Rituale als Forschungsobjekt
                                  von Ellen Salverius-Krökel
Und die Wissenschaft, was treibt die gerade zum Thema um? Auf die folgenden Seiten im Internet bin ich, mal wieder, nur zufällig gestoßen. Und dann soviel Forschung zu einem scheinbar abseitigen Thema.

Ritualdynamik
Ritualdynamik fällt eigentlich nur Fachleuten ein. Es ist ein Forschungsprojekt, ein Sonderforschungsbereich an der Universität Heidelberg. Start war im Jahr 2002

Image
Fünfzehn Fächer beteiligen sich daran, Interdisziplinarität pur! Was aber kann das Ziel oder gar die Ziele eines solchen Forschungsprojektes sein? Die Aussage der Wissenschaft: „empirische Forschungen zur Dynamik ritueller Praktiken in unterschiedlichen historischen und zeitgenössischen Kulturen sowie die Weiterentwicklung grundlagentheoretischer Ansätze in der Ritualwissenschaft". Immerhin, der letzte Gedanke macht denn schon eher Mut, dass auch etwas Allgemeinverständliches dabei herauskommen wird.

Ritual des Monats
Wie so häufig bieten Webseiten im Wissenschaftsbereich zunächst einmal wenig an Wissen, an Informationen, die uns „Laien" zufrieden stellen, es sei denn man gehört selber zur Spezies der Wissenschaftler. So auch hier, allerdings mit einer freudigen Ausnahme: Ritual des Monats heißt es da auf der Homepage. Wunderbar, angeklickt, was Neues gelernt. Unter der Überschrift „Bräute der Götter" ist ein Beitrag zum Ihi-Ritual der Newar aus dem Kathmandutal in Nepal zu finden (siehe Anmerkung unten). Es geht darin um das Forschungsfeld der Hinduistischen Kindheits- und Jugendrituale im Kathmandutal. Bis vor wenigen Jahren war das noch sehr weit weg. Und es gibt Bilder dazu. Leider ist dies das einzige „Ritual des Monats" auf den Webseiten dieses Projekts.

Grundlagenforschung
Die mittlerweile auf 17 angewachsene Zahl der beteiligten Fachbereiche hier aufzuzählen ist müßig, der geneigte Leser mag, bevor er/sie nachliest, einmal versuchen aufzuzählen, welche in Frage kommen könnten und dann lernen, wer sich so alles mit den Ritualen wissenschaftlich beschäftigt. Interessanter sind die Ziele. Zunächst mal Grundlagenforschung im Sinne einer kulturübergreifenden Theorie- und Modellbildung. Man sucht nach Erklärungsmodellen für die soziokulturelle Bedeutung rituellen Handelns, z.B. machtlegitimierenden, identitätsstiftenden, lebenszyklischen, ordnungserhaltenden. Jetzt hätten wir Informationen-Suchende gerne ein paar handfeste Beispiele. Immerhin erhalten wir die Information, dass bei aller Theorie auch Ritualpraktiker in die Forschung miteinbezogen werden.

Forschungsziele
Eigentlich weiß ich immer noch nicht genau, was Ritualdynamik ist. Ob sich das noch findet? Der sehnlichst erhoffte Link dann doch hier im Forschungsprogramm, ein Aufsatz dahinter: „Ritualdynamik - Soziokulturelle Prozesse in historischer und kulturvergleichender Perspektive". Immerhin könnte ich hier erfahren, um was es sich bei der Ritualdynamik eigentlich handelt. Die Kurzform bekomme ich weiter unten im Forschungsprogramm dann auch. Dort heißt es: „Ging man bislang davon aus, Rituale seien stereotype und erstarrte Verhaltensformen, deren Genese (Entwicklung) nur schwer nachweisbar ist, widmet sich das Projekt vorrangig der Frage nach Entstehen und Vergehen ritueller Praktiken, den Gründen für Ritualerfindungen und den Motiven der Ritualkritik". Und weiter: „Einendes Ziel der Forschungsinitiative ist es, die Grundlage für eine Ritualwissenschaft zu schaffen, in deren Zentrum die genaue Bestimmung der Bedingungen, Modi und Funktionen rituellen Handelns steht".

Kulturvergleich
Die große Zahl an Fachbereichen ermöglicht, man kann es unschwer erkennen, auch den Kulturvergleich. Durch enge Vernetzung sollen europäische und asiatische Kulturen und ihre Ritualtypen verglichen werden: Beichtrituale, Reinigungsrituale, Initiations- und Hochzeitsrituale, Heilrituale, Macht- und Herrschaftsrituale und Rituale des höfischen Zeremoniells, Tempel- und Festrituale, Gebets-, Weihe- und Trancerituale, Ritualisierungen und Re-Ritualisierungen des Kulturtransfers, der literarischen Kanonbildung, des Tanzes, des jugendlichen Drogenkonsums und der Internetpräsentation. Das Ende der Aufzählung ist sehr modern. Und was passiert, wenn Rituale wandern, von einer Kultur, einer Religion, einer Region in die andere? Auch das ein Forschungsvorhaben der Heidelberger Forscher und ihrer internationalen Partner.

Feldforschung
Zum Glück begnügen sich die Heidelberger Wissenschaftler nicht „nur" mit der Theoriebildung auf der Grundlage theoretischen Materials. Historische Forschung geht sicherlich nicht sehr viel anders, aber die sozialwissenschaftlich operierenden Disziplinen beobachten lebendige traditionale Rituale vor Ort. Die Feldforschung, so ist auch anderen ethnologischen Forschungen bzw. Veröffentlichungen dazu zu entnehmen, hat sich rückbesonnen auf ihre ureigene Methode. Die Ergebnisse sprechen für sich.
Weitere Themen des Forschungsbereichs findet man unter „Organisation" aufgeführt, und erhält so einen guten Überblick über dieses breit angelegte Thema. Ergänzt, wenn auch ohne Erläuterungen/Bildunterschriften, durch wunderbare Fotos.

Darüber hinaus
Hinter der Allerwelts-Rubrik „Aktuelles" findet sich dann noch der eine oder andere Hinweis auf interessante Veranstaltungen. Ins Auge gesprungen ist mir ein Vortrag von Jan Assmann, den er im Rahmen der internationalen Tagung des Forschungsprojekts hält: „Magie und Ritual". Über die Konferenz informiert die Webseite.
Im Herbst wird eine Ausstellung (siehe Anmerkung unten) mit dem Titel „Rituale und die Ordnung der Welt" in der Universitätsbibliothek Heidelberg eröffnet (27.09.08 - 25.01.09). Ein Link dazu am Ende dieses Artikels.
Ebenfalls im Rahmen der Konferenz gibt es in Heidelberg etwas ganz besonderes: Heidelberg rituell - eine rituelle Stadtführung durch die Heidelberger Altstadt. Mehr dazu unter „Aktuelles" und im vorläufigen Programm zur Konferenz (Link s.u.).

Links
Die Webseite zum Sonderforschungsbereich
http://www.ritualdynamik.de/ritualdynamik/index.php?navanchor=1110000
Die Ausstellung der Universität Heidelberg
http://www.ub.uni-heidelberg.de/news/ausstellung.html#vorschau
Ergebnisse aus dem Forschungsbereich, alle zum Download
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/portal/ritualdynamik/
Die Konferenz 29.9. - 02.10.08 in Heidelberg
www.rituals-2008.com
Kurzvita und Schriftenverzeichnis Jan Assmann
http://www.aegyptologie.uni-hd.de/direktor.htm
Anmerkung:
In dieser LernCafe-Ausgabe gibt es gesondert einen Artikel zum Ihi-Ritual und einen zur Ausstellung in der UB Heidelberg.

 
weiter >