Internet gegen Null - boomt. So kann ich das Verschwinden der gelben Briefkästen im wirklichen Leben besser ertragen. Durch die Kinder von Freunden bin ich ins Internet geschubst worden. Mit ihnen konnte ich die ersten E-Mails, Chats und Skype-Gespräche üben. In meinem E-Mail-Adressbuch sind 228 „Objekte" eingetragen. Zugegeben, diese Zahl ist nicht korrekt, weil das E-Mail-Programm die Adressen verwaltet, nie jemanden entfernt und manche nicht hinein nimmt. Aber ohne E-Mail hätte ich mit vielen Menschen nie korrespondiert.

Virtuell und real kombiniert
Illustration Am Besten gefällt mir eine real und virtuell gemischte Gruppenarbeit, wie ich sie vor vier Jahren an der Frankfurter Universität des dritten Lebensalters in der Internet-Projektgruppe Enigma3 erfahren habe. Reale Treffen kombiniert mit Kursen innerhalb der Lernplattform WebCT bieten den perfekten Rahmen für Weiterbildung. Hilfreich für den theoretischen und praktischen Unterbau war ein Seminar über Internetkommunikation.
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Hier habe ich das grundlegende Werk von Nicola Döring: Sozialpsychologie des Internet4  näher kennen gelernt und in Minigruppen-Arbeit erstmals Kurse in einer Lernplattform erarbeitet. Inzwischen fällt mir das rasante Tempo in Richtung reiner Internetkommunikation auf, die ohne reale Treffen Erstaunliches zuwege bringt - in meinem Fall Mitarbeit am LernCafe, E-Learning mittels Lernplattformen, Videokonferenzen und mehr.



Virtuelle Gruppen

Die Bedeutung physischer Anwesenheit in der Gruppenarbeit schwindet. Virtuelle Gruppen oder Teams haben ihren Lebenszyklus und unterliegen ebenso wie reale Gemeinschaften einer bestimmten Gruppendynamik. Sie erfordern nicht nur PC-Know-How, sondern auch eine neue Art sozialer Kompetenz. Sie behandeln oft Themen aus der realen Welt und integrieren Offline-Kontakte. Den Kontrast on / off gibt es so gar nicht mehr, weil „off" online integriert und „on" offline einbezieht. Mit den Mitteln des E-Learning kann Gruppenarbeit sehr gut organisiert werden. Es erlaubt eine neue Qualität.

Am Ball bleiben
Eines geht nicht: Ich kann mich nicht auf meinen Kenntnissen ausruhen. Ich will lernen, mit den ständigen Neuerungen der weltweiten Vernetzung umzugehen. Wer nicht kontinuierlich die nötige Webkompetenz erwirbt, wird in Zukunft vielleicht noch gut dastehen in der Welt der real-sozialen Kontakte. Aber er wird in vielen Dingen ein Verlierer und zunehmend im Alltag behindert sein. Auch für mich als Online-Fan wird der Offliner ein Wermutstropfen, denn er braucht eine Sonderbehandlung.

Soziale Internetkontakte
Computer werden nützlicher und persönlicher. Als Hauptsäulen haben sich im Web 2.0 die sozialen Aspekte herausgestellt.  Das Internet ist nicht mehr nur Technik, sondern es hat auch die menschliche soziale Interaktion verändert.  Es gefällt mir, von zu Hause aus neue Kontakte zu knüpfen und bestehende Beziehungen zu pflegen. Dass die Internetkultur neue Werte bietet, wird immer mehr anerkannt. Jedenfalls garantiert sie meine geistige Beweglichkeit. Für die körperliche bin ich selbst verantwortlich. Tipps dafür finde ich im LernCafe Nr 39 „In Bewegung bleiben".

Links
1Heidenreich, Elke: Wer nicht liest, ist doof
www.bibliomaniac.de/fab/prim2/heidrei.htm
2BAGSO Publikation „Wegweiser durch die digitale Welt für Ältere Bürgerinnen und Bürger"
www.bagso.de/fileadmin/Aktuell/Wegweiser/
web_bagso_digitaler_wegweiser.pdf

Den Wegweiser stellen wir in unseren "Linktipps im Juni " kurz vor.
3Projektorientierte Seniorengruppen an der U3L in Frankfurt, Leitung Elisabeth Wagner
www.u3l.uni-frankfurt.de/forschen/index.html
4Döring, Nicola: Sozialpsychologie des Internet. 2.Aufl. 2003. 662 Seiten
Online erreichbar sind Materialien zum Buch auf der Webseite von Nicola Döring (Universität Ilmenau)
www.nicola-doering.de/publications.htm

 
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