Das Ihi-Ritual der Newar
                                                von Sibyle Sättler
Zwei Professoren der Uni Heidelberg sind je im April 2008 in Bonn bzw. im Juni 2008 in Berlin mit Vortrag und Kurzversion eines Dokumentarfilms zu dem Thema Ihi-Ritual im Auftrag der Deutschen Forschungsgesellschaft an die Öffentlichkeit getreten.

Fragen zu Ritualen

Wie und warum konkrete Rituale entstehen und wieder verschwinden, ist bisher kulturwissenschaftlich kaum untersucht worden. Wer erfindet Rituale zu welchen Gelegenheiten? Bewahren Rituale nur das Überkommene? Wer sind die Erfinder von Ritualen? Wie lange können Rituale erhalten bleiben? Selten werden Dynamik und Veränderbarkeit von Ritualen untersucht.

Internationale Konferenz in Heidelberg
Die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg betreut einen ethno-indologischen Sonderforschungsbereich (SFB), der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahre 2002 gegründet wurde und gefördert wird, zu „Ritualdynamik“. Es handelt sich hierbei um ein bisher einzigartiges Programm in Deutschland auf kultur-wissenschaftlichem Gebiet. Über 90 Wissenschaftler umfasst der weltweit größte Forschungsverband mit 17 Teilprojekten zum Thema Rituale, ihre Veränderungen und Dynamik. Zur Internationalen Konferenz in Heidelberg über „Ritual Dynamics and the Science of Ritual“ vom 29.09. - 2.10.2008 kann man sich anmelden (siehe Link).

Das Volk der Newar
Die Newar stellen die ursprüngliche Bevölkerungsgruppe des Kathmandutales in Nepal dar als eine traditionell Handel treibende Sprach- und Kulturgruppe. In manchen Landesteilen ist die Sprache der Newar, das der tibeto-burmanischen Sprachfamilie angehörige Newari, weiter verbreitet als die indoeuropäische Landessprache Nepali. Der Pagodenstil der Newar ist besonders in Ostasien sehr verbreitet.
Die Newar verbinden Elemente sowohl der buddhistischen als auch der hinduistischen Religion. Verschiedene Gottheiten werden verehrt, die sie beiden Religionen Nepals hinzufügen. Besondere Kraft spricht man im Hinduismus Göttern zu, die viele Namen, Identitäten und Erscheinungsformen auf sich vereinen.

Bräute der Götter - Das Ihi-Ritual
Illustration
getting married with lord vishnu, Foto jmhullot


Rätselhafte sogenannte Übergangsrituale überleben in Nepal zu Geburt, Initiation, Hochzeit und Tod. Das Ihi-Ritual beinhaltet die Verheiratung von sehr jungen Mädchen mit Göttern, deren Namen und Erscheinungsformen unbenannt bleiben. Das Forschungsprojekt versucht, der Bedeutung des Rituals für die Mädchen und auch die Gemeinschaft näher zu kommen. Während die Bräute der Götter erst ein Alter zwischen drei und zehn Jahren erreicht haben, gilt das Ihi-Ritual schon als erster Schritt auf dem Weg zum Erwachsensein.

Ablauf des Rituals
Mit einer vom Vater gereichten Frucht des Holzapfelbaums in der Hand und einem Goldplättchen von der Mutter auf der Stirn wird das Mädchen beim Ihi-Ritual dem Gott-Gatten vom Vater als „Jungfrau“ übergeben. Obwohl der göttliche Bräutigam unbenannt bleibt, hat das Ritual für viele Newar die Bedeutung einer echten Hochzeit und wird auch so gefeiert: Mehr als zwei Tage wird an Ihi wie bei einem Volksfest öffentlich gesungen, getanzt, gegessen und getrunken. Manchmal sind es bis zu 200 in prächtige Hochzeits-Saris gekleidete kleine Mädchen, die, wie bei Hochzeiten üblich, das heilige Feuer umschreiten und dabei sieben rituelle Schritte in ihr neues Leben machen.

Vor dem eigentlichen Ritual
Das Ritual beginnt bereits Tage vorher. Die Braut wird von Verwandten abgeholt und allen Familienmitgliedern in der Stadt ein Besuch abgestattet. Dem Mädchen wird dabei eine symbolische Speise gereicht als rituelle Handlung zur Festigung der Beziehung zum Familienverband. Bei Rückkehr zur Schwelle des Elternhauses wird das Mädchen von den Frauen aller besuchten Haushalte mit einer Reisgabe gesegnet. Den Status eines rituell vollwertigen Wesens erreicht das Mädchen erst durch die Gabe einer rituellen Speise mit Alkohol aus der Hand der ältesten verheirateten Frau des Familienverbunds. Die Frucht des Holzapfelbaumes, die das Mädchen beim Ihi-Ritual vom Vater erhalten hat, wird einige Monate später dem Ahnengott der Familie gewidmet. Es ist nun endgültig heiratsfähig und ein vollwertiges Mitglied des Familienverbandes geworden.

Auswirkungen des Ihi-Rituals
Die Newar sind der Auffassung, dass die Mädchen durch die Verheiratung mit einem Gott dem Schicksal der Witwenschaft entgehen. Der Gott-Gatte wird ewig leben, und das Mädchen also nie Witwe werden, auch wenn ein späterer menschlicher Ehemann stirbt. Damit entgeht die verheiratete allein übrig gebliebene Frau auch der immer noch, trotz Verbots seit 1829, gelegentlich praktizierten Witwenverbrennung im Hinduismus.

Fazit
Wem diese Kurzbeschreibung des Ihi-Rituals Lust auf mehr vermittelt hat, kann der Besuch der oben genannten Konferenz in Heidelberg nur empfohlen werden.

Links
Ihi-Ritual
http://www.ritualdynamik.de/ritualdynamik/ritualdesmonats/index.php
Foto und Text zu einem Ihi-Ritual in Kathmandu, Nepal, Durbar Square
http://flickr.com/photos/32856635@N00/2262950369/
Konferenz
http://www.rituals-2008.com/
Anmerkung
In dieser LernCafe-Ausgabe gibt es eine ausführliche Darstellung des Forschungsbereichs Ritualdynamik an der Universität Heidelberg im Beitrag: „Rituale als Forschungsprojekt“.von Ellen Salverius-Krökel.

 
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