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Labyrintherfahrungen
                                     von Anne Pöttgen
Ein Labyrinth ist kein Irrgarten, auch wenn in der Sage vom Minotaurus der Ariadnefaden nötig war, um herauszufinden. Ein Spaziergang durch den Irrgarten ist sicher kein Ritual, aber ein Gang durchs Labyrinth? Ja und nein.

Chartres
Vor Jahren habe ich mit einer Gruppe eine Reise in die Bretagne gemacht. Am Beginn dieser Reise stand ein Tag in Chartres, der mit Besichtigungen der Kathedrale verlief und mit einem Konzert in der Krypta beendet wurde. Beides sollte eine Einstimmung auf den nächsten Morgen sein: ein Gang durch das berühmte Labyrinth. Im Jahre 1200 war es in den Boden der neu errichteten Kathedrale Unserer Lieben Frau von Chartres eingefügt worden  
Schon vor Sonnenaufgang öffnete man uns die Kathedrale, wir räumten die Bänke zur Seite und bereiteten uns auf den Gang durch das Labyrinth vor. Es hat elf Umgänge, die Weglänge wird unterschiedlich angegeben. Wir gingen schweigend und verharrten auf der Rose im Mittelpunkt.
War dies nun ein Ritual im Sinne von Autoren, die sich zu Ritualen geäußert haben? Kann sein.

Sichtweisen
Alex Michaels, Religionswissenschaftler, äußert die Ansicht, dass die intentio solemnis, die Ernsthaftigkeit, eine gewohnheitsmäßige Handlung zu einem Ritual machen kann. „Spontane, zufällige, willkürliche Handlungen sind keine Rituale, mit einer intentio solemnis vollzogene Handlungen können es hingegen sein“.
Michaels benennt fünf Komponenten, die gegeben sein müssen, um ein Ritual von einer gewöhnlichen Handlung zu unterscheiden. Sie können unterschiedlich stark vertreten sein. Der Anlass; der förmliche Beschluss; bestimmte formale Kriterien wie Förmlichkeit, Öffentlichkeit, Unwiderrufbarkeit; Motivationen wie Gewinn von Gemeinschaftsgefühl und Transzendenz; und zuletzt Veränderung. Ein Link dazu im letzten Abschnitt.

Ein Rasenlabyrinth

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Ausschnitt Rasenlabyrinth Steigra


Eines der wenigen in Deutschland erhaltenen Rasenlabyrinthe liegt im Saalekreis in Sachsen-Anhalt, im Ort Steigra. Ich war in der Gegend, um den Fundort der „Himmelsscheibe von Nebra“ und das „Sonnenobservatorium“ Goseck zu besuchen. Auch dieses Labyrinth gehörte zum Besuchsplan. Natürlich schritt ich die elf Windungen ab. War dies ein Ritual?
Keinesfalls, es war ein Besuch als Touristin, vollkommen privat und allein, es gab kein Gemeinschaftsgefühl oder eine religiöse Begründung. Ich war mir zwar bewusst, dass dieses Labyrinth zu einer bestimmten Zeit des Jahres – am letzten Aprilwochenende - von einer Gemeinschaft begangen wird, aber ich war weder an diesem Tag dort noch in Gemeinschaft.

Ein gläsernes Labyrinth
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Plan eines selbstgelegten Labyrinths


Ein Jahr zuvor hatte ich an einem Seminartag zum Thema Labyrinth in einer Kirche teilgenommen. Der Höhepunkt des Tages war der Aufbau eines „gläsernen Labyrinths“: ein kleines Labyrinth, dessen Ränder aus Gläsern bestanden, in denen Kerzen entzündet wurden. Wir waren aufgefordert, aber nicht gedrängt, den Weg durch dieses Labyrinth zu gehen. Eine oder einer nach dem Anderen stand auf und ging den Weg. Die Gruppe sang dazu. Ich überlegte, ob auch ich diesen Weg gehen sollte; ich hatte Bedenken, wie so oft hatte ich Einschränkungen beim Gehen und wollte keine Zuschauer beim Hinken haben.
Aber dann, wie ein innerer Befehl: Auch ich stand auf und machte mich auf den Weg. Schwer zu beschreiben ist das Gefühl, mit dem ich mich am Ende auf meinen Stuhl sinken ließ. Ein Ritual wird beschrieben als Versuch, Zeitlosigkeit zu inszenieren. Für wenige Minuten war das gelungen.

Mein Fazit
Der Gang im Labyrinth von Chartres war sicher für den größten Teil der Gruppe ein Ritual. Obwohl alles Äußere auch für mich zutraf, war es für mich keines. Es fehlte die intentio solemnis, ich ging einfach mit.
Auf den Gang durchs gläserne Labyrinth trifft alles oben Ausgeführte zu: Der Anlass war ein Tag der Besinnung für eine Gruppe von Ehrenamtlichen, wir hatten uns geeinigt, das Labyrinth zu bauen und zu begehen, es war im öffentlichen Raum, das Motiv war – wie oft bei ähnlichen Veranstaltungen – das Erleben von Gemeinschaft. Und eine Veränderung war es sicher für viele, das wurde mir bei späteren Begegnungen mit Teilnehmerinnen bestätigt..
Ich habe an diesem Tag an einem Ritual teilgenommen.

Links
Die fünf Komponenten von Ritualen nach Alex Michaels
http://www.unicom.uzh.ch/static/unimagazin/archiv/1-98/ritual.html 
Humanismus und Rituale
http://www.horst-groschopp.de/Humanismus/PDF/Rituale.pdf 
Zahlenspiele zum Labyrinth von Chartres:
http://www.aliquot.de/chartres/chartres.htm 
Eine Seite zum Thema Labyrinth
http://www.mymaze.de/home.htm   
 
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